Interview

Die spezifische Immuntherapie: Therapieadhärenz ist vorrangig

Welche Vorteile hat die spezifische Immuntherapie in der Behandlung von Allergien und Asthma gegenüber einer medikamentösen Symptomkontrolle?

Dr.in Cornelia Gattringer: Wenn man sich den natürlichen Verlauf einer Pollinose anschaut, sieht man, dass sich bei 40–60 % der Betroffenen einerseits das Allergenspektrum ausbreitet und es andererseits zu einem Etagenwechsel – also zu einer pulmologischen Beteiligung – kommt. Die Ausweitung des Allergenspektrums und den Etagenwechsel kann die spezifische Immuntherapie – kurz SIT genannt – ebenso wie irreversible Organschädigungen z. B. im Bereich der Nase und der Lunge als einzige kausale Therapie nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig verhindern. Die Effekte der SIT bleiben noch Jahre nach Absetzen bestehen, das betrifft zum einen die Asthmakontrolle, zum anderen aber auch die Ausweitung des Allergenspektrums. Zusätzlich ist die SIT im Vergleich zur pharmakologischen Therapie im Sinne eines sozioökonomischen Effektes langfristig kosteneffizienter. Es kommt zu vergleichsweise weniger Krankenständen, weniger Ausfällen und weniger Folgeschäden.

Wann ist die spezifische Immuntherapie indiziert?

Bei einer Pollinose ist eine SIT immer dann indiziert, wenn sich eine IgE-vermittelte Sensibilisierung nachweisen lässt – entweder über einen positiven Hauttest und/oder durch positive IgE-Antikörper in der In-vitro-Diagnostik. Zudem müssen die Symptome der Betroffenen einen eindeutigen Zusammenhang mit der nachgewiesenen Sensibilisierung zeigen und auf eine symptomatische Therapie nicht ausreichend ansprechen. Die Symptome sollten dabei länger als eine Saison bestehen. Eine SIT kann aber auch früher eingesetzt werden, beispielsweise bei Kindern aus Hochrisikofamilien, um die Entstehung eines allergischen Asthma bronchiale zu verhindern.

Und bei nichtinhalativen Allergien?

Bei der Insektengiftallergie im Erwachsenenalter sollte die Immuntherapie all jenen empfohlen werden, bei welchen die Symptome über eine reine Hautreaktion hinausgehen. Wenn die Lebensqualität beeinträchtigt wird – etwa weil die Betroffenen sich aus Angst, gestochen zu werden, nicht mehr aus dem Haus trauen –, auch schon früher. Nicht durchgeführt werden sollte die Immuntherapie auf Bienen- und Wespengift dann, wenn nur eine Sensibilisierung ohne Symptome vorliegt oder die Symptome nicht einer Soforttypreaktion entsprechen.
Eine spezifische orale Immuntherapie gibt es neuerdings auch für Personen mit Erdnussallergie. Das Präparat, das hier angewendet wird, ist für Kinder und Jugendliche im Alter von 4 bis 17 Jahren zugelassen. Die Ernährung der Betroffenen sollte aber weiterhin erdnussfrei bleiben, die Immuntherapie ist hier also mehr als Schutz vor einer überschießenden anaphylaktischen Reaktion gedacht.

„Die spezifische Immuntherapie kann als einzige kausale Therapie Allergie-Folgeerscheinungen wie Etagenwechsel, Ausweitung des Allergenspektrums und Endorganschäden nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig verhindern.“

 

Welche Faktoren haben Einfluss auf den Therapieerfolg?

Bei der Pollinose kennt man einige Faktoren, die den Therapieerfolg erhöhen können. Dazu zählen ein junges Lebensalter, eine kurze Erkrankungsdauer und eine geringe Beteiligung der unteren Atemwege. Sehr wichtig für den Erfolg der SIT ist die Compliance – also die regelmäßige und ausreichende Anwendung der Medikation. Man weiß, dass eine hohe kumulative Dosis der Immuntherapeutika wesentlich zum Erfolg beiträgt.

Mittlerweile stehen für immer mehr Allergieformen auch orale SIT-Präparate zur Verfügung. Anhand welcher Entscheidungskriterien wählen Sie zwischen subkutaner und sublingualer Therapie?

Die Entscheidung zwischen subkutaner oder sublingualer Immuntherapie ist eine individuelle. Die neuen Hochdosissublingualpräparate, wie sie beispielsweise für die Hausstaubmilben- oder Gräserpollenallergie zur Verfügung stehen, sind der subkutanen Immuntherapie ebenbürtig. Die sublinguale Immuntherapie zeigt im Vergleich zur subkutanen Immuntherapie ein geringeres Risiko für Systemreaktionen und eignet sich vor allem bei Personen mit einer Spritzenphobie. Was die vorhin schon angesprochene Therapieadhärenz betrifft, haben leider beide Applikationsformen schlechte Werte. So zeigte etwa eine Studie aus den Niederlanden, dass die Adhärenz bei der subkutanen Immuntherapie nach drei Jahren etwa 18 % versus 7 % bei der sublingualen Immuntherapie beträgt. Insbesondere bei Jugendlichen gilt es dieses Adhärenzproblem zu berücksichtigen, wenn eine sublinguale Therapie verschrieben wird. Wir müssen die Patientinnen und Patienten hinsichtlich der Applikationsform daher nicht nur gut beraten und zuteilen, sondern sie auch intensiv nachbetreuen.

Wie lange dauert eine SIT, und wie hoch sind die Erfolgsaussichten auf eine Symptombesserung bei den gängigsten Allergien?

Die SIT dauert in der Regel drei Jahre. Eine stärkere Wirksamkeit ist bei kontinuierlicher Verabreichung anzunehmen. Das heißt, eine hohe kumulative Dosis erhöht die Erfolgsaussichten. Der Erfolg ist dabei abhängig vom Allergen und von den individuellen Faktoren. Die besten Erfolgsaussichten zeigt eine Immuntherapie gegen Wespengift. Hier liegt die Wirksamkeit bei etwa 90 % der Behandelten. Nachfolgend die Bienengiftallergie mit 80–85% und dann Pollen, wo 70 % aller behandelten Patient:innen eine Besserung zeigen. 60 % sind es bei der Hausstaubmilbe und nur etwa 50 % bei einer Allergie auf Tierhaare und Schimmelpilze. Die Immuntherapie auf Tierhaare und Schimmelpilze hat derzeit ein schlechtes Nutzen-Risiko-Profil und sollte Personen vorenthalten bleiben, die beruflich solchen Allergenen ausgesetzt sind, beispielsweise Tierärztinnen und Tierärzte, Landarbeiter:innen oder Pferdezüchter:innen.

In welchen Fällen sollte die spezifische Immun-therapie grundsätzlich nicht angewendet werden?

Kontraindikationen sind beispielsweise unkontrolliertes Asthma bronchiale, aktive Tumorerkrankungen oder auch gewisse systemische Autoimmunerkrankungen mit einem aktiven Krankheitsgeschehen. Autoimmunerkrankungen, die gut kontrolliert und auf ein Organ limitiert sind, klassischerweise die Autoimmunthyreoiditis oder auch eine rheumatoide Arthritis, stellen aber keine Kontraindikation dar. Während einer Schwangerschaft sollte keine SIT begonnen werden. Das Fortsetzen einer SIT in der Schwangerschaft bei einer lebensbedrohlichen Allergie durch Insektengift – z. B. Biene, Wespe – und guter Verträglichkeit ist ratsam, bei Aeroallergenen möglich.

Vielen Dank für das Gespräch!