In den 1960er-Jahren gab es durch entsprechende Fortschritte in der Labormedizin erstmalig die Möglichkeit, verschiedene Hormone im Serum der Frauen zu bestimmen, und dies führte im Weiteren an vielen Universitätsfrauenkliniken im gesamten deutschsprachigen Raum zum Aufbau von Hormonambulanzen und Abteilungen für gynäkologische Endokrinologie.
Exodus der Reproduktionsmedizin: Die sensationellen Erfolge mit den ersten „Retortenbabys“ in den 1980er-Jahren im Rahmen der In-vitro-Fertilisation brachten im Anschluss eine Ausweitung der gynäkologischen Endokrinologie in Richtung Reproduktionsmedizin, und es setzte ein regelrechter Boom innerhalb dieser Spezialisierung ein. Die rasante Entwicklung wurde auch dadurch unterstützt, dass die In-vitro-Fertilisation zumindest in den ersten Jahrzehnten derart gut dotiert war, dass sich viele Kolleginnen und Kollegen aus den Universitäten zurückzogen und lukrative IVF-Institute gründeten. Die scheinbar unbegrenzten finanziellen Möglichkeiten in der Niederlassung lockten den akademischen Nachwuchs dann weiter aus den Universitäten.
In den letzten Jahren wurde vor allem in Deutschland, aber auch in Österreich beobachtet, dass die Anzahl der Ordinariate und selbstständigen Abteilungen für Gynäkologische Endokrinologie kontinuierlich abnimmt. Bestehende Abteilungen, z. B. in Frankfurt, Freiburg, Berlin oder auch Graz, wurden nach Ausscheiden der Lehrstuhlinhaber nicht mehr nachbesetzt oder es wurden nur Substrukturen geschaffen, die diese Aspekte des Faches mitbetreuten.
Verlust eines integralen Teilgebiets gefährdet die Facharztausbildung … Der generelle Rückzug der Universitätskliniken aus der gynäkologischen Endokrinologie und der Reproduktionsmedizin führte dazu, dass eine angemessene Weiterbildung in diesem essenziellen Teilgebiet unseres Faches im Rahmen der Facharztausbildung in vielen Kliniken nicht mehr möglich ist. Bedauernswerte Folgen dieser Entwicklung sind dann das Fehlen ausreichender Kenntnisse auf dem Gebiet der gynäkologischen Endokrinologie nach der Facharztausbildung, was sich für die Praxis als besonders ungünstig herausstellt, da ein Großteil der täglichen Probleme der Patientinnen in diesem Bereich liegen.
Ein weiterer in diesem Zusammenhang wichtiger Aspekt muss allen ebenso bewusst sein: Das European Board and College of Obstetrics and Gynecology (EBCOG) – verantwortlich für die Ausbildung in unserem Fach – sieht für das Gesamtfach Geburtshilfe und Gynäkologie die Endokrinologie und Reproduktionsmedizin als integralen Bestandteil an. Die Anerkennung als Ausbildungszentrum wird von dieser europäischen Dachorganisation nur unter der Voraussetzung ermöglicht, dass die Ausbildung in der Endokrinologie und Reproduktionsmedizin gewährleistet ist.
Die Tatsache, dass auch in der Gesundheitsversorgung immer mehr ökonomische Aspekte in den Vordergrund treten, war vor allem in Deutschland die wesentliche Ursache, dass immer mehr Abteilungen für Endokrinologie und Reproduktionsmedizin geschlossen wurden. Nunmehr wird hierfür die Rechnung präsentiert. Nicht nur, dass die Anerkennung als europäische Basiszentren für Universitätskliniken vielerorts nicht mehr möglich ist, kommt es immer mehr zur Problematik der fehlenden Nachwuchsentwicklung in der Reproduktionsmedizin. Eine ähnliche Entwicklung könnte auch in Österreich auftreten, wenn endokrinologische Abteilungen geschlossen bzw. nicht mehr strukturell weiterentwickelt werden.
… und die wissenschaftliche Attraktivität für den Nachwuchs: Die gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin hat international mit der Entwicklung neuer molekularbiologischer und -genetischer Verfahren in der allerletzten Zeit eine weitere rasante Entwicklung erfahren, die in Zukunft vermutlich noch zunehmen wird. Leider sind infolge der oben dargestellten Entwicklungen zumindest in Deutschland nur einige universitäre Einrichtungen an dieser Forschung beteiligt. Dies führt letztlich aber dazu, dass junge Kolleginnen und Kollegen in der gynäkologischen Endokrinologie auch keine wissenschaftliche Perspektive mehr sehen und sich aus diesem Bereich zurückziehen.
Ureigene Indikationen von anderen Fächern betreut: Eine zusätzliche Folge des Rückzugs ist, dass nicht ausreichend kompetent vertretene Bereiche von anderen Fächern übernommen werden. Internistische Endokrinologen kümmern sich zunehmend um gynäkologisch-endokrinologische Fragestellungen, das polyzystische Ovar-Syndrom ist beispielsweise an vielen Standorten bereits in fester Hand der internistischen Endokrinologen.
Noch nie so wichtig wie heute: Darüber hinaus gilt es auch zu bedenken, dass sehr viele aktuelle Themen der politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung in den Bereich der Reproduktionsmedizin fallen oder ihn partiell berühren. Zu nennen sind z. B. die Diskussion um Stammzellen, Gender-spezifische Erkrankungen, Transidentität mit entsprechenden Behandlungsoptionen und natürlich auch das „Ovarian Tissue Banking“ durch die Verschiebung der fertilen Phase in höhere Lebensabschnitte. Es ist eigentlich schwer vorstellbar, dass bei all diesen Themen die Universität „ihre Sprache verliert“.
Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe hat diese Situation, die das Gesamtfach unmittelbar gefährdet, erkannt und seit längerem eine Strukturkommission eingesetzt, die prüfen soll, ob man an jeder Universitätsfrauenklinik eine selbstständige Abteilung mit eigenem Budget einrichten kann. Hierbei werden Fragen zur Wirtschaftlichkeit, zur Bereitstellung eines ausreichend großen Assistenten- und Oberarztpools und Fragen zur Grundausstattung diskutiert.
Darüber hinaus haben sich die verbliebenen universitären reproduktionsmedizinischen Zentren Deutschlands zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen, die seit 2012 auch als AG der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) firmiert. Derzeit sind bereits wieder 24 Universitätskliniken und akademische Lehrkrankenhäuser als Mitglieder in dieser AG aktiv und deren Ziele sind die aktive Förderung der universitären Reproduktionsmedizin in klinischer, wissenschaftlicher und standespolitischer Hinsicht sowie die Förderung wissenschaftlicher Kooperationen zwischen nationalen und internationalen universitären Zentren und die Entwicklung beruflicher Perspektiven für Reproduktionsmediziner.
In Österreich gibt es zumindest in Wien und Innsbruck noch eigenständige endokrinologische Abteilungen an den Universitäten und Innsbruck wurde sogar als eigenes Ordinariat nachbesetzt. Dies gibt Anlass zur Hoffnung, denn es wäre fatal, wenn wir die Fehlentwicklungen beschreiten würden, an deren Korrektur die deutsche Fachgesellschaft zurzeit mühevoll arbeitet.
Im September 2016 erhielt unsere endokrinologische Abteilung in Wien nach einer mehrtägigen Visitierung durch die Repräsentanten der ESHRE (European Society of Human Reproduction and Embryology) und der EBCOG (European Board & College of Obstetrics and Gynecology) die Akkreditierung als europaweit erst 12. Zentrum und als 1. Zentrum für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin in Österreich. Diese Auszeichnung hat letztlich mitgeholfen, die in obigem Sinne bereits vom Rektorat der Medizinischen Universität geplante Zuordnung unserer Abteilung an die Geburtshilfe abzuwenden.
FAZIT: Frei nach Herbert Marcuses Theorie, dass sowohl die Struktur als auch das Individuum essenziell sind, sollte die Gründung eigenverantwortlicher Abteilungen und Lehrstühle für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin an Universitätskliniken in Zukunft weiter forciert und durch habilitierte Leiter mit eigenem Personalschlüssel und eigener Budge
tverantwortlichkeit besetzt werden.