Auf Grund der hinlänglich bekannten demografischen Entwicklung ist alt zu werden heute beinahe die Regel und nicht die Ausnahme. In den deutschsprachigen Ländern sind etwa 5 % der Bevölkerung 80 Jahre oder älter, Tendenz steigend. Letztlich bedeutet Altern eine progressive Abnahme von Funktionalität und Ressourcen, was dazu führt, dass interne und externe Stressfaktoren wie Krankheiten oder Verletzungen nicht mehr ausreichend kompensiert werden; zugleich steigt das Risiko für altersassoziierte Erkrankungen.
Als zentrales Konzept der Medizin alter Menschen hat sich seit den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts das der Frailty etabliert. Frailty ist ein geriatrisches Syndrom, das durch eine verminderte Resistenz gegenüber Stressfaktoren charakterisiert ist. Ursächlich ist eine zunehmend reduzierte funktionelle Reserve der physiologischen Systeme, Folge ist eine erhöhte Vulnerabilität mit Anfälligkeit für Komplikationen: Typisch geriatrische Phänomene wie Stürze, Verlust der Selbstständigkeit, aber auch ein erhöhtes Risiko für Krankheiten und Tod charakterisieren als frail eingestufte Menschen. Im Sinne eines Circulus vitiosus tragen (patho-)physiologische Alternsveränderungen, Krankheiten und Polymedikation zur Propagation bei. Der Prozess ist zum Teil reversibel, ein Optimieren der Ernährung sowie körperliches Training stehen als Interventionsmöglichkeiten zur Verfügung.
Die phänotypische Definition von Frailty erfolgt meistens nach den Kriterien von Linda Fried1. Dazu werden 5 Parameter erhoben: Gewichtsverlust, subjektiv empfundene Müdigkeit, körperliche Schwäche (Handkraft), langsame Gehgeschwindigkeit und geringe körperliche Aktivität (Tab.).
Interessanterweise korreliert die subjektiv empfundene Müdigkeit am stärksten mit harten Endpunkten wie Krankenhausaufnahme, Sturz oder Tod. Die Frailty-Prävalenz bei über 65-Jährigen wird mit einer Schwankungsbreite zwischen 6 % und 27 % angegeben und dürfte bei den über 80-Jährigen etwa 20 % betragen, Frauen sind häufiger betroffen.2
Frailty ist ein komplexer Prozess, dem verschiedene Pathomechanismen zu Grunde liegen: Eine zentrale Rolle spielen inflammatorische Prozesse, das belegen erhöhte Plasmaspiegel des hs-CRP sowie inflam-matorischer Zytokine, die bei als frail eingestuften Personen regelhaft nachgewiesen werden. Frailty ist in engem Kontext mit dem Verlust von Muskelmasse und Mangel-ernährung zu sehen: Sarkopenie – der altersassoziierte Verlust von Muskelmasse und -kraft – geht naturgemäß mit einem erhöhten Risiko für funktionelle Einbußen einher. Auch Veränderungen anaboler Hormonachsen werden ursächlich angeschuldigt, das Nervensystem trägt mit Abnahme von Nervenleitgeschwindigkeit, Vergröberung neuromuskulärer Einheiten und zerebralen Veränderungen mit Einfluss auf Handlungsplanung und Motorik bei.
In den letzten Jahren häufen sich Berichte über die Zusammenhänge zwischen Frailty und neurokognitiven Erkrankungen. Wie bereits erwähnt, ist Frailty mit einem erhöhten Sterberisiko verbunden, was bedeuten kann, dass die klinische Manifestation einer neurokognitiven Störung nicht erlebt wird – man kann hier also von konkurrierenden Risiken ausgehen, die ein Quantifizieren der Zusammenhänge erschweren. Umgekehrt ist in Betracht zu ziehen, dass eine kognitive Beeinträchtigung Auswirkungen auf die Resilienz und individuelle Verletzlichkeit betagter Menschen haben kann: In Querschnitt-Untersuchungen wurde wiederholt gezeigt, dass fraile Individuen im Vergleich zu nichtfrailen eine geringere kognitive Leistungsfähigkeit haben.3, 4 Die enge Beziehung zwischen diesen Diagnosen ist nicht überraschend: Nach Rockwood stellt Frailty eine Akkumulation von Defiziten dar.5 (Abb.)
Zahlreiche Studiendaten belegen mittlerweile den Zusammenhang zwischen Frailty und neurokognitiven Erkrankungen: als frail eingestufte Individuen schnitten in verschiedenen kognitiven Domänen signifikant schlechter ab6, und ihr Demenz-Risiko war hochsignifikant erhöht7. Dies gilt sowohl für die Alzheimer-Erkrankung als auch für andere Demenzformen. In der SHARE-Studie wurde gezeigt, dass als frail eingestufte Menschen ein höheres Demenz-Risiko haben und vice versa eine Demenz mit einem erhöhten Risiko für Frailty einhergeht.8 Aber nicht nur das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, ist bei Vorhandensein von Frailty erhöht, auch der Verlauf ist ungünstiger.9
Zusammenfassend kann man festhalten, dass eine zunehmend klare Beziehung zwischen neurokognitiven Störungen und Frailty besteht. Als Klammer können geteilte Risikofaktoren und gemeinsame pathophysiologische Mechanismen angesehen werden. Dies legt nahe, in der Abklärung neurokognitiver Störungen betagter Menschen auch geriatrische Assessment-Instrumente zur Identifikation frailer und frailty-gefährdeter Individuen anzuwenden.
1 Fried LP et al., J Gerontol A Biol Sci Med Sci 2001; 56(3):M146–M156
2 Santos-Eggimann B et al., J Gerontol A Biol Sci Med Sci 2009; 64(6):675–681
3 Robertson DA et al., Ageing Res Rev 2013; 12(4):840–51
4 Canevelli M et al., Curr Opin Clin Nutr Metab Care 2015; 18(1):43–50
5 Rockwood K et al., CMAJ 2005; 173(5):489–495
6 Robertson DA et al., J Am Geriatr Soc 2014; 62:2118–2124
7 Gray SL et al., J Gerontol A Biol Sci Med Sci 2013; 68(9):1083–1090
8 Godin J et al., J Alzheimers Dis 2017; 58(1):231–242
9 Kelaiditi E et al., J Am Geriatr Soc 2016; 64:1165–1170