Bei der AS dauert es bis zur Diagnose ab Beschwerdebeginn im Durchschnitt noch immer 5–10 Jahre. Ein rascher Therapiebeginn wirkt den entzündlich-autoimmunologisch bedingten Schäden an Knochen, Knorpeln und Sehnenansätzen entgegen. Es gilt hier die Progression der Wirbelsäulenversteifung mit Deformation und konsekutiv vornübergebeugter Haltung sowie die damit verbundenen funktionellen Defizite durch eine möglichst frühzeitig eingeleitete Therapie zu vermeiden.
Erstkonsultierte Ärzt:innen sollten im Falle von seronegativen Spondarthritiden besonders aufmerksam auf die Schilderung des entzündlichen Rückenschmerzes durch Betroffene hören beziehungsweise entsprechende Fragen stellen, um das Symptom zu verifizieren. Dies erfordert ein strukturiertes und zielgerichtetes Patient:innen-Gespräch, das oftmals durch den herrschenden Zeitdruck in Ordinationen und Krankenhäusern erschwert ist.
Aus medizinischer Sicht sind hier vor allem Patient:innen zu nennen, bei denen diagnostische Unklarheiten bezüglich der Erkrankung bestehen. Ein Großteil der Betroffenen kann zunächst mit NSAR zufriedenstellend behandelt werden und muss daher nicht unbedingt an ein spezialisiertes Zentrum überwiesen werden. Zur Diagnose der nichtradiografischen AS sollte jedenfalls ein rheumatologisches Zentrum oder auch niedergelassene Rheumatolog:innen zugezogen werden. Da NSAR möglichst kurz gegeben werden sollten, zählen Patient:innen, die eine Dauertherapie mit diesen Medikamenten benötigen und in der Folge eventuell auch eine weiterführende Therapie mit Biologika oder „targeted synthetic DMARDs“ (tsDMARDs), zu jenen, die an ein geeignetes Zentrum beziehungsweise an niedergelassene Rheumatolog:innen überwiesen werden sollten. Bei jedem Behandlungsschritt sollte zudem eine begleitende Physiotherapie durchgeführt werden.
„Die Herausforderung ist, aus der großen Anzahl an Menschen mit chronischen Rückenschmerzen diejenigen mit Morbus Bechterew herauszufiltern.“
Priv.-Doz. Dr. Burkhard Leeb
Schwerpunktpraxis für Rheumatologie, Hollabrunn
Die Definition der Spezialambulanz ist in Österreich relativ heterogen. Zu fordern ist diesbezüglich jedenfalls die permanente Anwesenheit von rheumatologischen In-ternist:innen. Die Hauptaufgabe der Spezialambulanzen besteht in der Betreuung jener Patient:innen, die durch Begleiterkrankungen von seronegativen Spondarthritiden – beispielsweise Uveitiden, entzündlichen Darmerkrankungen oder Psoriasis – beziehungsweise wegen ihrer Komorbiditäten ein besonderes Therapieregime und Monitoring benötigen. Hinzukommen Patient:innen mit fehlgeschlagenen Therapieversuchen oder Behandlungskomplikationen. Die Aufgabe der Spezialambulanzen besteht weniger in der Diagnostik als in der Patient:innen-Führung.
Nach wie vor ist Bewegung der Eckpfeiler zur Erhaltung der Wirbelsäulenbeweglichkeit beziehungsweise zur Vermeidung einer Versteifung der Wirbelsäule bei AS. Eine weitere Säule in der Therapie der AS sind NSAR, die als Mittel erster Wahl eingesetzt werden. Sie sind bei regelmäßiger Kontrolle auch längerfristig indiziert, wenn Patient:innen gut darauf ansprechen. Die tägliche NSAR-Dosis sollte so niedrig wie möglich gehalten werden, in aktiven Krankheitsphasen können jedoch Höchstdosen erforderlich werden. Bei Patient:innen, die unter der Standardtherapie mit NSAR keine ausreichende Reduktion der entzündlichen Krankheitsaktivität erreichen, stellen Biologika und auch tsDMARDs weitere Behandlungsoptionen dar.
Nach Beginn der Therapie sollte die initiale Kontrolle des Therapieerfolges und der Verträglichkeit durch die:den verordnende:n Ärztin:Arzt erfolgen. Ein Zeitraum von etwa drei bis sechs Monaten ist hier anzustreben. Zudem sollten auch immer Hausärzt:innen, zumindest nachrichtlich, in die Betreuung mit eingebunden werden. Dies gilt im Übrigen auch für die Nachsorge nach orthopädisch-chirurgischen Eingriffen, die seit Einführung moderner Therapien aber deutlich seltener geworden sind. In diesem Falle nimmt die Physiotherapie, die bei dieser Erkrankungsgruppe immer eine wichtige Stellung einnimmt, eine noch prominentere Position ein. Allgemeinmediziner:innen sind im chronischen Therapieverlauf entscheidend, während erstverordnende Stellen eher in den Hintergrund treten. Deshalb ist die Kooperation und Kommunikation zwischen Hausärzt:innen und therapieverordnenden Stellen (Ambulanz oder niedergelassene Fachärzt:innen) für die Qualität der Betreuung von Betroffenen wichtig. Es ist auch empfehlenswert, Patient:innen zumindest einmal pro Jahr einer:einem Spezialistin:Spezialisten vorzustellen. Zukünftig könnten telemedizinische Kontrollen den regelmäßigen Besuch im Spezialzentrum ersetzen oder zumindest erleichtern.
Patient:innen mit AS unterliegen einem signifikant höheren Risiko als Gesunde, eine Depression oder Angst- beziehungsweise Schlafstörung zu erleiden. Die psychischen Erkrankungen treten nicht nur im ersten Jahr nach Diagnosestellung gehäuft auf, sondern entwickeln sich auch oftmals erst im Laufe der AS. Die Häufung von psychischen Erkrankungen könnte auf Stress beruhen, der mit der Bewältigung einer chronischen Krankheit in einem relativ jungen Lebensalter verbunden ist, vor allem bei hoher Krankheitsaktivität und abnehmender Arbeitsfähigkeit. Darüber hinaus trägt im Falle der AS vermutlich der systemische Entzündungsprozess zur Entstehung der psychischen Komorbiditäten bei. Viele Morbus-Bechterew-Patient:innen berichten über Schlafstörungen. Diese treten in Form von nächtlichem Erwachen aufgrund von Entzündungsschmerzen auf. Aufgrund der psychischen Komponente der AS sind Selbsthilfegruppen, niedergelassene Psycholog:innen und Psychotherapeut:innen im Behandlungskonzept essenziell. Die psychischen Folgen der AS beeinträchtigen in hohem Maß die Lebensqualität der Patient:innen, sie sind jedoch wie die körperlichen Folgen der Erkrankung gut behandelbar.