Rezente Untersuchungen weisen darauf hin, dass die inflammatorische Antwort im Rahmen einer akuten Infektion möglicherweise das Auftreten von ischämischen Ereignissen wie akutem Myokardinfarkt oder Schlaganfall auslösen kann.1, 2 Darüber hinaus haben in den letzten zwei Jahrzehnten durchgeführte Studien die Influenza mit einem erhöhten Risiko für Herzinfarkte2–4 und Schlaganfälle5 in Verbindung gebracht.
Hintergrund:
Menschen mit Diabetes haben im Vergleich zu Menschen ohne Diabetes ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung kardiovaskulärer Erkrankungen und eine höhere Wahrscheinlichkeit, an Myokardinfarkt oder Schlaganfall zu versterben.6, 7 Gleichzeitig besteht eine erhöhte Empfänglichkeit für Infektionen mit Influenza. Daher könnte diese Konstellation ein besonders hohes Risiko hinsichtlich des Auftretens kardiovaskulärer Ereignisse bedeuten.8, 9 Die American Diabetes Association empfiehlt in ihren „Standards of Medical Care in Diabetes – 2019“ die Impfung gegen Influenza für alle Menschen mit Diabetes. Diese Empfehlung basiert jedoch lediglich auf einem niedrigen Evidenzgrad (Grad C; Beobachtungsstudien mit niedriger Qualität).10
Fragestellung:
Die Studie* untersuchte primär die Assoziation zwischen Influenza-Impfstatus und Mortalität (inkl. kardiovaskuläre Mortalität) bei Menschen mit Diabetes.
Primäre Endpunkte waren Gesamtmortalität, kardiovaskuläre Mortalität sowie Mortalität durch akuten Myokardinfarkt oder Schlaganfall. Zusätzlich wurde die Inzidenz von akuten diabetesassoziierten Komplikationen (diabetische Ketoazidose und Hospitalisierung wegen Hypoglykämie oder Koma) sowie die Inzidenz von Influenza oder Pneumonie (ebenfalls als Kompositendpunkt) untersucht.
Methode:
Eingeschlossen wurden Patienten mit Diabetes (definiert als mit antihyperglykämischen Medikamenten behandelt) im Alter von 18–100 Jahren. Patientendaten wurden nationalen dänischen Registern entnommen. Um den Einfluss anderer chronischer Erkrankungen auf die Assoziation zwischen Impfung und Outcome zu minimieren, waren Personen mit ischämischer Herzerkrankung, Herzinsuffizienz, COPD, Krebs oder zerebrovaskulären Erkrankungen ausgeschlossen. Der primäre Beobachtungszeitraum (Influenzasaison) war als Zeitraum von 1. Dezember bis 1. April des Folgejahres definiert. Die Studie wurde über 9 konsekutive Influenzasaisonen (2007 bis 2016) durchgeführt.
Wichtigste Ergebnisse:
- Insgesamt wurden 241.551 Personen mit Diabetes (im Median über 4 Influenzasaisonen) beobachtet. Der gesamte Beobachtungszeitraum betrug 425.381 Patientenjahre.
- Die Durchimpfungsrate über die Grippesaisonen betrug 24–36 % (Durchschnitt 33 %).
- Während der Studie starben insgesamt 8.207 Personen (3,4 %). 4.127 Patienten (1,7 %) verstarben an kardiovaskulären Ursachen, 1.439 Personen (0,6 %) erlagen spezifisch einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall.
- Im volladjustierten Modell zeigten Personen mit Diabetes gegenüber nichtgeimpften Patienten eine signifikante Reduktion des Risikos für Gesamtmortalität, kardiovaskuläre Mortalität und Mortalität spezifisch durch Herzinfarkt oder Schlaganfall (Abb. 1).
- Bezogen auf ein ganzes Jahr war die Reduktion des Gesamtmortalitätsrisikos in den Monaten Dezember bis Mai am stärksten ausgeprägt (Tab.).
- Das Risiko für eine Hospitalisierung aufgrund diabetesassoziierter Akutkomplikationen sowie das Risiko für Hospitalisierung wegen Influenza oder Pneumonie war in der geimpften Gruppe signifikant geringer (Abb. 2).
- Die Number Needed to Treat (NNT) für die impfungsbezogene Vermeidung eines Todesfalles während einer Saison betrug 1.133. Bei Vergleichspersonen ohne Diabetes (übereinstimmend nach Alter, Geschlecht und Saison) war die NNT für die impfungsbezogene Vermeidung eines Todesfalles während einer Saison mit 2.508 Personen signifikant höher (p < 0,001).
Schlussfolgerungen der Autoren:
- Mit über 240.000 Patienten ist die vorliegende Studie die bislang größte Untersuchung zum Zusammenhang zwischen Influenza- Impfstatus und Outcome bei Menschen mit Diabetes.
- Die Influenza-Impfung war mit einem signifikant geringeren Risiko für Gesamtmortalität, kardiovaskuläre Mortalität und Tod durch akuten Myokardinfarkt oder Schlaganfall assoziiert.
- Der protektive Effekt auf die Gesamtmortalität war in den Monaten Dezember–Mai am stärksten, aber auch in den Monaten außerhalb der Grippesaison (Juni–November) vorhanden.
- Darüber hinaus war die Grippeimpfung mit einem signifikant geringeren Risiko für eine Hospitalisierung wegen akuter diabetesassoziierter Komplikationen bzw. Influenza/Pneumonie vergesellschaftet.
- Eine wichtige Besonderheit der Studie ist die Tatsache, dass Komorbiditäten, bei denen bekannt ist, dass die Influenza-Impfung günstige Effekte aufweist (Lungenerkrankungen, Herzerkrankungen, Krebs), ausgeschlossen waren.
- Obwohl nicht randomisiert, unterstützt diese Studie die Annahme eines kausalen Zusammenhangs zwischen Influenza-Impfung und verbesserten Outcomes bei Menschen mit Diabetes.
- Die Grippeimpfung könnte daher zur Prognoseverbesserung bei Patienten mit Diabetes beitragen.