SARS-CoV-2 – was weiß man, was weiß man (noch) nicht

 

Die Inkubationszeit wird mit 2–14 Tagen angegeben, im Durchschnitt mit 5 Tagen. Vor kurzem wurden 2 chinesische Untersuchungen publiziert, die in Einzelfällen auch längere Inkubationszeiten (24 Tage beziehungsweise 27 Tage) als möglich erachten.
Was weiß man tatsächlich über die Inkubationszeit? Sind 24 oder 27 Tage als statistische Ausreißer zu erklären oder gibt es andere Erklärungen?

Im Moment würde ich das als statistische Ausreißer sehen. Aus wissenschaftlicher Sicht gilt nach wie vor die in der Stellungnahme sowohl von WHO als auch ECDC angegebene Inkubationszeit von 2 bis 14 Tagen, das ist aus jetziger Sicht ausreichend. Die durchschnittliche Inkubationszeit liegt bei 5 Tagen.
Das Problem der von Ihnen angesprochenen Publikationen, die Einzelfälle von 21 oder 24 Tagen publizieren, liegt auch darin, dass ja nicht bekannt ist, ob diese Patienten nicht dazwischen noch andere Kontakte hatten, bei denen sie sich dann angesteckt haben.

Was weiß man zur Infektiosität des Virus? Von welcher MID ist auszugehen?
Hierzu sind die Forschungen erst im Laufen. Es ist im Augenblick noch zu früh, um Aussagen zur minimalen Infektionsdosis (MID) und zum R0-Wert machen zu können.

Warum ist das noch zu früh?
Weil derzeit die Dunkelziffer noch viel zu hoch ist. Die Rate der asymptomatisch Infizierten ist derzeit noch nicht bekannt. Dementsprechend ist es auch noch zu früh, um die MID oder den R0-Wert abschätzen zu können.

Gibt es Schätzungen für die Größenordnung des R0-Wertes?
Der R0-Wert sagt aus, wie viele Menschen durchschnittlich von einem Infizierten angesteckt werden. Masern ist mit einem R0-Wert von 12–18 eine hochinfektiöse Erkrankung, bei HIV liegt der R0-Wert bei 2, ebenso bei Influenza. Man sieht aus den derzeit verfügbaren Daten, dass SARS-CoV-2 wahrscheinlich infektiöser ist als Influenza, aber wie hoch der R0-Wert tatsächlich ist, ist Gegenstand der laufenden Forschung.

Von welcher Verweildauer auf kontaminierten Oberflächen ist auszugehen?
Das kommt auf die Umweltbedingungen an. Anfangs ging man von einem Bereich von nur einigen Stunden aus, mittlerweile ist davon auszugehen, dass es doch eher im Bereich von Tagen liegen dürfte. Generell können Viren umso länger an Oberflächen persistieren, je kälter es ist. Und je wärmer es ist, umso schneller werden sie inaktiviert. Bei kontaminierten Außenflächen bei winterlichen Temperaturen wird man daher von einer längeren Infektiosität ausgehen müssen als in Innenräumen bei Zimmertemperatur. 

Es sind ja viele eher mildere Verläufe beschrieben, ebenso wie asymptomatische „Patienten“. Wie hoch wird die tatsächliche Erkrankungsrate nach einer Infektion geschätzt? Wie hoch die Rate an asymptomatisch Infizierten?
Nach derzeitigem Erkenntnisstand weiß man, dass etwa 80 Prozent der Infizierten entweder leicht oder gar nicht erkranken. Wie hoch die tatsächliche Rate an asymptomatisch Infizierten ist, lässt sich derzeit noch nicht beantworten, weil ja keine Abstriche bei asymptomatischen Menschen durchgeführt werden. Diese Daten werden jedoch nun, da das Virus in Europa Einzug gehalten hat, wahrscheinlich relativ bald verfügbar sein, weil mit den jetzt in Europa aufgetretenen Fällen ein intensives Contact Tracing erfolgt, Kontaktpersonen untersucht und Abstriche genommen werden. Erst mit diesen Daten wird erkennbar, welche Rate an asymptomatischen Verläufen es tatsächlich gibt. Wir warten hier auf erste Daten und Publikationen. Derzeit weiß man nur, dass größenordnungsmäßig 4 von 5 Infizierten entweder einen leichten respiratorischen Infekt haben oder asymptomatisch infiziert sind.

Ab wann im Infektionsverlauf und wie lange gelten Erkrankte/Infizierte als infektiös
Auch dazu laufen intensive Forschungen. Im Moment ist davon auszugehen, dass man 24 bis 48 Stunden vor Symptombeginn – wie bei jedem respiratorischen Infekt – schon Viren ausscheidet, sofern es einen Symptombeginn überhaupt gibt und der Betroffene nicht asymptomatisch bleibt.
Wie lange die Virusausscheidung erfolgt, ist offenbar unterschiedlich und abhängig vom Krankheitsverlauf. Wie die chinesischen Daten zeigen, waren 14 Tage Quarantäne für Erkrankte meist ausreichend, um negativ zu werden. Bei Patienten mit schweren Krankheitsverläufen hingegen waren Quarantänemaßnahmen aber auch bis zu 7 Wochen notwendig. Erste europäische Daten deuten darauf hin, dass die Zeitspanne der Virusausscheidung 14 Tage oder eventuell auch kürzer ist. Auch das wird man in den europäischen Publikationen, die demnächst zu erwarten sind, sehen. Was man derzeit schon sagen kann, ist, dass die Virusausscheidung länger ist als bei Influenza.

Sie haben gesagt, dass man 24 bis 48 Stunden vor Symptombeginn – so ein solcher überhaupt kommt – schon infektiös ist. Das führt zur Frage: Ist davon auszugehen, dass auch asymptomatisch Infizierte das Virus übertragen können?
Nach derzeitigem Wissensstand: Ja!

Wie beurteilen Sie die Möglichkeit einer dauerhaften Viruspersistenz bei asymptomatischen Trägern?
Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand asymptomatisch ist und dann dauerhaft Virus ausscheidet, erachte ich als nicht gegeben. Man weiß generell von respiratorischen Virusinfektionen, egal ob das RSV, Rhino- oder Influenzaviren sind, dass Immunsupprimierte wesentlich länger ausscheiden. Das sieht man jetzt auch bei SARS-CoV-2. Aber dass asymptomatisch Virusträger dauerhaft Virus in Form einer latenten Virusinfektion ausscheiden, ist sehr unwahrscheinlich.

Wie lassen sich die niedrigeren Erkrankungsraten bei Kindern erklären?
In allen Beobachtungen, die sich auch an den Letalitätsraten bestätigen, hat sich gezeigt: dass Kinder entweder nicht oder viel, viel milder erkranken. Das ist mit ziemlicher Sicherheit mit dem Status des Immunsystems zu erklären. Je schwächer das Immunsystem ist, umso schwerer ist der klinische Verlauf und umgekehrt. Neben dem Immunsystem als ganz wesentlicher Faktor werden aber wohl auch andere Faktoren mitspielen, die derzeit noch erforscht werden.

Der Erregernachweis erfolgt mit PCR. Ist das die einzige diagnostische Möglichkeit?
Im Moment ja. Es ist aber auch die beste Möglichkeit, weil es ein direkter Erregernachweis ist. Der Test ist sehr rasch, sehr verlässlich, hoch genau und hoch sensitiv.

An welcher Körperstelle sollte die Probenahme erfolgen?
Am besten sollte, wie sich mittlerweile herausgestellt hat, ein kombinierter Nasen-Rachen-Abstrich erfolgen. Dieser ist dem respiratorischen Sekret vor allem bei nur leicht Erkrankten überlegen.

Am Anfang war man jedoch vom tiefen respiratorischen Sekret ausgegangen?
Generell sollte ein Abstrich immer dort erfolgen, wo die Symptomatik vorliegt. Bei Personen mit leichter Symptomatik wie Schnupfen, Halsweh et cetera ist von einer Infektion und Virusbelastung im Nasen-Rachen-Raum auszugehen. Deshalb sollte auch ein Nasen-Rachen-Abstrich erfolgen! Bei Patienten mit Pneumonie wiederum ist im respiratorischen Sekret mit hoher Virusbelastung zu rechnen, bei ihnen ist daher die Untersuchung von respiratorischem Sekret sinnvoll.

Es wurde immer wieder von Fällen berichtet, die zunächst negativ, dann positiv getestet wurden. Lassen sich falsch negative Fälle über eine Probenahme zum falschen Zeitpunkt im Infektionsverlauf erklären?
Es ist davon auszugehen, dass bei jenen Fällen, die zunächst negativ getestet wurden und dann positiv wurden, der Abstrich zu früh erfolgte. Das betraf Personen, die zum Zeitpunkt der ersten Abnahme keine Symptome hatten. Die Inkubationszeit ist daher zu bedenken.
Viele Personen wollen derzeit einen Nasen-Rachen-Abstrich durchführen lassen, weil sie gerade aus einem Risikogebiet zurückgekommen sind. Diesen Personen müssen wir erklären, dass ein negativer Abstrich beispielsweise am Tag 3 bei einer Inkubationszeit von 2 bis 14 Tagen nicht aussagekräftig ist.

Sind andere Tests, Schnelltests oder Bedside-Tests, in Entwicklung? Wie aussagekräftig werden sie im Vergleich zur PCR sein?
Unter anderem sind Antigen-Schnelltests in Entwicklung. Wo die Sensitivität und die Spezifität dieser Tests liegt, kann derzeit noch nicht gesagt werden, weil es noch keine Vergleichsstudien zur PCR gibt.

Vielen Dank für das Gespräch
(Interview: 28.2.2020)

Seit 24. Februar wurde das österreichische Influenza-Erfassungssystem um die Bestimmung von SARS-CoV-2 erweitert. Damit wird jede Probe, die von den über 90 Sentinel-Ärzten quer durch ganz Österreich abgenommen und zur Influenza-Bestimmung an das Zentrum für Virologie geschickt wird, nun automatisch auch auf SARS-CoV-2 untersucht. Damit soll es möglich werden, eine mögliche sogenannte „Hintergrundaktivität“ frühzeitig zu erkennen.