Die neue deutsche S3 Leitlinie „Peri- und Postmenopause – Diagnostik und Interventionen“ erklärt die Hormonersatztherapie zum Therapiestandard und räumt mit fehlerhaften Einschätzungen der Risiken auf.
Kürzlich wurde ein Update zur deutschen S3-Leitlinie zur Hormonersatztherapie (HRT) publiziert1, das sich in einigen Punkten substanziell von den Vorgängerdokumenten unterscheidet. Die aktualisierte Leitlinie ist bedeutsam, so Prof. Dr. Clemens Tempfer von der Ruhr-Universität Bochum, da die neuen Empfehlungen im Vergleich zur Vorgängerversion aus dem Jahr 2018 einige wichtige und tiefgehende Änderungen enthalten.
Die neue S3-Leitlinie bedeutet eine vollständige Rehabilitation der Hormonersatztherapie (HRT) für Frauen in der Peri- und Postmenopause. Tempfer: „Die zentrale Empfehlung der Leitlinie mit Evidenzgrad A und maximaler Stärke besagt nun, dass Frauen mit vasomotorischen Beschwerden in der Peri- und Postmenopause eine HRT angeboten werden soll. Die bisherigen Beschränkungen auf sehr starke Beschwerden und die kürzest mögliche Zeit sind nicht mehr Teil der Empfehlung. Die HRT ist nun der Therapiestandard, wobei die Patientinnen über Nutzen und mögliche Risiken informiert werden müssen.“
Revidierte Fehleinschätzungen
Eine Fehleinschätzung genau dieser Risiken hatte dazu geführt, dass die Hormonersatztherapie vor fast 20 Jahren in Verruf geraten war. Die WHI-Studie (Women’s Health Initiative) behandelte mehr als 16.000 nicht hysterektomierte Frauen randomisiert entweder mit einer Hormonersatztherapie aus Östrogen (konjugiertes Östrogen, CEE) und einem Gestagen (Medroxyprogesteron, MPA) oder mit Placebo. In einer zweiten Gruppe erhielten rund 10.000 hysterektomierte Frauen entweder Östrogen oder Placebo.2
Ergebnis waren unter Östrogen/Gestagen erhöhte Risiken für Herzinfarkt, Schlaganfall, Brustkrebs und Pulmonalembolien sowie Risikoreduktionen hinsichtlich Kolonkarzinom und Hüftfrakturen. Die Östrogen-Monotherapie zeigte in der hysterektomierten Gruppe keinen Effekt der Östrogen-Monotherapie auf das Risiko für Herzinfarkt, Pulmonalembolie, Brustkrebs und kolorektales Karzinom, ein erhöhtes Schlaganfallrisiko sowie eine Reduktion des Risikos von Hüftfrakturen. Tempfer betont, dass diese Effekte stark altersabhängig und bei Frauen um die 50 deutlich geringer ausgeprägt waren als bei Frauen um die 60. Dazu ist festzuhalten, dass WHI eine kardiovaskuläre Präventionsstudie war und die Probandinnen unabhängig von etwaigen Beschwerden und weit über das Alter von 60 Jahren hinaus Hormone oder Placebo erhielten. Mit therapeutischer Indikation wird Hormonersatz vor allem von Frauen zwischen 50 und 60 eingenommen.
Entwarnung durch WHI-Langzeitauswertungen
Über die Jahre und mit weiteren Publikationen lösten sich diese angenommenen Risiken quasi in Luft auf. Die Langzeitauswertung beider Arme zeigt in der Altersgruppe der 50- bis 60-Jährigen keine Erhöhung des kardiovaskulären Risikos mehr. In den beiden WHI-Gruppen war die Schlaganfallinzidenz unter Hormontherapie zwar insgesamt deutlich (um mehr als 30 %) erhöht, dieser Effekt war jedoch in der Altersgruppe der 50 bis 60-Jährigen – also der typischen HRT-Patientinnen – nicht nachweisbar.
Eine Metaanalyse, in die auch die WHI-Studie einging, zeigt unter HRT sogar eine signifikant reduzierte kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität.3
Unproblematisches Gestagen entscheidend: Die Erhöhung des Brustkrebsrisikos im Kombinationsarm kann mittlerweile auf das verwendete Gestagen Medroxyprogesteron (MPA) zurückgeführt werden. MPA induziert nämlich den RANK-Liganden (RANKL), und das nicht nur am Knochen, sondern auch am Epithel der Brustdrüse, was zu einem erheblichen Proliferationsdruck, erhöhtem Stammzellanteil, verhinderter Apoptose und letztlich der Entstehung von Krebs führt. Progesteron bzw. Dydrogesteron haben diesen Effekt nicht. Man habe also, so Tempfer, in der WHI-Studie unwissentlich ein problematisches Gestagen verwendet. Studiendaten zeigen, dass bei Einnahme von Dydrogesteron das Brustkrebsrisiko auch über 10 Jahre nicht signifikant ansteigt.4, 5 Für den Östrogen-Arm der WHI zeigen Langzeitauswertungen eine Reduktion des Brustkrebsrisikos um fast die Hälfte.