Die Kinderschutzleitlinien beinhalten vor allem Handlungsempfehlungen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen. Diese sind speziell an alle Fachkräfte aus den Bereichen des Gesundheitswesens gerichtet, um das Erkennen einer Kindesmisshandlung oder Kindesvernachlässigung besser zu verstehen und den Umgang damit zu erlernen. Alle medizinischen Fachkräfte sollen bei einem Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung einen Ablaufplan berücksichtigen, dabei sind die Dokumentation der Situation, Aussagen von Dritten, Gespräche oder erhobene Befunde sehr wichtig. Hier werden die für den zahnmedizinischen Bereich wichtigen Punkte aufgegriffen.
Zahnärzte sollen unbedingt bei Kindern und Jugendlichen mit vermehrter Karies mehrere Faktoren mit dem Kind und dessen Sorgeberechtigten besprechen, um eine dentale Vernachlässigung und einen Differenzialdiagnose auszuschließen. Es ist wichtig, dass es keinen Grenzwert für die Anzahl der kariösen Läsionen gibt, ebenso wenig, wie es eine spezifische Erkrankung des Mundes gibt, die zwangsläufig zur Diagnose der Vernachlässigung führt:
Ein wichtiger Anhaltspunkt für eine Vernachlässigung durch die Sorgeberechtigten gegenüber den Kindern liegt vor, wenn diese über die Art und das Ausmaß der Erkrankung durch Karies informiert wurden und den Nutzen einer Behandlung und über weiterführende Schäden einer Nichtbehandlung des Kindes aufgeklärt wurden, ihren Kindern jedoch eine indikationsgerechte zahnärztliche Behandlung und Unterstützung bei der Mundhygiene verweigern. Das Enthalten der erforderlichen Behandlung trotz Aufklärung über die spezifischen Behandlungsoptionen und den Zugang zu diesen lässt keine Abwendung von weiterführenden Schäden des Kindes zu und gilt daher ebenso als Kindeswohlvernachlässigung.
Jede Verletzung im Gesicht des Kindes oder im oralen Bereich eines Kindes sollte genau untersucht und dokumentiert werden. Liegt kein Trauma durch einen Unfall vor, oder liegt dem behandelnden Zahnarzt nur eine zweifelhafte Anamnese vor, sollte dem Verdacht auf eine körperliche Misshandlung als Ursache der oralen Verletzung nachgegangen werden. Zahnärzte sind bei gewichtigen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung angehalten, eine genaue Diagnostik durchzuführen und diese an die entsprechenden Stellen weiterzuleiten.
Ein typischer Grund für das Nichtwahrnehmen eines Termins beim Zahnarzt mit den Kindern ist die Überlastung der Sorgeberechtigten im Alltag, die sich wiederum in einer zu geringen Wertigkeit der Mundgesundheit ihrer Kinder widerspiegelt. Insbesondere unversorgte tiefkariöse Läsionen können ein Indiz für Kindeswohlgefährdung sein, denn die Sorgeberechtigten haben keine große Bereitschaft, zum Zahnarzt zu gehen, und lassen Termine einfach ausfallen. Es werden häufig in der kompletten Familie keine regelmäßigen Zahnarztbesuche durchgeführt, da das Vertrauen in das zahnmedizinische Gesundheitssystem und das Selbstvertrauen der Sorgeberechtigten selbst fehlt. Vernachlässigte Kinder weisen mehr unversorgte kariöse Stellen auf als altersentsprechende Kinder.
Es muss ganz klar gesagt werden, dass das zahnärztliche Behandlungsteam und der Zahnarzt selbst nicht dafür verantwortlich sind, dass eine Diagnose der Kindesvernachlässigung gestellt wird. Wichtig ist es aber, dass etwaige Bedenken des zahnmedizinischen Fachpersonals an die entsprechenden Stellen mitgeteilt werden. Die empfohlene Zusammenarbeit zwischen Zahnärzten, anderen Ärztegruppen und Mitarbeitenden der Jugendämter bedeutet auch die tatsächliche Mitarbeit aller involvierten Personen. Ein entscheidender Punkt dabei ist, dass Netzwerkstrukturen aufgebaut werden sollten und der Zugang zu den entsprechenden Stellen erleichtert wird. Der gesetzliche Auftrag zur Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung liegt dann beim Jugendamt selbst. Wünschenswert wäre es, dass bei einem bestätigten Fall von Kindesvernachlässigung eine routinemäßige zahnärztliche Untersuchung veranlasst wird.
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