Dermatologische Forschung befeuert die Corona-Impfstoffentwicklung – und umgekehrt

Die Dermatologie war in den letzten Jahren in vielen Fragestellungen ­Vorreiter. Was ist denn aus Ihrer Sicht das Besondere am Fach Dermatologie?

Johann Bauer: Das Besondere an der Dermatologie ist zum einen die Breite – durchaus auch in Abgrenzung zu anderen Fächern –, zum anderen die Tiefe des Faches.
Dermatologie ist ein unglaublich breites medizinisches Fach: Wir haben eine Abdeckung von fast allen Gebieten der Medizin, von Operationen (Dermatochirurgie) und der eher internistischen Behandlung von Autoimmunerkrankungen, entzündlichen Erkrankungen und onkologischen Erkrankungen über die Therapie infektiöser Hauterkrankungen bis hin zu Spezialthemen wie genetischen Hauterkrankungen. Auf Letzteren liegt ein starker Fokus der österreichischen Forschung; hier muss man die Expertise von Prof. Schmuth und seinem Zentrum nennen, ebenso unsere Klinik in Salzburg mit dem EB-Haus Austria.

Neben der Breite haben Sie jetzt die Tiefe des Faches angesprochen …

Diese ist in den letzten 10 Jahren deutlich größer geworden. Haben Dermatologen früher fast ausschließlich mit Blickdiagnose gearbeitet – was ja gut und schnell ist und immer noch funktioniert –, so wissen wir heute jedoch durch die neuesten Ergebnisse aus Wissenschaft und Forschung, dass das Bild nicht ganz so einfach ist, wie man früher dachte. Hier sind wir in den letzten Jahren in ungeahnte Tiefen der Medizin vorgedrungen. Die Dermatologie ist hier vielfach Vorreiter gewesen.

Können Sie Beispiele nennen?

Beginnen wir mit der Immunologie: Hier hat die Identifikation bestimmter Botenstoffe zur Entwicklung von Antikörpertherapien primär bei Psoriasis, jetzt auch bei Neurodermitis geführt. Auch da bringt uns tiefgehende Forschung laufend neue Erkenntnisse, indem neue Zytokine entdeckt werden, die eine wichtige Rolle bei unterschiedlichen entzündlichen Erkrankungen spielen. Dasselbe gilt für das Melanom, wo wir zum einen die zielgerichteten Therapien mitentwickelt haben; zum anderen war das metastasierte Melanom jene Indikation, in der auch die zielgerichteten Medikamente als erste erfolgreich zum Einsatz kamen.

Welche Entwicklungen sehen Sie für die nächsten Jahre?

Weiter geforscht wird in den nächsten Jahren an neuen Technologien, vorwiegend in Richtung Diagnostik und Prognoseerstellung, aber auch in Richtung therapeutische Targets. Beispiele sind die Analyse der Mikro-RNA bei Tumorzellen, ebenso die Analyse des Energiestoffwechsels. Auch das ist ein Thema, das in der Onkologie generell sehr stark beforscht wird, im Speziellen auch beim Melanom, wo mit verschiedenen Interventionen in den Stoffwechsel der Tumorzellen versucht wird, das Wachstum des Melanoms zurückzudrängen. Weitere Forschung betrifft die immunologische Diagnostik und die daraus resultierenden Möglichkeiten zur Prognoseerstellung. Wir haben zwar tolle Erfolge mit Checkpoint-Inhibitoren erfahren – mit einer Heilungschance von 50 % für Stadium-IV-Melanompatienten. Das heißt aber auch, dass 50 % der Betroffenen noch nicht davon profitieren. Da wäre interessant, Charakteristika für eine bessere Prognose zu erkennen, um letztlich auf noch höhere Heilungschancen von bis zu 60 oder vielleicht 70 % zu kommen.
Eine weitere Entwicklung erwarte ich darin, dass Zelltherapien in die Dermatologie eingeführt werden. Hier werden bald klinische Studien laufen. Zum einen geht es hier um Hautersatz, wie er etwa für Verbrennungen wichtig ist, zum anderen um Gentherapie bei genetischen Hauterkrankungen. Auch hier sind wir auf dem Weg von der Forschung zur Umsetzung in die Klinik – ein Weg, der meist zwei Schritte nach vorn, einen Schritt zurück geht …

Sie sind an dieser Forschung ­maßgeblich beteiligt …

Ja, wir haben bereits 2017 ein großes Paper in Nature publiziert, das den Fall eines Patienten mit Epidermolysis bullosa beschreibt, den wir komplett mit genetisch modifizierter Haut bedeckt haben.1 Das war ein Riesenschritt nach vorne; jetzt sind wir wieder einen Schritt zurückgegangen und untersuchen, wo es auch noch anwendbar ist.

Wo liegt die Herausforderung?

Technologisch haben wir gezeigt, dass es geht. Die Herausforderung liegt jetzt darin, es in die breite Anwendung zu bringen. Derzeit haben diese Schritte durch die Corona- und Impfstoffforschung starken Rückenwind bekommen.

Inwiefern nützen die Corona- und Impfstoffforschung?

Ein aktuelles Beispiel sind mRNA-Therapien, die schon länger in Entwicklung sind. Hier ging es in der Entwicklung initial um die Behandlung des Melanoms – auch von der Firma BioNTech. Die RNA-Therapie in der Melanomforschung wird jetzt durch die Erfolge bei der Impfung befeuert. Hier werden sicher auch neue Therapien aus der mRNA-Schiene entwickelt werden, weil sich jetzt gezeigt hat, dass die Impfung sehr gut wirkt und dass wenig Nebenwirkungen zu erwarten sind. Wenn man so will, läuft hier ja gerade eine globale epidemiologische Studie zur Wirkung und vor allem zur Sicherheit von mRNA – mit weltweit schon vielen Millionen geimpfter Menschen.

Das heißt, auch die Entwicklung moderner Corona-Impfstoff­technologien kommt eigentlich aus der Melanomforschung?

So ist es. Und die jetzt in der Impfstoffforschung generierten Erkenntnisse werden wieder zu einem weiteren Entwicklungsschub im initialen Forschungsgebiet führen. Das wird in Richtung Melanomtherapie interessant werden, aber vielleicht auch in Richtung der Behandlung ganz anderer Erkrankungen gehen, wenn etwa RNA stabilisiert und vielleicht einmal als Infusion gegeben werden kann.

Gibt es noch andere Beispiele aus der dermatologischen Forschung, wo der Proof of Concept jetzt durch die Corona-Entwicklungen erfolgt?

Noch ein COVID-Effekt, wenn man es so nennen will, sind die Fortschritte mit anderen Vektoren, beispielsweise adenoviralen Vektoren. Auch dieses Konzept ist ja in der Gentherapie bei seltenen Hauterkrankungen schon länger in Untersuchung. Auch hier sehen wir jetzt im Zuge der COVID-Impfstoffentwicklung, dass das Konzept verwirklichbar und sicher ist, und wir können es vielleicht bald auch für andere Erkrankungen in der Dermatologie und anderswo einsetzen. Die COVID-Impfstoffforschung und auch die klinischen Erfahrungen aus der COVID-Behandlung bringen uns weiter.

Gibt es eine Erklärung, warum so viel Neues gerade aus der Dermatologie kommt?

Ich glaube, es liegt daran, dass in der Forschung und auch in den Wirkstoffstudien seitens der Firmen Erkrankungen gewählt werden, bei denen der Erfolg gut einschätzbar ist. An der Haut ist der Erfolg unmittelbar sichtbar und gut quantifizierbar. Man sieht den Therapieerfolg etwa bei Psoriasis sehr gut, wogegen man im verwandten Gebiet der Rheumatologie zur Beurteilung des Therapieerfolges Bildgebung, Labor etc. benötigt.

Zurück zu Corona, jetzt zu den ­Schattenseiten: Es wurde in den ­letzten Monaten sehr viel über ­Kollateralschäden gesprochen, auch dass Erkrankungen generell zu spät diagnostiziert werden. Sehen Sie in der Dermatologie Kollateralschäden?

Zum Melanom gibt es rezente, weltweit erhobene Daten, die zeigen, dass offensichtlich doch um ein Fünftel weniger Melanome in frühen Stadien erkannt wurden. In Österreich haben wir dazu noch keine verlässlichen Daten. Die Untersuchung war eine weltweite, das heißt, man muss mit der Interpretation etwas vorsichtig sein.
Was wir aber natürlich sehr wohl sehen, sind die Einschränkungen, mit denen wir beziehungsweise unsere Patienten im Normalbetrieb an der Klinik konfrontiert sind, etwa durch umfunktionierte Stationen. Beispielsweise sind Patienten mit relevanten Medikamentenallergien, die vor einer geplanten Operation bei uns zur Allergie-Austestung stationär aufgenommen werden müssten, von bis zu 2-monatigen Verzögerungen betroffen. Auch auf unserer angiologischen Abteilung sind die Wartezeiten bei Gefäßoperationen beträchtlich. Die Situation i
st bundesländerweise unterschiedlich, insgesamt war es für die Dermatologie nirgends leicht.

Rächt sich der Bettenabbau der letzten Jahre, der besonders die Dermatologie betroffen hat?

Ich glaube, hier muss man differenzieren. Viele Patienten, die wir vor Jahren stationär behandelt haben, sehen wir ja so nicht mehr. So wurde vor 20 Jahren die Psoriasis mit einer Lokaltherapie behandelt, die einen vierwöchigen stationären Aufenthalt erfordert hat. Das gibt es nicht mehr. Auch die Therapie des metastasierten Melanoms hat sich geändert: Die Behandlung mit hochtoxischen Chemotherapeutika oder Immuntherapeutika wie Interleukin-2 war so belastend, dass Patienten fast intensivpflichtig waren und daher natürlich stationär aufgenommen werden mussten. Heute haben wir Immuntherapien, die tagesklinisch gegeben werden. Das heißt, man wird heute durch die modernen Therapieoptionen auch weniger Betten brauchen als vor 20 Jahren. Problematisch und grenzwertig wird der Bettenabbau aber natürlich, wenn in Krisenzeiten wie jetzt in der COVID-Krise Stationen umfunktioniert werden und dermatologische Patienten nicht mehr behandelt werden können.

Wie zufrieden sind Sie mit der ­Verankerung der Dermatologie in der Ausbildung für Allgemeinmedizin?

Die Dermatologie ist in der neuen Ausbildungsordnung für Allgemeinmedizin leider zum Wahlfach geworden. Das ist ein großes Thema, das uns in den letzten Jahren sehr beschäftigt hat. Professor Rappersberger hat sich hier sehr stark engagiert – mit Erfolg: Das letzte Wort ist nicht gesprochen, doch die Chancen stehen gut, dass die Dermatologie wieder in die Pflichtausbildung aufgenommen wird. Aktuellen Umfragen zufolge haben 25 % aller Fälle in einer allgemeinmedizinischen Praxis mit relativ banalen dermatologischen Erkrankungen zu tun, von Fußpilz über Akne bis zu Impetigo. All das sind Fragestellungen, die der Allgemeinmediziner in der Regel selbst behandeln kann. Es ist daher wichtig, dass Allgemeinmediziner auch ein gutes Grundwissen in der Dermatologie haben. Daher ist uns eine verpflichtende Verankerung in der Ausbildung ein großes Anliegen.

Haben wir genug Dermatologen? Wo sehen Sie die Herausforderungen in der niedergelassenen Versorgung?

Auch das ist von Bundesland zu Bundesland verschieden. Die dermatologische Versorgung ist in den Flächenbundesländern nicht ideal. Hier werden vor allem in den Randgebieten Kollegen gesucht. In den Städten ist die Situation eine andere, dort sind viele dermatologische Kollegen tätig, viele wiederum als Wahlärzte. Dort wird die Schnittstelle hin zur kosmetischen Medizin ein Thema. Wir sehen eigentlich ein Stadt-Land-Gefälle.
Die Interaktion zwischen Klinik und niedergelassenem Bereich ist ein wichtiges Thema. Da helfen uns die neuen Medien, insbesondere in der Fortbildung, sehr gut. Wir haben im letzten Jahr etliche Hybridveranstaltungen abgehalten, wo wir unsere üblichen wöchentlichen Fortbildungen an der Klinik auch online übertragen haben, sodass auch niedergelassene Kollegen in weiter entfernten Gebieten teilnehmen konnten.

Also auch ein Entwicklungsschub durch Corona …

Ja, die virtuellen Formate werden sehr gut wahrgenommen und haben den Austausch mit Kollegen beflügelt, die aufgrund der Distanz wenig Gelegenheit haben, an Präsenzveranstaltungen teilzunehmen. Das ist eine gute Entwicklung.

Sie sind seit Kurzem ÖGDV-Präsident. Welche Ziele wollen Sie in den ­nächsten Jahren erreichen?

In wissenschaftlicher Hinsicht ist es mein Ziel, die Dermatologie in ihrer Breite und Tiefe weiter zu erhalten und weiter zu forcieren. Mit den modernen Entwicklungen in der Medizin und mit neuen Therapien sind wir sicher auf einem guten Weg. Wir werden uns weiterhin in der Forschung engagieren, hier sind sicher neue tolle Entwicklungen am Horizont, ob das die 3-D-Darstellung des menschlichen Körpers ist, ob das die Gentherapie ist, mit der wir in der Lage sein werden, schwere genetische Erkrankungen zu heilen, oder ob wir neue Ansätze bei weitverbreiteten Erkrankungen finden werden, sei das jetzt das Melanom oder die atopische Dermatitis. Da ist in der dermatologischen Forschung in Österreich vieles in Bewegung.
Als Präsident der ÖGDV ist es mir ein Anliegen, die Zusammenarbeit zwischen klinischem und niedergelassenem Bereich zu forcieren. Es freut mich sehr, dass der BVÖD, der Berufsverband der Österreichischen Dermatologen, der uns als ÖGDV sehr wichtig ist, wieder unter das Dach der ÖGDV zurückkommt. Wir planen hier auch bei der nächsten Jahrestagung im November, gemeinsame Symposien zu veranstalten und den niedergelassenen Bereich stärker in der Jahrestagung abzubilden. Es ist uns sehr wichtig, dass es hier Austausch und Interaktion gibt. Dem wollen wir auch in der Ausbildung und Fortbildung Rechnung tragen.

Vielen Dank für das Gespräch!


Literatur:
  1. Hirsch T, Rothoeft T, Teig N, Regeneration of the entire human epidermis using transgenic stem cells. Nature 2017 Nov 16; 551(7680):327–332. DOI: 10.1038/nature24487