Machen wir uns diese Zeit anhand der Metamorphose des Prostatakarzinoms bewusst. 2011 beurteilte die U.S. Preventive Services Task Force (USPSTF) den PSA-Test als nicht zur flächendeckenden Früherkennung von Prostatakarzinomen geeignet – unter Berufung auf die Analyse der 2009 publi-zierten PLCO-Studie. Die Ergebnisse waren konträr zur europäischen ERSPC- Studie. Im Mai 2020 lässt eine Datenerhebung von Jemal A et al. aufhorchen. PSA-Tests zur Früherkennung bei Männern über 50 Jahren nahmen seit 2008 in den USA kontinuierlich ab. Die Inzidenz des lokal fortgeschrittenen und metastasierten Prostatakarzinoms stieg bei Männern 50+ nach der USPSTF-Empfehlung signifikant um 11 % resp. 5,0 %. In Österreich? Wir haben zwischen 2010 und 2020 mit der „Loose Tie“-Kampagne zur Prostatakarzinom-Vorsorge eine sinnvolle Idee geboren. Seit 2010 propagieren bvU und ÖGU gemeinsam mit der Österreichischen Krebshilfe (Präsident Univ.-Prof. Dr. Paul Sevelda, Geschäftsführerinnen Doris Kiefhaber, Mag. Martina Löwe) eine sinnvolle Prostata-Vorsorge ab dem 45. Lebensjahr.
MRT: In den letzten 10 Jahren hat sich durch die Einführung des MRT die Diagnostik deutlich verbessert. Mittels MRT konnte gezeigt werden, dass signifikante Karzinome vermehrt detektiert werden. Eine Verankerung des MRT in den EAU-Guidelines ist bereits erfolgt.
Robotik: 2010 waren wir in Österreich mit drei Da-Vinci-OP-Robotern ausgerüstet. 2020 stehen wir bei 11. In der Zwischenzeit werden mehr als 40 % der radikalen Prostatektomien mittels Da-Vinci-Robotern durchgeführt; Tendenz steigend.
Systemische Therapie: Nach der Einführung der Chemotherapie 2004 stehen wir 2020 bei 8 verfügbaren Medikamenten. Wir greifen therapeutisch definitiv früher ein. Die Studienlandschaft beim Prostatakarzinom in Österreich ist erfreulich, zu erwähnen ist hier die CARD-Studie zur Sequenzbestimmung beim metastasierten Prostatakarzinom. Unser Prostatazentrum, Ordensspital Linz, war auch an der kürzlich am ASCO20 virtual präsentierten HERO-Studie beteiligt, in welcher der orale GnRH-Antagonist Relugolix vs. Leuprorelin äußerst positiv getestet wurde.
Präzisionsmedizin: Das tiefere Verständnis der Tumorbiologie und der Genetik, die hinter dem Prostatakarzinom stehen, führen zur Entwicklung von Substanzen, die wesentlich individueller eingesetzt werden können; beispielsweise prüft die EMA derzeit die Zulassung von Olaparib beim kastrationsresistenten metastasierten Prostatakarzinom, bei dem Mutationen in Genen der homologen Rekombinationsreparatur (HRR) vorliegen.
„Molekularisierung“: Es findet eine „Molekularisierung“ der Bildgebung statt. Stichwort PSMA-PET/CT. Es gelang, Substanzen herzustellen, die an PSMA binden und dieses wie ein Schlüssel das Schloss erkennen. Diese Substanzen können mit radioaktiven Isotopen sowohl für die diagnostische Bildgebung (z. B. mit 68Ga) als auch für die Behandlung (mit 177Lu) markiert werden. Der Begriff der Theranostik entstand. Es ist dies das Prinzip, eine Krankheit mit einem diagnostischen Radiopeptid bildgebend darzustellen, gefolgt von einer chemisch nahezu identischen, therapeutischen Radiopeptidtherapie. Am ASCO20 virtual wurde nun in der TheraP-Studie LuPSMA mit Chemotherapie bei Patienten mit kastrationsresistentem Prostatakarzinom verglichen – erfolgreich.
Zusammengefasst blicken wir auf beträchtliche Entwicklungen beim Prostatakarzinom in den letzten 10 Jahren zurück und wir sind nicht am Ende. Es ist essenziell, das Wissen um diese Entwicklungen in der Urologie und Uro-Onkologie an eine fortbildungsinteressierte Leserschaft zu bringen. Mit SPECTRUM Urologie haben Ärzte und Ärztinnen die Chance, ihr Wissen zu verbreiten. Insofern ist dem MedMedia-Verlag zu gratulieren, das urologische Fachmedium vor 10 Jahren – mit Erfolg – etabliert zu haben. SPECTRUM Urologie ist das Navi im Dschungel der Informationen!IhrWolfgang Loidl