Für viele Schilddrüsenerkrankungen bestehen gesicherteDiagnoseabläufe und wirksame Therapiekonzepte. Dazu zählen die Abklärung des symptomatischen oder zufällig entdeckten Schilddrüsenknotens, des Schilddrüsenkarzinoms sowie der laborchemisch manifesten Funktionsstörungen, d.h. dermanifesten Hypo- und Hyperthyreose.
Die hohe Prävalenz von abnormen Befunden der Schilddrüsenfunktion macht es aus medizinischen und organisatorischen Gründen (Ambulanzwartezeiten), aber auch unter dem Aspekt der Patientenorientierung sinnvoll, eine Patientenselektion für die Zuweisung an eine Schilddrüsenambulanz oder an ein Schilddrüseninstitut vorzunehmen. Diese Übersicht geht auf Befundkonstellationen und Diagnosen ein, die entweder meist/immer oder im Regelfall nicht die Zuweisung an eine Schilddrüsenambulanz erfordern.
Für die Diagnose von Funktionsstörungen ist in der Regel die Bestimmung des basalen TSH ausreichend und sinnvoll. Die ausschließliche TSH-Bestimmung wird deshalb von zahlreichen (inter-)nationalen Richtlinien, wie in Österreich dem „Labordiagnostischen Leitfaden zur Abklärung von Funktionsstörungen und Erkrankungen der Schilddrüse“ (Biegelmayer et al., Wiener klinische Wochenschrift 2008) empfohlen. Bereits durch den Verzicht auf die Messung peripherer Hormone (Thyroxin/T4 und Trijodthyronin/T3), heutzutage meist in freier Form (FT4, FT3), lässt sich häufig unnötige Folgediagnostik ohne therapeutische Konsequenz vermeiden.
Es werden manifeste von latenten Funktionsstörungen unterschieden (Tabelle 1).
Nicht jeder außerhalb des Referenzbereiches liegende Laborbefund besitzt einen Krankheitswert oder stellt eine Behandlungsindikation dar.
Keine Überweisung erforderlich:
Bei Fehlen einer typischen Klinik für Hypothyreose oder Hyperthyreose und unauffälliger Sonomorphologie der Schilddrüse (Volumen, Struktur und Echogenität) ist bei Erwachsenen mit abnormem TSH eine Verlaufskontrolle der Schilddrüsenfunktion ausreichend und keine Zuweisung an eine Schilddrüsenambulanz erforderlich. Eine Verlaufskontrolle sollte in 3 bis 6 Monaten erfolgen.
Ausnahmen sind hochnormale (> 2,5 mU/l) oder abnorme TSH-Werte bei Frauen mit Kinderwunsch, in der Schwangerschaft und postpartal sowie bei Patienten unter der Therapie mit Amiodaron oder Lithium.
Überweisung empfehlenswert:
Bei Verschlechterung einer latenten Funktionsstörung (TSH fällt unter die Nachweisgrenze von 0,1 mU/l oder kontinuierlicher Anstieg des TSH bei latenter Hypothyreose, Eintreten einer typischen klinischen Symptomatik oder morphologischen Veränderungen der Schilddrüse) sollte in jedem Falle die Überweisung an eine Schilddrüsenambulanz erfolgen.
Es ist festzuhalten, dass es gerade für die Behandlung milder (< 10 mU/l) latent hypothyreoter (subklinischer) Funktionsstörungen keine gesicherte Evidenz für die Reduktion der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität, die Verbesserung der Lebensqualität oder kognitiver Leistungen (Parle et al. JCEM 2010) als Folge einer Therapie gibt. Vor allem die unkritische Behandlung der latenten Hypothyreose mit gering erhöhten TSH-Werten (um 5 mU/l) wird bei PatientInnen über 75 Jahren in der Literatur zunehmend kritisch bewertet.
Somit sind das Risikoprofil für den Übergang in eine manifeste Hypothyreose (wie z.B. der Schilddrüsenautoantikörper- [TPO-]Status), Begleiterkrankungen (Nikotinkonsum, Hypertonie, Hyperlipidämie, Depression, etc.), Patientenalter (im Alter unter 65 Jahren ist ein Nutzen wahrscheinlicher, Razvi et al. JCEM 2008), und die Patientenpräferenz und -adhärenz für eine mögliche Langzeittherapie in der Entscheidungsfindung für oder gegen eine Therapie zu berücksichtigen.
Wie bei der latenten Hypothyreose (Singh Int J Cardiol 2008) legen bei der latenten Hyperthyreose Studien (Metanalyse Ochs et al. Ann Intern Med. 2008) eine geringe Erhöhung des kardiovaskulären Risikos nahe, wenn auch hier bei asymptomatischen Patienten der Nachweis einer Risikoreduktion als Folge einer Therapie aussteht.
Diese Erkrankungen sind in einer Schilddrüsenambulanz oder einem Schilddrüseninstitut abzuklären. Bei der manifesten Hyperthyreose erfordern die beiden häufigsten Differenzialdiagnosen, uni- oder multifokale Autonomie versus Immunhyperthyreose, unterschiedliche therapeutische Ansätze (thyreostatische Therapie versus Radiojod versus chirurgische Therapie), für deren Auswahl Alter, Begleiterkrankungen und -medikation sowie individuelle Patientenbedürfnisse zu berücksichtigen und zu diskutieren sind.
Für die manifeste Hypothyreose bestehen zahlreiche Ursachen, unter denen die chronische Immunthyreoiditis Hashimoto am häufigsten ist. Aufmerksamkeit sollten rezente Studien finden, die über die erhöhte Komorbidität der Patientengruppen mit Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse berichten (gehäufte Assoziation mit chronischer Polyarthritis, perniziöser Anämie, systemischem Lupus erythematosus, M. Addison, Zöliakie und Vitiligo, Boelaert et al., Am J Med 2010). Es besteht nur eine wirksame Therapieform der Hypothyreose, die der Thyroxin-Substitutionstherapie.
Während der letzten Jahrzehnte kam es zu einem starken Rückgang der Inzidenz der Struma. Dieser Rückgang betrifft vor allem die Stadien mit sichtbarer Vergrößerung der Schilddrüse.
Die Häufigkeit solitärer oder multipler Knoten in der Schilddrüse ist dagegen trotz Einführung und Erhöhung der Jodprophylaxe weiterhin hoch und steigt mit dem Alter. In der Altersgruppe der über 60-Jährigen beträgt die Prävalenz über 50%. Der diagnostische Ablauf ist für klinisch manifeste Knoten und zufällig im Rahmen der Anwendung bildgebender Verfahren entdeckte Knoten ident. Ziel der Diagnostik ist in allen Fällen der Ausschluss der Malignität. Die Inzidenz von Schilddrüsenkarzinomen ist in den letzten Jahren in Österreich und weltweit vor allem aufgrund der verbesserten Diagnostik gestiegen (Abb.). Die absolute Häufigkeit von Karzinomen liegt mit einer Zahl von ca. 900 Fällen/Jahr jedoch weiterhin so niedrig, dass unbedingt eine systematische Abklärung von Knoten mit Anamnese, Palpation, Sonografie, Szintigrafie und Feinnadelbiopsie zur Patientenselektion für die Operation notwendig ist. In den letzten Jahren hat sich auch international das Konzept, Knoten ausschließlich anhand ihrer Größe zu beurteilen, aufgeweicht. Die Befunde der Sonografie ermöglichen eine gute Hilfestellung bei der Einschätzung des Malignitätsrisikos und damit der weiterführenden Diagnostik oder Kontrollintervalle. Sonografisch nichtwachsende Knoten benötigen lediglich mehrjährige Kontrollintervalle.
Die Feinnadelbiopsie mit zytologischer Beurteilung ist eine etablierte und valide Methode in der Abklärung von Knoten:
Verlaufsbeobachtungen von Patienten mit Schilddrüsenknoten, deren Dignitätsabklärung keinen Hinweis auf Malignität erbrachte, bedürfen keiner Schilddrüsenambulanz, wenn folgende Grundlage für die Verlaufsbeobachtung gegeben ist: Die sonografische Kontrolle hat in Kenntnis der Vorbefunde zu erfolgen, da das Verfahren hinsichtlich der Volumetrie des Organes und des Knotens selbst in erfahrenen Händen mit einer hohen Variabilität behaftet ist (> 10%). Die serielle Untersuchung und Dokumentation durch einen Untersucher erleichtert die Verlaufsbeobachtung und die Erfassung „wahrer“ Veränderungen von Knoten (Größenwachstum, Struktur).
Weitere, seltenere Indikationen für die Zuweisung an eine Schilddrüsenambulanz sind:
Die Thyreoiditis de Quervain ist die häufigste schmerzhafte Entzündung der Schilddrüse. Sie tritt saisonal unterschiedlich häufig auf und geht charakteristischerweise mit einem ausgeprägten Krankheitsgefühl einher. Die Diagnose wird klinisch, szintigrafisch, sonografisch und laborchemisch gestellt. Die Behandlung erfolgt mit nicht-steroidalen Antiphlogistika oder, häufiger, da besser ansprechend, mit Glukokortikoiden in anfangs hoher Dosierung (25–50 mgPrednisolon), die schrittweise bis zur Normalisierung der initial massiv erhöhten Entzündungsparameter reduziert wird.
Nach entsprechender Vorselektion hinsichtlich der Indikation und Dringlichkeit stellt die Abklärung einer Schilddrüsenerkrankung an einer spezialisierten Schilddrüsenambulanz doch die patientenfreundlichste Strategie dar. Im Zuge eines standardisierten Ambulanzkonzepts mit dem Angebot aller erforderlichen diagnostischen Mittel (Labor, Sonografie, Szintigrafie mit Beurteilung im klinischen Kontext) gelingt es in den allermeisten Fällen innerhalb adäquater Zeit, die Diagnose zu sichern und entsprechende therapeutische Maßnahmen einzuleiten.
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