Onkologische und hämatologische Patienten weisen gegenüber der allgemeinen Bevölkerung generell ein erhöhtes Risiko für vireninduzierte Pneumonien auf; dies dürfte auch auf das Risiko von SARS-CoV-2-Infektionen für diese Patientenpopulation zutreffen. Neben allgemeinen Risiken wie z. B. Alter ≥ 65 Jahre, Pflegeheim, spezifische Erkrankungen (z. B. chronische Lungenerkrankung, mittel- oder schwergradiges Asthma bronchiale, schwere Herzerkrankung, Adipositas [BMI ≥ 40], Diabetes mellitus, chronische Niereninsuffizienz unter Dialyse, Lebererkrankung) kommen für onkologische und hämatologische Patienten noch weitere, erkrankungs- bzw. therapieassoziierte Risiken hinzu:
Begleiterkrankungen erhöhen zudem die Wahrscheinlichkeit für einen schweren COVID-19-Erkrankungsverlauf.
Händedesinfektion, Einhalten von einem Mindestabstand von 2 m, Tragen von Mundschutz sowie eine Eingrenzung sozialer Kontakte
Allgemein gesundheitsrelevante Aspekte: ausreichender Ernährungsstatus (Behandlung einer Tumorkachexie, Ausgleich potenzieller Mangelzustände wie Vitamin-D- und Eisen-Mangel) und ausreichende Mobilität u. a. als Pneumonieprophylaxe (Physiotherapie, Atemtherapie); Nichtrauchen ist wie immer dringend empfohlen.
Arterielle Hypertonie: Patienten, die eine arterielle Hypertonie haben, sollten gut eingestellt sein, da dies einer der wichtigsten klinischen Risikofaktoren zu sein scheint. Zum Einfluss von ACE-Hemmern liegen unterschiedliche theoretische Konzepte vor, eine Änderung der Medikation bei Patienten mit nachgewiesener oder vermuteter COVID-19-Erkrankung ist nicht indiziert.
Es soll individuell abgewogen werden, ob die Verschiebung, Verzögerung oder Änderung einer Behandlung der Grundkrankheit indiziert ist. Daten aus Studien oder Registern liegen hierfür nicht vor. Entscheidungskriterien sind in der Abbildung zusammengefasst. Die grafische Darstellung führt auf, welche Kriterien bei einer Entscheidung berücksichtigt werden sollen. Sie illustriert auch, dass die Relevanz der jeweiligen Faktoren variabel ist. Dabei können sowohl Kriterien für als auch gegen eine Beeinflussung der Behandlungsentscheidung durch COVID-19 sprechen. Die jeweilige Gewichtung erfolgt individuell.
Generell gilt momentan, dass die effektive Behandlung der hämatologischen/onkologischen Erkrankung in den meisten Fällen für das Überleben der Patienten wichtiger ist als übertriebene Vorsichtsmaßnahmen im Sinne nicht unbedingt notwendiger Unterbrechungen oder Verschiebungen. Patienten, deren Erkrankung durch eine bestimmte Therapie kontrolliert ist, erleiden meistens weniger Infektionen als Patienten, die nicht effektiv behandelt sind. Außerdem kann ein Absetzen gut eingestellter Medikamente Patienten durch unerwünschte Ereignisse gefährden – z .B. Rebound-Phänomen nach Absetzen von Ruxolitinib.
In Abwägung individueller Faktoren kann es sinnvoll sein, manche Therapien auszusetzen oder zu verschieben. Für alle Patienten unter immunsuppressiver Therapie sollte strengstmögliche (häusliche) Isolation empfohlen werden.
Auch kann bei Patienten, die als Verdachtsfall eingestuft werden, nach Beginn einer strengen Quarantäne, soweit klinisch vertretbar, einige Tage gewartet werden, um die Entwicklung möglicher Symptome abzuschätzen. Da COVID-19 einen ähnlichen Verlauf wie eine Hypersensitivitätspneumonitis haben kann, sollte man bei Medikamenten, die diese Nebenwirkung ebenfalls verursachen können (z. B. Checkpoint-Inhibitoren), besondere Vorsicht walten lassen.
Nachsorge/Kontrolle bei stabilem Krankheitsverlauf: Bei Patienten in der Nachsorge nach einer Krebserkrankung oder bei Patienten mit stabilem Krankheitsverlauf einer hämatologischen oder onkologischen Erkrankung sollten Arztbesuche auf das unbedingt notwend ge Maß beschränkt bzw. auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.
Für onkologische/hämatologische Patienten mit Symptomen einer Atemwegsinfektion wird dringend eine Multiplex-NAT-Diagnostik aus respiratorischem Material empfohlen. Diese sollte mindestens Influenza und RSV, idealerweise auch andere respiratorische Viren wie Parainfluenza, Metapneumo- oder humane Coronaviren beinhalten. Da immungeschwächte Patienten eine mitigierte klinische Präsentation und ein höheres Risiko für Doppelinfektionen haben, sollte die Indikation für die Paneldiagnostik plus SARS-CoV-2 großzügig gestellt werden.
Untersuchungsmaterial sollte generell von der klinisch betroffenen anatomischen Lokalisation abgenommen werden, wobei Bronchiallavagen bzw. Material aus den unteren Atemwegen die höchste Aussagekraft haben. In der ersten Woche ist die Viruslast im Pharynx sehr hoch. Aus dem oberen Respirationstrakt werden typischerweise Nasen-Rachen-Abstriche als diagnostisches Material verwendet, Sputum, Rachenspülwasser oder Nasen-Rachen-Aspirate sind aber ebenfalls möglich. Reine Nasenabstriche sind aufgrund der geringen Sensitivität wenig sinnvoll, ebenso Analysen von Blut, Urin und Stuhl. Die verwendeten Materialien sollten mit dem zuständigen mikrobiologischen Institut abgestimmt werden und die Probenentnahme sollte standardisiert und gemäß fachlicher Instruktion erfolgen, um präanalytische Fehler und falsch-negative Resultate zu vermeiden. Bei persistierendem, klinischem und epidemiologischem Verdacht soll die Testung wiederholt werden.
In allen Fällen mit Lungenbeteiligung sollten wegen der Gefahr von Koinfektionen auch bakteriologische Untersuchungen inklusive Blutkulturen nach Standard abgenommen werden.
Bei onkologischen/hämatologischen Patienten mit Hinweis auf eine untere Atemwegsinfektion sollte zur Sicherung der Diagnose eine CT der Lunge erfolgen, ein Röntgen-Thorax ist nicht ausreichend.
Patienten werden umgehend isoliert. Das weitere Vorgehen soll individuell sein und sich auch an der Symptomatik orientieren. Bei infektiös symptomatischen Patienten können Therapien verschoben werden, wie dies auch bei anderen Virusinfektionen geschehen muss.
Wenn klinisch gut vertretbar, kann eine Reduktion der Immunsuppressiva erwogen werden. Dies sollte allerdings gegen die Gefahr eines Immunrekonstitutionssyndroms abgewogen werden. Die Rolle von Steroiden ist unklar; für Infektionen mit SARS-CoV-2 wurden zuletzt positive Effekte einer Steroidtherapie beschrieben. Andererseits zeigen sich für SARS oder Influenza in Metaanalysen mit weit mehr Patientendaten eher negative Effekte. Möglicherweise treten negative Effekte insbesondere bei hochdosierter Steroidtherapie auf, die mit einer verlängerten Ausscheidung und potenziell mit einem schlechteren Überleben vergesellschaftet zu sein scheint.
Es gibt keine Indikation für die Gabe von Immunglobulinpräparaten. Die Substitution von Immunglobulinen bei Hypogammaglobulinämie erfolgt entsprechend den EMA-Kriterien. Der Einsatz von Rekonvaleszentenplasma befindet sich derzeit in Erprobung, die ersten SARS-CoV-2-Impfungen in Entwicklung.
In der späteren Phase der COVID-19-Erkrankung spielt häufig eine Hyperkoagulopathie mit Nachweis peripherer und zentraler Lungenembolien eine entscheidende Rolle. Auch der Nachweis von Antiphospholipid-Antikörpern und multiple Infarkte sind beschrieben. Deshalb sollte eine prophylaktische, bei schwer kranken Patienten auch eine therapeutische Antikoagulation mit Heparin erwogen werden.
Antiviral wirksame Therapie: Spezifische Therapieoptionen sollten im Rahmen interdisziplinärer Konsultationen mit Infektiologen erwogen werden. Potenziell kommen derzeit Chloroquin/Hydroxychloroquin oder Remdesivir, eventuell zusammen mit Tocilizumab oder anderen IL-6-Antagonisten in Frage. Lopinavir/Ritonavir ist in vitro wirksam, allerdings konnte eine erste randomisierte Studie keinen signifikanten Benefit zeigen. Kritisch ist anzumerken, dass diese Studie wahrscheinlich eine zu geringe Power hatte, um einen geringen Effekt nachzuweisen und außerdem die Therapie im Median erst an Tag 13 nach Symptombeginn verabreicht wurde. Insofern ist eine frühzeitige Therapie mit Lopinavir/Ritonavir möglicherweise doch effektiv. Interferon-beta zeigte eine antivirale Wirkung gegen andere Coronaviren, insofern kann auch diese Substanz als potenziell wirksam gelten, wenn sie auch ein hohes Nebenwirkungspotenzial hat. Die vier genannten antiviralen Substanzen bzw. Kombinationen (Remdesivir, Lopinavir/Ritonavir, Lopinavir/Ritonavir mit Interferon beta-1a und Chloroquin oder Hydroxychloroquin) werden aktuell in der weltweiten randomisierten fünfarmigen klinischen SOLIDARITY-Studie gegen den therapeutischen Standard getestet.
Auch Ivermectin oder Favipiravir zeigten in vitro Aktivität gegen SARS-CoV-2. Obwohl die Datenlage bisher noch unsicher ist, kann man davon ausgehen, dass die Wirksamkeit einer Therapie höher ist, wenn sie zu einem frühen Zeitpunkt begonnen wird. Erfahrungen einer spezifischen Therapie bei SARS waren allerdings eher enttäuschend. Die Datenlage zu wirksamen Arzneimitteln kann sich sehr kurzfristig ändern.
Antiinflammatorische Therapie: Zunehmend wird erkannt, dass die Hyperinflammation in der späteren Phase einer COVID-19-Erkrankung eine wichtige pathophysiologische Rolle spielt. Insofern werden bei schwer kranken Patienten zunehmend immunsuppressive Substanzen, insbesondere Antikörper gegen IL-6 wie Tocilizumab und/oder Steroide, eingesetzt. Auch andere Immunsuppressiva wie beispielsweise JAK-Inhibitoren stellen potenzielle Therapeutika der Hyperinflammation dar.
Therapie von Koinfektionen: Wichtig ist das Bewusstsein dafür, dass in den Frühlingsmonaten regulär virale Atemwegsinfektionen durch Influenza oder respiratorische Synzytial-Viren (RSV), gelegentlich auch humanes Metapneumovirus, vorkommen. Saisonunabhängig spielen Rhinoviren und Parainfluenza eine Rolle. Da diese Erreger insbesondere bei Krebspatienten ebenfalls schwerwiegende Verläufe verursachen können, sollten sie in der Differenzialdiagnostik und -therapie ebenfalls bedacht werden.
Der wichtigste unabhängige Risikofaktor für Mortalität bei Krebspatienten mit CARV-Infektion ist die Superinfektion mit Bakterien oder Pilzen. Insofern sollten bei Anzeichen für eine solche Komplikation eine rasche Diagnostik und Therapie erfolgen.
Auch angesichts von Schutzmaßnahmen für die Gesamtbevölkerung muss die unmittelbare, qualitätsgesicherte Versorgung der Patienten, insbesondere bei aktiven und lebensbedrohlichen Erkrankungen, bei kurativen Therapien, bei hohem Rezidivrisiko und bei belastenden Symptomen, sichergestellt werden. Das betrifft die gesamte Versorgungskette von der Diagnostik über alle Formen der Therapie (Operation, Strahlentherapie, systemische Therapie, supportive Therapie, Symptomlinderung) bis zur Rehabilitation.
Strukturen und Auflagen müssen gegebenenfalls angepasst werden, z. B. durch Umstellung von Tumorkonferenzen mit persönlicher Präsenz auf Telefon- oder Videokonferenzen, durch Anpassung behördlicher Auflagen und durch Verlängerung der Gültigkeit von Zertifikaten für onkologische Zentren.
Auch die wohnortnahe Verfügbarkeit dringlich erforderlicher diagnostischer Maßnahmen wie Bildgebung und Laborkontrollen muss sichergestellt werden, um onkologische/hämatologische Patienten nicht zu gefährden bzw. wichtige Therapiemaßnahmen nicht zu verzögern.
Bei infektiösen Komplikationen im Rahmen einer schweren Neutropenie nach System- oder Strahlentherapie müssen umgehend adäquate diagnostische Maßnahmen und sofortige empirische antimikrobielle Therapien eingeleitet werden. SARS-CoV-2-negative Patienten müssen außerhalb von Bettenstationen mit gesicherten COVID-19-Infektionen in Einzelzimmern untergebracht werden.
Durch die organisatorischen Maßnahmen soll sichergestellt werden, dass die Prognose von Patienten mit Blut- und Krebserkrankungen durch die Pandemie nicht verschlechtert wird. Es wird empfohlen, stark immunsupprimierten Patienten FFP3-Masken zu verschreiben.
Die vollständigen Empfehlungen inklusive des Vorgehens bei ausgewählten hämatologischen und onkologischen Erkrankungen sind hier nachzulesen.
1 von Lilienfeld-Toal M, Greinix H, Hirsch HH, Na I-K, Sandherr M, Schanz U, Vehreschild JJ, Wörmann B, DGHO, OeGHO, SSMO/SSOM, SGMO, SGH+SSH, Leitlinie: Coronavirus-Infektion (COVID-19) bei Patienten mit Blut- und Krebserkrankungen. 24. 4. 2020;