Wie sind aktuell die Therapieziele der Colitis ulcerosa definiert?
Prof. Reinisch: Auf lange Sicht ist das Therapieziel das Erreichen eines mukosalen Heilungszustandes, wobei der Begriff mukosale Heilung einem ständigen Wandel unterworfen ist. Im Wesentlichen geht es darum, die Schleimhaut zur Abheilung zu bringen. Und auch hier unterscheiden wir unterschiedliche Stadien. Ein Stadium der Abheilung ist als vollkommen normale beziehungsweise inaktive Schleimhaut definiert. Die Colitis ulcerosa führt zu Umbauprozessen an der Schleimhaut: Liegt eine chronische Entzündung vor, kann sie zwar nicht wie bei einem Gesunden aussehen, sie kann aber zumindest inaktiv, im Sinne des Fehlens von Entzündungszeichen, erscheinen. Das ist das höchste Ziel, das erreicht werden kann.
Ein weniger hoch gestecktes Ziel ist das Verschwinden aller Ulzerationen. Dabei kann eine erythematöse, gerötete Schleimhaut weiterbestehen, die Geschwüre sollten jedoch zur Abheilung gebracht werden.
Ein weiteres, höher gestecktes Ziel, das sich zunehmend auch in klinischen Studien niederschlägt, ist die Kombination dieser endoskopischen Abheilung mit der histologischen Abheilung. Auch die histologische Abheilung kann unterschiedlich stringente Definitionen haben. Im besten Fall sind in der Mukosa unter dem Mikroskop keine akuten Entzündungszeichen wie übermäßiges Vorhandensein von neutrophilen Granulozyten sichtbar.
Diese Ziele, die in klinischen Studien und auch in den STRIDE-Kriterien definiert sind, sind in der klinischen Routine nicht immer einfach umzusetzen. Auch wenn die Colitis ulcerosa mittels Darmspiegelung leicht erreichbar ist, ist es nicht zumutbar, die Patienten ständig zu koloskopieren. Daher verwenden wir in der klinischen Routine das fäkale Calprotectin, das heute ein ubiquitär verfügbarer Biomarker ist und das uns erlaubt, den Grad der Abheilung der Ulzerationen einzuschätzen.
Welche Rolle spielen Treat-to-Target-Konzepte in der Behandlung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen und im Speziellen bei der CU?
Treat-to-Target-Konzepte sind vor allem beim Morbus Crohn von Bedeutung, da hier an der Mukosa unbehandelt tatsächlich eine Progression der Entzündung stattfindet. Die Colitis ulcerosa weist hingegen unterschiedliche Verlaufsformen auf, und wir verfügen über keine guten Biomarker, um etwa einen schubförmigen oder einen progredienten Verlauf zu prognostizieren. Bei der Colitis ulcerosa gibt es keine Treat-to-Target-Studien, die uns zeigen, welche Behandlungsziele bei welchem Verlauf zu erreichen sind, um einen bestimmten Outcome zu bekommen. Es ist jedoch auch bei der Colitis ulcerosa wichtig, den Patienten zu monitorisieren und das fäkale Calprotectin unter einem gewissen Schwellenwert zu halten. Werden diese Ziele nicht erreicht, so ist die Therapie zu optimieren.
Wie häufig sollte das fäkale Calprotectin gemessen werden?
Das hängt von der individuellen Historie und dem Verlauf ab. Bei einem gut ein-gestellten Patienten mit einer langen inaktiven Phase genügt es, das fäkale Calprotectin halbjährlich zu messen. Bei Patienten mit aktiverer Erkrankung sind häufigere Kontrollen bis zu einmal monatlich erforderlich.
Werden heute eher Step-up- oder Top-down-Konzepte angewandt?
Das sind Schlagworte, die gut klingen, eine Mischung von alledem ist jedoch indiziert. 5-Aminosalicylsäure-(5-ASA-)Präparate, oral oder rektal verabreicht, bilden immer noch die Basis der Therapie der Colitis ulcerosa. Wird damit keine Remission erreicht, kommt die nächste Stufe, die in Abhängigkeit vom Zustandsbild des Patienten sehr unterschiedlich aussehen kann. Während vielfach immer noch Steroide eingesetzt werden, beginne ich bei Nichtansprechen auf 5-ASA bereits sehr früh, den Patienten für ein Biologikum zu screenen, um das Steroid zu vermeiden. Die Patienten sprechen auf Biologika sehr rasch an. Ich möchte vermeiden, dass ein Patient sowohl ein Steroid als auch ein Biologikum erhält und so aufgrund der doppelten Immunsuppression ein erhöhtes Infektionsrisiko hat. Ich verwende kaum noch Steroide oder Immunsuppressiva wie Thiopurin oder Methotrexat, die auch in den Guidelines immer noch empfohlen werden.
Welche neuen Entwicklungen im Bereich der Biologika sind derzeit bzw. in näherer Zukunft verfügbar?
Neben den TNF-alpha-Antagonisten verfügen wir auch über das Antiadhäsionsmolekül Vedolizumab, das sich bei der Colitis ulcerosa zunehmend als Biologikum der ersten Wahl etabliert hat. Ein weiteres verfügbares Biologikum ist der IL-12/23-Antikörper Ustekinumab, der allerdings erst nach Therapieversagen mit TNF-alpha-Antagonisten erstattet wird, obwohl es wahrscheinlich als Biologikum der ersten Wahl ein gutes Profil hätte. Tofacitinib wiederum ist ein Small Molecule, das gezielt die chronische Entzündung unterdrückt und auch als Targeted Therapy bezeichnet werden kann.
Darüber sind viele neue Targeted Therapies in der Pipeline. Das nächste ist vermutlich das Molekül Ozanimod, ein S1P-RezeptorModulator, der bereits bei multipler Sklerose zur Anwendung kommt und dessen Zulassung bei Colitis ulcerosa durch die EMA in Kürze zu erwarten ist. Darüber hinaus stehen selektive JAK-Inhibitoren wie das Filgotinib oder das Upadacitinib vor der Zulassung, die bereits aus der Rheumatologie bekannt sind.
Die Small Molecules sind hoch effektive Substanzen mit raschem und beeindruckendem Ansprechen – auch bei Patienten, bei denen alle anderen Therapien versagt haben. Wie sie sich hinsichtlich der Sicherheit bewähren werden, muss sich im klinischen Alltag noch erweisen.
Ermöglicht diese breite Palette an Substanzen in Zukunft eine individualisierte Behandlung der Colitis ulcerosa?
Natürlich ist es optimal, wenn die einzelnen Substanzen im klinischen Alltag ihr bestes Potenzial entwickeln könnten. Angesichts der Zahl an Biosimilars und dem österreichischen Erstattungssystem habe ich wenig Hoffnung, dass sich ein derartiges Prinzip entwickeln kann. Darüber hinaus bleibt die Frage, ob es uns die entsprechenden translationalen, präzisionsmedizinischen Untersuchungen ermöglichen werden, den Patienten ein bestimmtes Medikament zuzuordnen. Entsprechende Bemühungen sind derzeit eher akademischer Natur. Wir können in Subgruppenanalysen und Post-hoc-Analysen klinischer Studien immer wieder Patientenpopulationen identifizieren, die von einem bestimmten Vorgehen mehr oder weniger profitieren.
Trotz der vielfältigen Therapielandschaft, der wir entgegensehen, liegen die Remissionsraten immer noch bei nur 30 bis 40 %. Es ist daher immer noch wichtig, klinische Studien durchzuführen. Ich möchte daher Kollegen und Patienten ermuntern, klinischen Studien gegenüber offen zu sein, da sie die einzige Möglichkeit sind, unser therapeutisches Armamentarium weiterzuentwicklen und das Ziel, einer von mukosalen Abheilungsrate von 80 %, doch einmal zu erreichen. Entsprechende Informationen zu klinischen Studien in Österreich finden sich auf der Website des Vereins Darm Plus.* Hier können auch Fragen gestellt werden, die von einem erfahrenen Studienarzt beantwortet werden.
Vielen Dank für das Gespräch!