Das Nachrichtenportal RELATUS PHARM nutzt die Sommerpause für Interviews mit den Gesundheitssprechern der Parlamentsparteien. FPÖ-Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak fordert, dass Apotheken künftig impfen dürfen.
Welche Reformen muss der Herbst im Gesundheitsbereich bringen? Bis heute fehlt eine klare Exitstrategie, wie wir wieder aus der Corona-Krise herauskommen. Trotz massiver Versäumnisse der Vergangenheit und Fehler, die in der Krise passiert sind, werden jedoch häufig die falschen beziehungsweise überhaupt keine Schlüsse gezogen. Die gute Infrastruktur im Gesundheitsbereich, besonders im Intensivmedizinischen Bereich, hat uns sicherlich sehr geholfen, in der Vergangenheit aber auch viel Geld gekostet. Zudem wusste am Beginn der Pandemie niemand, welche Kapazitäten wo zur Verfügung stehen, dem Gesundheitsministerium fehlte der Überblick. Auch die Flexibilität hat gefehlt und es war nicht klar, wo es noch Reservekapazitäten gibt. Bis jetzt scheint man jedoch noch nicht bereit zu sein, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und die Strukturen entsprechend anzupassen. Wir brauchen zudem eine Planung für die (nächste) Krise, damit jeder weiß, was auf ihn zukommt beziehungsweise was von ihm erwartet wird. Und wir brauchen evidenzbasierte Maßnahmen und nicht solche, die den Meinungsumfragen folgen.
Was denken Sie über die Corona-Gefahr? Wir waren von einer Überlastung des Gesundheitssystems meilenweit entfernt. Die Regierung hat durch die Angstmache viel an Glaubwürdigkeit verspielt, denken Sie nur an die „jeder wird jemanden kennen, der an COVID-19 verstorben ist“-Aussage von Kanzler Kurz. Wir nehmen bei anderen Erkrankungen wie etwa der Grippe viel mehr Todesfälle in Kauf, ohne uns derartig in unseren Freiheiten einzuschränken. Auch die Einführung der Maskenpflicht war und ist in dieser Form ein Fehler. Es gibt keine wissenschaftlichen Beweise für die Sinnhaftigkeit dieser Verordnung, schon gar nicht wenn man auch provisorischen Mund-Nasen-Schutz zulässt. Zu Beginn hat die breite Maskenpflicht sogar den Mangel an Masken in gesundheitsrelevanten Bereichen ausgelöst: In medizinischen Einrichtungen, Ordinationen und im Pflegebereich gab es häufig erst später Masken als in Supermärkten! Generell machen die medizinische Masken schon Sinn, man muss sie aber richtig einsetzen und richtig anwenden. Wir brauchen insgesamt endlich treffsichere, aber begrenzte Maßnahmen, die nicht die gesamte Bevölkerung in Sippenhaft nehmen, sondern zielsicher wirken. Es ist nun höchst an der Zeit, dass das Krisenmanagement dieser Regierung professionalisiert und die Entscheidungsfindung transparent werden, sowie die Verantwortlichen für das verursachte Chaos zur Rechenschaft gezogen werden. Problematisch sehe ich zudem, dass der Staat wichtige Aufgaben abgegeben beziehungsweise ausgelagert hat: Statt Masken und Hilfsmittel über den zentralen Einkauf der Bundesbeschaffungsagentur einzukaufen, hat man das ans Rote Kreuz ausgegliedert. Ebenso bei der Durchführung der PCR-Tests, welche Großteils über das ÖRK und in privaten Labors durchgeführt werden. Es stimmt, dass der Staat nicht alles machen muss, aber es gibt zentrale Bereiche, wo die Souveränität und Integrität wichtig sind. Gibt man diese auf, ist die Gefahr, dass man die staatliche Handlungsfähigkeit aufgibt.
Wie wirkt sich Corona auf die Apotheken aus? Die anfängliche Aufforderung zur Verordnung eines Drei-Monats-Bedarfs hat die Apotheken- und Großhandelslager rasch leergeräumt und brachte so kurzfristige Engpässe, ebenso manche Hamsterkäufe. Das Problem war aber nach zwei Wochen behoben. Danach war es eher so, dass viele Apotheken unter massiven Umsatzrückgängen gelitten haben, die sich erst langsam wieder normalisieren. Gleichzeitig ist der Aufwand durch Schutzmaßnahmen, telefonische Bestellungen, elektronische Verordnungen und geänderte Abrechnungsmodalitäten deutlich gestiegen. Das alles gefährdet die verlässliche Versorgungsstruktur, welche die Apotheken auch und gerade in der Krise gewesen sind. Es braucht also dringend eine angemessene Entlohnung der vielfältigen Leistungen der Apotheken, damit unser hochqualitatives Versorgungssystem aufrechterhalten werden kann. Positiv ist zu bewerten, dass nun eine Gesprächsbereitschaft für eine vertiefte Integration der Apotheken in die Gesundheitsversorgung vorhanden ist, sowohl was die pharmazeutische Beratungsleistung und deren Honorierung, als auch was zusätzliche Dienstleistungen wie z.B. Impfen in der Apotheke anbelangt.
Was sind die Folgen für den Pharmabereich? Europa ist viel zu abhängig von der Wirkstoffproduktion in Asien. Das zurück zu holen wird schwer, denn das muss hier auch mit den bei uns gültigen Umweltschutzmaßnahmen in Einklang gebracht werden. Man wird sich primär auf die Schlüsselchemie und Schlüsselmedikamente konzentrieren müssen, wie Schmerzmittel, Betäubungsmittel, Antibiotika oder Antirheumatika. Die Regierung muss aber auch endlich ein klares Bekenntnis zum Produktionsstandort Österreich für die pharmazeutische Industrie und die Herstellung von Medizinprodukten abgeben sowie konkrete Maßnahmen setzen. Es braucht eine längerfristige Strategie, raschere Verfahren und verbindliche Förderungen, um den Standort Österreich für diesen Wirtschaftszweig attraktiver gestalten zu können. Ein solcher Plan wäre wichtig, damit auch ein neuer Zugang zur Arzneimittelversorgung, der durch die unsinnige Verordnung des Gesundheitsministeriums in die Sackgasse geraten ist, gelegt werden kann. Es kann ja wirklich nicht sein, dass nach den Erkenntnissen in der Corona-Krise Konzerne wegen des enormen Preisdrucks noch immer gezwungen sind, ihre Produktion von Österreich nach Asien und Indien abzusiedeln. Im Fall der Antibiotika-Produktion im Tiroler Kundl ist dies erfreulicher Weise in letzter Sekunde noch verhindert worden.
Kann die zuletzt diskutierte Wirkstoffverschreibung Lieferengpässe lösen? Die Wirkstoffverschreibung wird keine Lieferengpässe lösen, sondern vermutlich eher zusätzliche Schaffen. Ziel der Wirkstoffverschreibung ist es ja von Seiten der Krankenkassen, dass vermehrt günstige Generika oder überhaupt das günstigste Arzneimittel abgegeben werden soll. Dadurch reduzieren sich aber die Anbieter auf dem Markt, und das wiederum kann schneller zu Engpässen führen. Sinnvoller wäre eine Erweiterung des Notfallparagrafen im Rezeptpflichtgesetz. Es sollte den Apothekern erlaubt sein, (nur) bei Nichtverfügbarkeit eines verordneten Arzneimittels sofort eine vorhandene Alternative anbieten und mit der Krankenkasse verrechnen zu dürfen. Das würde den Patienten den überflüssigen Weg retour zum Arzt und wieder in die Apotheke ersparen und die Versorgung sofort sicherstellen.
Wie stehen Sie zur aktuellen Impfdebatte und der Diskussion über die Grippeimpfungen im Herbst? Es braucht eine neue Gesamtstrategie, wie der Zugang zu Impfungen zukünftig leichter, aber ohne Zwang für alle Bevölkerungsgruppen angeboten werden soll. Dabei liegen die Vorschläge schon lange auf dem Tisch. Klare Festlegung der Impfstellen, Anpassung der Rezeptpflicht für Impfungen, damit Auffrischungs- und Wiederholungsimpfungen sofort am Weg zum Arzt in der Apotheke abgeholt werden können, Ausbau der Gratisimpfungen und eine ehrliche Aufklärung der Bevölkerung über Nutzen und Risiken von Impfungen wären gefragt. Wenn das nicht ausreicht, muss auch über einen noch niederschwelligeren Zugang zu Impfungen nachgedacht werden, wie ihn beispielsweise das Impfen in der Apotheke darstellt. Andere Länder wie die Schweiz und jetzt auch Deutschland haben das bereits eingeführt.
Wie soll es weitergehen mit der Kassenreform? Die Kassenreform war ein großer Wurf der türkis-blauen Regierung, auch wenn sie mir persönlich nicht weit genug gegangen ist. Leider ist durch den Regierungswechsel mitten in der Umsetzungsphase der politische Druck und die klare Linie verloren gegangen. Ich kann nur hoffen, dass die aktuelle Bundesregierung den Sozialversicherungen wieder mehr Aufmerksamkeit schenkt und den Weg der Reform weiter fortsetzt, gerade auch in Anbetracht der enormen Einnahmeausfälle und Folgekosten der Coronakrise.
Das Interview führte Martin Rümmele
Das Interview mit ÖVP-Gesundheitssprecherin Gabriela Schwarz
Das Interview mit SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher
Das Interview mit GRÜNE-Gesundheitssprecher Ralph Schallmeiner
Das Interview mit NEOS-Gesundheitssprecher Gerald Loacker