Prim. Univ.-Prof. Dr. Michael Gschwantler: Die ÖGGH als nationale Gesellschaft ist in drei Bereichen tätig: Wissenschaft, Fortbildung und Standespolitik. Wissenschaft ist international zu sehen, aus diesem Grund sind auf diesem Gebiet internationale Kooperationen von enormer Bedeutung. Auf europäischer Ebene stehen uns unter anderem mit der United European Gastroenterology (UEG) und der European Association for the Study of the Liver (EASL) wichtige Kooperationspartner zur Verfügung – vor allem, wenn es um die Erarbeitung internationaler Guidelines geht. Die ÖGGH koordiniert wissenschaftliche Projekte auf nationaler Ebene. Um ein Beispiel von vielen zu nennen: In den vergangenen Jahren konnten zahlreiche wissenschaftliche Studien auf dem Gebiet der Therapie der chronischen Hepatitis C durchgeführt und hochrangig publiziert werden – ein Gelingen, dass nur durch eine multizentrische Kooperation der wichtigsten 10–15 Zentren Österreichs möglich war. Zudem fördert die ÖGGH lokale Forschungsprojekte, im Speziellen jene von jungen aufstrebenden österreichischen Nachwuchswissenschaftern. Die ÖGGH gilt national als führender Fortbildungsanbieter auf dem Gebiet der Gastroenterologie & Hepatologie und der gastrointestinalen Endoskopie. Ziel ist es, diese Fortbildungen gut zu koordinieren, um einerseits die gesamte Breite des Fachgebiets abzudecken und um andererseits ein Überangebot an Fortbildungen zum selben Thema zu vermeiden. Auf standespolitischer Ebene arbeitet die ÖGGH sehr eng mit der Interessengemeinschaft Endoskopie zusammen. Im vergangenen Jahr wurde in Kooperation mit der Österreichischen Ärztekammer ein breit angelegtes Projekt zur Erhebung des Versorgungs-Ist-Zustandes auf dem Gebiet der Gastroenterologie & Hepatologie in Österreich initiiert. Ziel ist es, zu evaluieren, welche Gebiete in Österreich mit welchen Leistungen möglicherweise unterversorgt sind, um letztlich der Politik ein entsprechendes Instrument in die Hand zu geben, um künftig die Versorgung für Gastroenterologie, Hepatologie und gastrointestinale Endoskopie optimieren zu können.
Da man nach aktuellen Daten davon ausgehen muss, dass ca. jeder 17. Österreicher im Lauf des Lebens an einem Kolonkarzinom erkranken wird, würde ich mir – nach jahrelangen Bemühungen unserer Gesellschaft – die Vorsorgekoloskopie als staatlich organisiertes Vorsorgeprogramm institutionalisiert wünschen. Eine Vorsorgekoloskopie wäre die ideale Möglichkeit, Karzinome zu verhindern, da man sie damit nicht nur frühzeitig diagnostizieren, sondern auch Vorstufen (= entsprechende Polypen) entdecken und diese gleich endoskopisch abtragen kann. Ein weiteres Anliegen ist, in Zusammenarbeit mit der Chirurgie und der Österreichischen Ärztekammer eine Spezialisierung Endoskopie zu etablieren. Hintergrund hierzu ist, dass im Rasterzeugnis für den Facharzt für Gastroenterologie & Hepatologie und auch im Rasterzeugnis für den Facharzt für Chirurgie die High-end-Endoskopie nicht mehr enthalten ist. Verstärkte Aktivitäten möchte ich im Fortbildungssektor setzen. Der COVID-19-Pandemie geschuldet, musste der Großteil der face-to-face-geplanten Fortbildungsveranstaltungen und Kongresse abgesagt bzw. auf virtuelle Formate umgestellt werden. Da die ÖGGH ihren Mitgliedern auch unter den derzeitigen Gegebenheiten Fortbildung auf höchstem Niveau bieten möchte, fiel der Entschluss, eine webbasierte Live-Veranstaltungsreihe zu etablieren. Bei diesem innovativen Fortbildungskonzept wird im Rahmen von 14-täglich abgehaltenen Webinaren das Spektrum des Faches von den jeweiligen Fachexperten in einem State-of-the-art-Vortrag dargestellt und anschließend in einer kleinen Runde diskutiert. Die Fortbildungen sind zudem on demand abrufbar. Dieses virtuelle Fortbildungsformat soll, wenngleich nicht zwingend in einem 14-Tage-Rhythmus, beibehalten werden, auch wenn Präsenzveranstaltungen wieder möglich sind. Als weitere wichtige Aufgabe sehe ich die Förderung von Young Clinicians und die Forcierung von Frauen in unserem Fachbereich. Auch das oben bereits erwähnte Projekt zur Erhebung des Versorgungs-Ist-Zustandes ist mir ein großes Anliegen. Ich sehe das Aufdecken von Versorgungslücken als eine meiner Aufgaben als ÖGGH-Präsident.
Die Rolle der ÖGGH in der Nachwuchsförderung ist eine zentrale. Die ÖGGH nimmt die Aufgabe der Nachwuchsförderung sehr ernst, hängt davon doch die Zukunft des Fachgebietes ab. Die jungen Forschenden von heute sind die Klinikleiter und Opinion Leader von morgen. Die ÖGGH schreibt jährlich hochdotierte Preise, die sich auf die Förderung von Forschungsprojekten beziehen, aus. Auch im Rahmen der ÖGGH-Jahrestagung werden diverse Preise für wissenschaftliche Publikationen bzw. die besten Abstracts und Vorträge vergeben. Weiters bieten wir Stipendien für mehrwöchige Hospitationen an internationalen Top-Referenzzentren an. Die ÖGGH versucht zudem, Nachwuchsforscher möglichst aktiv in die Organisation und in die Referentenlisten von Jahrestagungen und anderen ÖGGH-Fortbildungsveranstaltungen einzubeziehen. Dies gilt besonders für Frauen, soll doch der Frauenanteil deutlich erhöht werden.
Speziell wenn es um klinische Forschung geht, ist ein einzelnes Zentrum im Allgemeinen zu klein, um rasch eine große Anzahl an Patienten rekrutieren zu können. Aus diesem Grund sind nationale – oder noch besser internationale – Kooperationen von großer Wichtigkeit. Diese multizentrische Zusammenarbeit hat neben der Rekrutierung einer ausreichenden Patientenzahl in einem kurzen Zeitraum zudem den Vorteil, dass bereits bei der Studienkonzeptionierung viele Ideen einfließen können. Auch in der Grundlagenforschung erachte ich diese Bildung von Netzwerken als äußerst sinnvoll.
Wichtige Forschungsschwerpunkte im Laufe meiner Karriere waren Virushepatitis (und hier insbesondere die Hepatitis C), Helicobacter pylori und durch dieses Bakterium verursachte Erkrankungen des oberen Verdauungstraktes, portale Hypertension und kolorektale Adenome. Auf dem Gebiet der Hepatitis C konnte ich in den vergangenen Jahrzehnten an einer Vielzahl an Phase-II/III-Studien mitwirken und somit einen kleinen Beitrag zur Entwicklung der neuen, direkt antiviral wirkenden Substanzen (DAA) beisteuern. Durch diese modernen Therapiekonzepte ist eine praktisch nebenwirkungsfreie Therapie von Hepatitis C mit Heilungsraten zwischen 95 und 100 % innerhalb von wenigen Wochen möglich. Ziel der WHO ist es, Hepatitis C bis 2030 zu eliminieren. Auch die Stadt Wien verpflichtete sich, dieses Vorhaben tatkräftig mitzutragen und voranzutreiben. Um dieses Ziel erreichen zu können, müssen jedoch alle HCV-Betroffenen aufgefunden, aufgeklärt und einer Therapie zugeführt werden. Diesem Grund geschuldet, beschäftige ich mich seit einigen Jahren im Speziellen mit der Therapie der Hepatitis C bei Randgruppen, insbesondere bei Personen, die Drogen konsumieren (PWIDs, „people who inject drugs“) und bei Obdachlosen.
Hier ist klar die individualisierte Medizin zu nennen, die darauf abzielt, für jeden Patienten auf Grundlage seiner genetischen Veranlagung die individuell beste Therapie zu finden. Einen wichtigen Schwerpunkt bildet hierbei die Mikrobiomforschung, da vor allem Darmbakterien nachweislich einen wesentlichen Einfluss auf den menschlichen Stoffwechsel haben. Wir stehen jedoch noch am Beginn unseres Verständnisses hinsichtlich dieser zahlreichen Interaktionen und Wechselbeziehungen. Ebenfalls ein großes Thema ist die Gentherapie, etwa bei den diversen genetisch bedingten Stoffwechselerkrankungen aus dem Bereich der Hepatologie. Auch auf dem Gebiet der Endoskopie wird künftig die eine oder andere Innovation zu erwarten sein. Obwohl rezent auf dem Gebiet der chronisch entzündlichen Darmerkrankung (CED) viele Therapeutika in der Pipeline stehen, ist man von einer kausalen Therapie, auf die ich in den nächsten Jahren hoffe, derzeit leider noch weit entfernt.