Umgang mit Körperbildveränderungen

Die Arbeit mit onkologischen Patient:innen fällt in keinem Setting leicht, ohne Zweifel. Patient:innen, die an einem Hals-Nasen-Ohren-Tumor erkranken, stellen aus meinem bisher erlebten Klinikalltag eine ganz besondere Herausforderung dar.

Ekel – ein Affekt, kein Instinkt

Eine zentrale Problematik ist der Umgang mit Körperbildveränderungen bei Tumoren im Kopf- und Halsbereich. Lebenslanger Schmerz, eine mögliche Entstellung, Angst, sozialer Rückzug, die scheinbare Hilflosigkeit aufgrund des oft raschen Fortschreitens der Erkrankung sind die wohl gravierendsten Begleiterscheinungen bei den Patient:innen. Ein erheblicher Punkt ist das Thema Ekel. Dieser Begriff beschreibt die Empfindung einer Abneigung in Verbindung mit Widerwillen. Ekel äußert sich durch starke körperliche Reaktionen wie Übelkeit und Brechreiz – bis hin zur Ohnmacht. Die Verarbeitung von Ekel erfolgt im Gehirn im limbischen System, wo unter anderem Emotionen und Triebe verarbeitet werden. Die Wissenschaft beschreibt Ekel als Affekt, nicht als Instinkt. Ekel wurde somit durch eine Sozialisation erworben. Ausgeprägt werden diese Ekelgefühle ungefähr ab dem zweiten Lebensjahr, je nach Kultur und Gesellschaft wird das Ekelgefühl jedoch unterschiedlich geformt. Ekel vor Exkrementen, vor Eiter, vor Leichen und vor verdorbenem Essen findet man weltweit, weniger Ekelgefühl besteht allerdings vor Körperausscheidungen Verwandter.

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass sich Frauen mehr ekeln als Männer, ältere Personen weniger als jüngere. Nicht zu vergessen ist jedoch, dass Ekel als überlebenswichtiger Schutzmechanismus gilt, der Menschen vor Gefahren bewahren soll. Evolutionstechnisch schützte das Gefühl Ekel vor Krankheitserregern, Parasiten und eben verdorbener Nahrung (vgl. Online-Lexikon für Psychologie und Pädagogik, 16. 3. 22).

Ursachen von Ekel

Aber was genau löst im HNO-Bereich – nicht nur bei Patient:innen, sondern auch bei pflegenden Angehörigen sowie beim Krankenanstaltenpersonal – Ekel aus? Vermutlich reicht die folgende Aufzählung nicht aus, um alle möglichen Ursachen abzudecken, aber zumindest, um einen Einblick zu geben: einfache Operationswunden, palliative Wunden, Metastasen im HNO-Bereich, die bei allen Beteiligten oft zu starken olfaktorischen Begleiterscheinungen führen. Wie auch vielen Laien bekannt, löst eine Chemotherapie, mit oder ohne begleitende Radiatio, bei den meisten Betroffenen eine Übelkeit aus. Aber nicht nur Übelkeit ist hierbei ein Thema. Durch eine fraktionierte Bestrahlung werden Schleimhautgewebe und Nerven, die für den Geschmackssinn mehr als wichtig und notwendig sind, zerstört. Dies wiederum lässt Betroffene kaum mehr wirklichen Geschmack vernehmen. „Schmeckt alles wie Karton“, „Ich habe das Gefühl, ich beiße in ein Stück Papier“, „Gebt mit irgendetwas zu essen, ich schmeck es sowieso nicht“ sind nur ein paar wenige ausgewählte Zitate von Patient:innen, welche dieses Ekelgefühl zum Ausdruck bringen.

Wie können wir helfen?

Worauf genau stützt sich nun das Personal, was ist unsere Aufgabe in dieser hochsensiblen Angelegenheit? Die Antwort: Angehörigen, Begleitpersonen und auch dem oder der Erkrankten selbst zu helfen, das aufkommende Ekelgefühl zu reduzieren, im besten Fall gar komplett zu nehmen.

Patientenedukation und Angehörigenedukation: Ein Bereich, wo definitiv nicht nur Ekel, sondern auch Angst, Furcht und Panik genommen werden können, ist beispielsweise in der perkutanen endoskopischen Gastrostomie (kurz PEG-Sonde): Ich als Pflegeperson nehme mir hierbei schon bei einer ersten Anamnese ausreichend Zeit, um dem oder der Betroffenen die anstehenden Eingriffe nochmals zu erklären, im besten Fall auch zu veranschaulichen. In einem anderen Kontext, nämlich um Praktikant:innen auf den schwierigen Stationsalltag vorzubereiten, wurde in einer am Ordensklinikum durchgeführten Praxisanleiterausbildung, die ich 2020 besuchen durfte, ein Abschlussprojekt generiert, bei dem ein Video darstellt, wie eine PEG-Sonde hygienisch verbunden wird. Dabei bastelten eine Kollegin und ich aus Styropor und den für die PEG-Sonde notwendigen Utensilien eine mehr oder weniger professionelle Simulation einer Bauchsonde und filmten den gesamten Ablauf des hygienisch korrekten Verbandwechsels inklusive Desinfektion. Einer Hand voll Patient:innen hat dieses Video ebenso sehr geholfen, um ihnen die erste Panik bei der Versorgung zu nehmen. Der Ablauf der Edukation stellte sich als wesentlich einfacher und komplikationsfreier heraus als ursprünglich angenommen. Gefühle wie Ekel, Abneigung und Unzufriedenheit mit der Situation konnten dabei reduziert beziehungsweise minimiert werden.

Ekelgefühl reduzieren: Oftmals reichen bereits sehr simple Maßnahmen aus, um das Ekelgefühl reduzieren zu können. Hierzu zählen z.B. aromatische Maßnahmen wie etwa Kaffeebohnen, Rasierschaum, Duftöle (Cave: Vorsicht vor Überreizung), Wundauflagen mit Aktivkohle (falls indiziert), Spülen mit z.B. Metronidazol, Verwenden von Chlorophyll-Dragees oder medizinischem Honig. Ein kurzes Aufklärungsgespräch mit den Angehörigen vor dem Betreten des Zimmers kann deeskalierend auf eine Situation wirken und den ersten Kontakt um ein Vielfaches erleichtern.

Resümee

Wie aggressiv und bösartig Hals-Nasen-Ohren- sowie auch Kopftumoren sein können, zeigt die Abbildung.

Abb.: Relative 5-Jahres-Überlebensrate1 bei Kopf-Hals-Tumoren2

Patienten- und Angehörigenedukation nochmals kurz zusammengefasst:

  • Aufgabe der DGKP und des interdisziplinären Teams
  • Versorgung und Umgang mit Patient:innen sowie deren Erkrankung
  • Bereitstellen und Organisieren der notwendigen Utensilien, die eine Versorgung auch zuhause möglich machen
  • Nehmen von Ängsten und Sorgen; Angehörige wissen lassen, dass sie nicht allein sind
  • Klären der weiteren Versorgung
  • Einfühlungsvermögen zeigen
  • Ehrlichkeit
  • Offene Kommunikation sowohl den Erkrankten als auch den Angehörigen gegenüber

Abschließend möchte ich über die Wichtigkeit der Bedeutung für uns Professionist:innen sprechen. Dürfen auch wir uns vor den unter anderem im Artikel beschriebenen Punkten fürchten, darf es uns ekeln, und darf es uns zu viel sein?

Die klare Antwort: Ja.
Und genau das sollte nicht vergessen werden. Wir leisten Tag um Tag und Nacht für Nacht hervorragende, anstrengende, aber letzten Endes auch eine sehr schöne Arbeit.