Influenza – die unterschätzte Gefahr

Es ist ein verbreiteter Irrglaube, dass es sich bei der Influenza nur um eine lästige, aber letztendlich harmlose Infektionskrankheit handelt. Für Österreich gilt, dass keine andere Infektionskrankheit …

1. … so viele Menschen tötet wie die Influenza. Aufgrund der in Österreich regelmäßig erhobenen epidemiologischen Daten ist von circa 400 bis 4.000 Influenza-Toten pro Jahr auszugehen. Zum Vergleich: Jährlich sterben in Österreich circa 1.600 Frauen an Brustkrebs und etwa 4.000 Menschen an Lungenkrebs.

2. … der Bevölkerung so viel gesunde Lebenszeit durch die akute Erkrankung, deren Folgen oder vorzeitiges Versterben raubt. Dieser Verlust wird als DALY („disability-adjusted life years“) bezeichnet.

3. … zu derartig enormen Arbeitsausfallzeiten (inklusive die Pflegeurlaubszeiten für die Betreuung erkrankter Kinder) und somit zu einem ausgeprägten volkswirtschaftlichen Schaden führt.

4. … das Gesundheitssystem saisonal derartig stark belastet. Zwischen Dezember und März gehen die Ordinationen der Allgemeinmediziner „über“, die Notaufnahmen und Stationen sind überfüllt und internistische Intensivstationen zeitweise bis zu 50 % mit schwerstkranken Influenza-Patienten belegt. In Anbetracht der limitierten Betten-, Isolations-, Personal- und Finanzressourcen ist dieser Zustand für Patienten, Krankenhauspersonal und das finanzielle Budget der Krankenhäuser jedes Jahr eine unzumutbare Belastung.

Angesichts dieser Fakten überrascht es, dass sich in Österreich nur circa 10 % der Allgemeinbevölkerung und nur circa 20 % der Hochrisikopatienten (zum Beispiel kardiopulmonale, onkologische, rheumatologische und immunsupprimierte Patienten) mittels Impfung vor der Influenza schützen. Dies verwundert umso mehr, da wissenschaftlich gut belegt ist, dass die breite Anwendung der Influenza-Impfung auch trotz der nicht immer optimalen Virusstammzusammensetzung und Impfeffektivität die Gesundheit der Allgemeinbevölkerung, das Wohlsein und das Leben von Risikogruppen schützt und unnötige Behandlungskosten deutlich reduziert. Andere Nationen gehen mit dem Thema deutlich rationaler um. So sind beispielsweise in Großbritannien und in den Niederlanden 50–80 % der Hochrisikopatienten gegen Influenza geimpft. Dort wird die Impfung vom staatlichen Gesundheitswesen nicht nur proaktiv beworben, sondern konsequenterweise auch gratis, flächendeckend und niedrigschwellig, zum Beispiel in Apotheken, angeboten. Davon sind wir in Österreich aktuell weit entfernt. Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger fühlt sich gesetzlich nicht verpflichtet, und von staatlicher Seite ist kein Initiative zur Einführung einer kostenfreien Influenza-Impfung (der Patient braucht weder den Impfstoff noch die Applikation zu bezahlen) zu erkennen. Somit wird weiterhin jedes Jahr viel Leid und eine enorme Ressourcenverschwendung in Kauf genommen. Um dieses Problem anzugehen, hat sich 2018/2019 die Task-Force „Influenza in Österreich“ gegründet, ein Zusammenschluss von Fachgesellschaften der unterschiedlichen Spezialisierungen (Innere Medizin, Allgemeinmedizin, Pneumologie, Kardiologie, Intensivmedizin, Rheumatologie, Nephrologie, Kinderheilkunde et cetera).

 

 

Der Virus, die Infektion und die Erkrankung

Die Grippe wird bekanntlich durch Influenza-A- oder -B-Viren (und deren Subtypen) ausgelöst und führt in der Regel zu einer selbstlimitierenden fieberhaften Infektion mit mehr oder weniger ausgeprägten respiratorischen Beschwerden und Allgemeinsymptomen. Entgegen der landläufigen Meinung lassen sich Non-Influenza-Virusinfektionen (grippale Infekte) und die wirkliche Grippe in vielen Fällen nicht so einfach unterscheiden. Studien belegen, dass bei der Influenza in vielen Fällen kein hohes Fieber vorliegt – und auch der angeblich „plötzliche“ Beginn ist nicht wirklich spezifisch für die Grippe. Für den definitiven Nachweis wird daher zunehmend (vor allem bei schwer erkrankten Patienten, zum Beispiel in der Notaufnahme) eine PCR als Point of Care Test (Nasen-Rachen-Abstrich) durchgeführt. Das PCR-Ergebnis liegt nach 1–2 Stunden vor und ist wichtig für das weitere Management (antivirale Therapie, Isolationszimmer, engmaschige kardiopulmonale Überwachung et cetera).

Da ein direkter Erregernachweis mittels PCR außerhalb der Krankenhäuser nicht möglich ist, wird im ambulanten Bereich bei weniger kranken Personen während der Grippesaison nur von „influenza-like illness“ (ILI) gesprochen. Der Begriff ILI wurde 2014 von der WHO neu definiert (akute Atemwegsinfektion mit Fieber ≥ 38 °C und Husten, welche in den letzten 10 Tagen begonnen hat) und inkludiert die Influenza, aber auch viele andere fieberhafte Infektionen durch Rhino-, RS-, Adeno- oder Parainfluenzaviren.
Bei sonst gesunden und kardiorespiratorisch stabilen Personen werden ILI, und somit auch die Grippe, in der Regel ambulant und ausschließlich konservativ behandelt: Heimquarantäne, viel trinken, gegebenenfalls Schmerz- und Fiebermittel, keine antivirale Therapie. Meist klingt die Infektion nach 7–10 Tagen ab.

 

 

Höhere Mortalität als STEMI

Die meisten Influenza-Infektionen treten jedes Jahr bei Kindern und Jugendlichen auf. Auch wenn diese in der Regel komplikationslos verlaufen, sind in Österreich in der Grippesaison 2018/2019 doch auch fünf Kinder an der Influenza verstorben.
Schwere Verläufe werden aber hauptsächlich bei älteren und komorbiden Menschen beobachtet. Die Krankenhausmortalitätsrate der Influenza liegt dabei bei circa 7–13 %. Damit ist eine krankenhauspflichtige Grippe gefährlicher als ein akutes Koronarsyndrom mit STEMI (Krankenhausmortalitätsrate bei adäquater Therapie liegt bei circa 5 %). Die meisten Influenza-Opfer sterben entweder an einem respiratorischen Versagen – durch influenzainduzierte Pneumonien oder COPD-Exazerbationen beziehungsweise sekundäre Pneumonien mit Pneumokokken, Staphylokokken oder Aspergillus – oder an einem influenzainduzierten kardiovaskulären Versagen. Letzteres wird häufig unterschätzt. Es sei daran erinnert, dass während einer Influenza-Infektion das Herzinfarktrisiko akut um das 5–10-Fache ansteigt. Darüber hinaus wurde in einer Vielzahl von Studien gezeigt, dass die Influenza-Impfung das Risiko von kardiovaskulären Ereignissen (inklusive Mortalität) deutlich reduziert. Insgesamt wird davon ausgegangen, dass die Influenza-Impfung einen Herzinfarkt mit einer 15–45%igen Effektivität verhindert, was der Wirksamkeit von Antihypertensiva oder Statinen entspricht. Somit stellt die Influenza-Impfung im übertragenen Sinne eine Impfung gegen Herzinfarkt und somit ein kardiologisches Medikament dar. Das Gleiche gilt für COPD-Patienten. Auch bei ihnen reduziert die Influenza-Impfung die Wahrscheinlichkeit schwerer Exazerbationen und die Mortalität. Dementsprechend wird die Influenza-Impfung für KHK-, COPD-, immunsupprimierte und andere komorbide Patienten selbstverständlich dringlich empfohlen, aber in Österreich fahrlässigerweise bei nur erschreckend wenigen Patienten umgesetzt.

Prävention durch Influenza-Impfung

Die Impfstoffeffektivität der Influenza-Impfung ist nicht perfekt und variiert
von Jahr zu Jahr. Trotzdem zeigen Metaanalysen und groß angelegte Studien je nach Influenza-Stamm eine Impfstoffeffektivität zwischen 33 und 73 %. Selbst wenn die Impfung die Infektion nicht immer vollständig verhindert, so reduziert die Impfung trotzdem die Wahrscheinlichkeit von schweren und komplizierten Verläufen. In dem Sinne stellt die Influenza- Impfung ein effektives und wichtiges Medikament dar. Sie ist zusätzlich gut verträglich, und ernsthafte Nebenwirkungen treten nur sehr selten auf.

Aufgrund der vielen oben genannten Daten und Argumente wird die Influenza-Impfung vernünftigerweise allen Personen (beginnend ab dem 6. Lebensmonat) empfohlen. Dringlich zu empfehlen ist die Impfung aber in jedem Fall folgenden Gruppen: Personen mit chronischen Lungen-, Herz-, Nieren-, ZNS-, Stoffwechsel-, Kreislauferkrankungen, Personen mit Immundefekten, Personen mit einem BMI ≥ 40, Schwangeren und Frauen, die während der Influenza-Saison schwanger werden wollen, Kindern ab dem vollendeten 6. Lebensmonat, Personen im Umfeld von Neugeborenen, Personen ab dem vollendeten 50. Lebensjahr, Betreuungspersonen (zum Beispiel in Spitälern und Altersheimen) und Haushaltskontakte der zuvor genannten Risikogruppen.

 

Literatur beim Verfasser