In der sogenannten Alternativmedizin werden nichtmedizinische Verfahren, zu denen in diesem Kontext auch die Homöopathie zählt, „alternativ zur Medizin“ angewendet. Es gibt allerdings keine Situation, in der ein Arzt medizinisch überprüfte, wirksame und indizierte Therapien durch andere (= „alternative“) nichtmedizinische Maßnahmen ersetzen darf. Tut er dies, verstößt er gegen die gesetzlichen Vorschriften, durch die eine klare Grenze gesetzt ist. Es kann deshalb, von dieser Definition ausgehend, keine wie immer geartete „Integration“ der Alternativmedizin in die medizinische Patientenbehandlung geben.
Komplementärmedizin bedeutet nach meinem Verständnis, nichtmedizinische Verfahren komplementär („ergänzend“) zur Medizin anzuwenden. Problematisch an diesem Begriff ist, dass er insinuiert, die Medizin bedürfe einer medizinischen (!) Ergänzung durch die Komplementärmedizin. Das ist sicher nicht der Fall.
Prinzipiell steht es allerdings Patienten natürlich frei, zusätzlich („komplementär“) zu medizinischen Therapien Aktivitäten zu setzen, die ihr Wohlbefinden verbessern. Dabei ist völlig irrelevant, ob diese Aktivitäten aus medizinischer Sicht sinnvoll sind oder nicht. Das gilt auch für die Homöopathie, wenn sie in dieser Weise eingesetzt wird. Medizinisch ist nur relevant, ob die Aktivitäten, die Patienten setzen, mit der medizinischen Therapie (zum Beispiel Chemotherapie) interferieren. Tun sie dies, müssen Patienten darauf hingewiesen werden und muss entweder die entsprechende Aktivität eingestellt oder die medizinische Therapie beendet werden.
Weil an die 70 % der onkologischen Patienten eigenständig außermedizinische Initiativen zur Bekämpfung ihrer Krebserkrankungen setzen, gibt es für diese Patientengruppe eine dahingehende Beratung in einer entsprechenden Ambulanz am AKH Wien. Es ist nicht Aufgabe dieser Ambulanz, zu beraten, welche außermedizinischen Aktivitäten Patienten setzen sollen, sondern ob die Aktivitäten, die Patienten beabsichtigen, mit den medizinischen Therapien interferieren.
Da komplementäre Verfahren einschließlich der Homöopathie keine medizinischen Therapien sind, ist ein diesbezüglicher Unterricht im Medizinstudium auch nicht notwendig. Ärzte brauchen für ihre medizinische Beratung der Patienten kein Wissen über die Homöopathie. Man kann aus medizinischer Sicht davon ausgehen, dass gerade die Homöopathie keine Nebenwirkungen hat und mit medizinischen Therapien nicht interferiert.
Die immer wiederkehrende Diskussion über den medizinischen Stellenwert der Homöopathie ist trotz der emotionalen Aufladung vieler Diskutanten langweilig, überzogen und größtenteils entbehrlich. Wenn Ärzte sich in Homöopathie vertiefen und spezialisieren, ist das angesichts ihrer universitären medizinischen Ausbildung zwar mehr als verwunderlich. Einen Angriff auf die Medizin oder gar ein In-Frage-Stellen der Medizin stellt das meines Erachtens allerdings nicht dar.
Will die Homöopathie den Status einer medizinischen Therapie erlangen, muss sie lediglich ihre Wirksamkeit entsprechend den Regeln der medizinischen Wissenschaft nachweisen. Dazu muss es unter anderem eine empirisch abgesicherte Hypothese ihrer Wirksamkeit geben, auf deren Basis mehrere qualitativ hochwertige Studien der Anwendung am Menschen gemacht werden müssen, die eine Wirksamkeit beweisen. Diese Daten liegen bislang nicht vor.
Lehnen die Befürworter der Homöopathie oder anderer komplementärer Verfahren diese Erbringung der medizinischen Wirksamkeit ab, was ihnen durchaus unbenommen ist, wird sie von der Medizin als unwirksam betrachtet. Das ist das Privileg der Medizin.
Damit kann die Medizin – ganz unaufgeregt – gut leben und ganz offensichtlich auch die Homöopathie und andere komplementäre Verfahren. Nur so ist erklärbar, dass Letztere bisher keine ernsthaften Anstrengungen unternommen haben, sich nach den Kriterien der Medizin als medizinische Therapien zu etablieren.