In dieser Ausgabe der AHOP-News beleuchten wir die Publikation „Extremity Cooling: A Synthesis of Cryotherapy Interventions to Reduce Peripheral Neuropathy and Nail Changes From Taxane-based Chemotherapy“ (Peyton L, Fischer-Cartlidge E, Clin J Oncol Nurs 2019; 23[5]:522–28).
Hintergrund: Chemotherapien mit Taxanen werden häufig zur Behandlung von soliden Tumoren eingesetzt. Zwei bedeutende Nebenwirkungen sind periphere Neuropathien (PN) und Nagelveränderungen. Sie treten bei ca. 50 % der Betroffenen auf, die mit Taxanen behandelt werden, und das Risiko steigt mit der Anzahl der erhaltenen Therapien. PN und Nagelveränderungen können Schmerzen, Infektionen, Dosisreduzierungen und dadurch Verzögerungen bei der Behandlung zur Folge haben, welche sich negativ auf die Lebensqualität auswirken können. Bis dato sind keine pharmakologischen Interventionen zur Prävention von Nagelveränderungen oder PN bekannt.
Bei der Kryotherapie kommen kalte Temperaturen im Rahmen der medizinischen und pflegerischen Versorgung zur Anwendung. Das Prinzip basiert darauf, dass kälteinduzierte Vasokonstriktion lokale zytotoxische Wirkungen begrenzt. Dadurch wird verhindert, dass die chemotherapeutische Substanz durch das Blut auf das spezifische Gewebe übertragen und somit die lokale Toxizität reduziert wird. Kryotherapie zeigte sich bereits bei der Prävention oder Reduktion anderer Nebenwirkungen durch Chemotherapie erfolgreich, wie z. B. orale Mukositis und Alopezie. Es besteht jedoch kein Konsens zur Wirksamkeit der Kryotherapie bei PN und Nagelveränderungen durch eine Behandlung mit Taxanen.
Ziel: eine Übersicht der Literatur zur Wirksamkeit und Verträglichkeit von Kryotherapie-Interventionen an den oberen und unteren Extremitäten zur Prävention und Reduktion peripherer Neuropathie und Nagelveränderungen durch Chemotherapie mit Taxanen.
Methode: Es wurde eine systematische Übersichtsarbeit durchgeführt. Dabei wurde nach Interventionsstudien und systematischen Übersichtsarbeiten gesucht, die PatientInnen inkludierten, die mit Chemotherapie mit Taxanen behandelt wurden und jegliche Methode zur Kühlung der unteren oder oberen Extremitäten erhielten. Eingeschlossen wurden Publikationen, die als Zielkriterium die Prävention oder Reduktion von PN oder Nagelveränderungen beinhalteten. Die Studienautorinnen durchsuchten die Datenbanken PubMed, Cochrane Database of Systematic Reviews, Ovid, Web of Science und CINAHL sowie Referenzlisten nach Studien in englischer Sprache und ohne zeitliche Einschränkung. Die zwei Autorinnen überprüften unabhängig voneinander die Publikationen hinsichtlich der Einschlusskriterien. Anschließend wurden die identifizierten Studien hinsichtlich ihrer Qualität beurteilt. Die Datenanalyse erfolgte anhand einer qualitativen Synthese.
Wesentliche Ergebnisse: Die Suche erzielte 46 Treffer, wovon zehn Studien in die Übersichtsarbeit eingeschlossen wurden. Davon waren acht Kohortenstudien, eine Fall-Kontroll-Studie und eine Übersichtsarbeit. Fünf Kohortenstudien und die Übersichtsarbeit fokussierten Nagelveränderungen. Die untersuchten Populationen waren PatientInnen, die aufgrund von Brust- oder Prostatakrebs behandelt wurden. Die Chemotherapeutika umfassten die Wirkstoffe Docetaxel und Paclitaxel. Die Extremitäten wurden mit Elasto-Gel™ gefrorenen Handschuhen und/oder Socken gekühlt. Der Zeitpunkt der Kühlung war 15 Minuten vor der Therapie, während der Infusion und 15 Minuten nach der Therapie. Vier Kohortenstudien fokussierten PN. Die untersuchten Populationen waren hierbei hauptsächlich Frauen mit Brustkrebs und bei einer Studie Frauen mit gynäkologischem Krebs. Primär wurde Paclitaxel als Chemotherapie eingesetzt, eine Studie untersuchte die Verwendung von Docetaxel. Als primäre Kühlmethode kamen gefrorene Handschuhe/Socken zum Einsatz, einmal wurde ein Continous-flow-Hypothermie-Stiefel angewendet. Die Dauer der Kühlung variierte, wobei in drei Studien 15 Minuten vor der Infusion, während der Infusion und 15 Minuten nach der Infusion gekühlt wurde.
Es zeigte sich eine statistisch signifikante Reduktion der Nageltoxizität der gekühlten Extremität im Vergleich zur Kontrollgruppe (p = 0,0001).1 In allen Studien nahm die Inzidenz von PN mit Kühlung der Extremitäten ab. Auch der Schweregrad der PN reduzierte sich statistisch signifikant (p = 0,002), der Beginn einer PN wurde statistisch signifikant verzögert (p < 0,0001)2, die Verschlechterung des Tastsinns der Hand wurde in den Interventionsgruppen statistisch signifikant reduziert (p < 0,001). Weiters zeigte sich ein statistisch signifikanter Unterschied (p < 0,001) hinsichtlich taktiler Sensibilitätsstörung der Füße zwischen der Interventionsgruppe (25 %) und der Kontrollgruppe (64 %).3
Schlussfolgerungen der Autorinnen: Pflegefachpersonen können diese Ergebnisse für die Aufklärung über den potenziellen Nutzen von Kryotherapie der Extremitäten zur Prävention und Reduktion von PN und Nagelveränderungen für PatientInnen nutzen, die mit einer Taxan-Chemotherapie beginnen oder derzeit damit behandelt werden. Eine Reduktion der Toxizitäten auf die Extremitäten kann die Auswirkungen der Behandlung, Dosisreduktionen oder Verzögerungen bei der Behandlung verringern – und somit positiv auf patientInnenbezogene Endpunkte einwirken.
Peyton und Fischer-Cartlidge zeigen in ihrer Übersichtsarbeit die Wirksamkeit verschiedener Kryotherapie-Interventionen zur Prävention und Reduktion von PN und Nagelveränderungen durch Chemotherapie mit Taxanen auf. Nagelveränderungen und PN treten bei ca. 50 % der Betroffenen auf, die mit Taxanen behandelt werden und können weitreichende Folgen haben. Kälteanwendungen zur Reduktion therapieinduzierter Nebenwirkungen haben in der onkologischen Praxis bereits Einzug gefunden, die Wirksamkeit im Kontext von Nagelveränderungen und PN scheint jedoch noch unzureichend erforscht. Methodisch weist die Übersichtsarbeit eine Schwäche bei der Suchstrategie und Unklarheiten hinsichtlich der kritischen Beurteilung der Studien, Datenextraktion und Synthese der Studien auf. Die Beschreibung der Kryotherapie-Interventionen hinsichtlich der ausgewählten Produkte zur Kühlung, des Anwendungszeitraums, der Population und der Chemotherapeutika unterstützt die Übertragbarkeit der Ergebnisse in den lokalen Kontext. Die unterschiedlichen Herkunftsländer der eingeschlossenen Studien schränken die Übertragbarkeit jedoch ein.