Priv.-Doz.in Dr.in Florentine Moazedi-Fürst: Begonnen hat alles damit, dass an unserer Abteilung zwar immer wieder Sklerodermie-Patient:innen vorstellig wurden, wir aber keinen dahingehenden institutionellen Schwerpunkt hatten. Das hat dazu geführt, dass ich 2008 – unter der Leitung von Prof. Winfried Graninger – die Sklerodermie-Ambulanz gegründet habe. In weiterer Folge wurde auch ein eigenes Therapiekonzept erarbeitet, das mit dem Grazer Protokoll die medikamentöse Therapie, aber auch andere Aspekte der Behandlung umfasst und von Anfang an interdisziplinär ausgerichtet war. Und wir hatten einigen Erfolg: Wir haben mit 30 Patient:innen begonnen, mittlerweile betreuen wir über 400. Wirklich erfreulich ist, dass in den letzten zehn Jahren auch keine:r dieser Patient:innen an der SSc verstorben ist. Wenn man sich vor Augen führt, dass die diffuse SSc üblicherweise eine 5-Jahres-Mortalität von 50 % aufweist, ist das wirklich ein großer Erfolg, der nur durch die dahinterstehende abteilungs- und fächerübergreifende Arbeit ermöglicht wurde.
Es hat sich auch im Zuge des Sklerodermie-Tages gezeigt, dass die Betreuung von SSc-Patient:innen an der MedUni Graz tatsächlich ein Stand-alone-Merkmal darstellt, aber ich möchte auch ganz deutlich die Kooperation mit anderen Häusern und Kliniken betonen; v. a. deshalb, weil nicht alle Patient:innen bei uns betreut werden können. Deswegen bin ich für die bestehenden, gut funktionierenden Netzwerke – auch die Patientennetzwerke – sehr dankbar. Ich denke, dass die Veranstaltung diese Kooperationen sehr gut veranschaulicht hat und zu einem verstärkten Austausch beigetragen hat. Nicht zuletzt war der Sklerodermie-Tag auch eine Motivation, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen.
Eine SSc-Patientin, Ariane Schrauf, hat am Race Around Austria (Radsportveranstaltung; Anm.) teilgenommen und dabei über 18.000 Euro lukriert, die sie uns zur Verfügung gestellt hat. Wir haben uns dazu entschieden, dieses Geld nicht direkt für die Wissenschaft, sondern primär für Aufklärungsarbeit zu verwenden. Die Abhaltung des Sklerodermie-Tages, der auch Patient:innen offenstand, sollte zeigen, dass wir in Österreich sehr gute Therapieangebote haben und dass sich auch deswegen eine frühe Diagnose lohnt. Schlussendlich ging es neben der Aufklärung und Fortbildung aber auch darum, sich bei allen Akteur:innen zu bedanken.
Das erklärte Ziel ist ein nächster Sklerodermie-Tag im Jahr 2024. Frau Schrauf, die wie erwähnt den Sklerodermie-Tag mitinitiiert hat, wird am Race Around Austria 2023 erneut teilnehmen und wieder versuchen, Spenden zu akquirieren. Wir selbst haben auch ein entsprechendes Spendenkonto, das eigens der Sklerodermie gewidmet ist, eingerichtet (s. nachstehende Information; Anm.).Wichtig ist uns, dass die Veranstaltung für Kolleg:innen und Patient:innen weiterhin kostenfrei ist.
Als Grazer Protokoll bezeichnen wir ein eigenes medikamentöses Therapiekonzept. Dazu werden wir bald 10-Jahres-Daten publizieren können. Neben dem eigentlichen Protokoll umfasst unser Therapiekonzept aber auch Ergo- und Psychotherapie. Ergotherapeutisch haben sich z. B. Paraffinhandbäder sehr bewährt. An unserer Abteilung hat Prof.in Monika Graninger bis zu ihrer Pensionierung unseren Patient:innen eine psychologische Betreuung in Form eines Copings angeboten. Auch mit den Selbsthilfegruppen besteht eine enge Zusammenarbeit. Insgesamt ist aufgrund der Symptomvielfalt und der unterschiedlichen betroffenen Organsysteme die nicht nur medizinisch interdisziplinäre Zusammenarbeit besonders wichtig. Dass die psychologische Unterstützung aktuell nicht bei uns im Haus erfolgen kann, ist natürlich problematisch. Denn einerseits ist es nun organisatorisch aufwendiger und andererseits kostet es die Patient:innen schlicht Geld.
Und gerade der psychische Aspekt ist extrem wichtig. Das fängt beim Zeitpunkt der Diagnosestellung an, wo ich mir zwar auch als Rheumatologin viel Zeit nehme und die Erkrankung und weitere Vorgehensweise genau erkläre; die Erfahrung hat aber gezeigt, dass eine frühe psychotherapeutische Begleitung sehr hilfreich ist. Die Patient:innen gehen einfach mit einem besseren, oft positiven Gefühl nach Hause. Die momentan erfolgende externe psychologische Begleitung funktioniert zwar auch, kann aber das Coping im Haus nicht ersetzen.
Zentral ist natürlich die Awareness. Der Hintergrund ist, dass ähnlich wie bei anderen Erkrankungen gilt, dass vermutlich umso weniger Spätschäden auftreten werden, je früher ich sie diagnostiziere. Nachdem dazu irreversible Schäden wie die Lungenfibrose zählen, ist die frühe Diagnose umso wichtiger.
Erstes Symptom ist in über 90 % der Fälle das Raynaud-Phänomen: Die Patient:innen beschreiben, dass sich die Hände bei Triggern wie Stress oder Kälte verfärben, wobei ein Großteil der Raynaud-Phänomene als primär einzuordnen ist. Es tritt also isoliert auf, ohne zugrunde liegende Autoimmunerkrankung als Ursache. Trotzdem sollte bei Patient:innen mit einer Raynaud-Symptomatik gezielt nach weiteren Symptomen gefragt werden. Dazu zählen z. B. ein Spannen der Haut oder ein Hautgefühl, als würde man einen zu engen Handschuh tragen.
Bei Vorliegen solcher Symptome sollte eine Überweisung an eine Sklerodermie-Ambulanz oder an eine:n Rheumatolog:in erfolgen, wo eine Antikörperbestimmung und eine Kapillarmikroskopie veranlasst wird. Werden eine Handschwellung und/der Autoantikörper bei gleichzeitigem Raynaud festgestellt, handelt es sich bereits um eine Frühform. Auch wenn sonst noch keine Symptome bestehen, werden die Patient:innen in Observanz genommen und gut aufgeklärt – insbesondere im Hinblick auf neu auftretende Symptome. Dann werden je nach Symptomatik beispielsweise Lunge, Herz oder Gastrointestinaltrakt genauer untersucht. Wichtig ist: Wenn ein Raynaud-Phänomen gemeinsam mit dem beschriebenen Spannungsgefühl in den Händen oder richtiggehenden Hautverhärtungen auftritt, die sich meist an den Oberarmen manifestieren, sollte das immer rheumatologisch abgeklärt werden.
Wichtig ist, dass man zunächst die kutane Form, die zirkumskripte Sklerodermie, auch Morphea genannt, von der systemischen Sklerose abgrenzt. Dabei handelt es sich um eine reine Hauterkrankung, die meistens ANA-(antinukleäre Antikörper-)negativ ist und normalerweise nicht in eine systemische SSc übergeht. Bei der systemischen Sklerose unterscheidet man die limitierte von der diffusen Form. Bei der häufigeren limitierten SSc ist der Stamm oft ausgespart, primär sind die Akren betroffen. Die diffuse Form beginnt hingegen meist am Stamm und kann die ganze Haut betreffen. Obwohl die limitierte Form eher mit einer weniger schwerwiegenden Organbeteiligung verbunden ist, müssen Betroffene durchgängig in Observanz gehalten werden. Denn auch für die limitierte Form gilt, dass in einem Zeitraum von fünf Jahren 40 % der Patient:innen eine Lungenbeteiligung entwickeln, die meistens den lebenslimitierenden Faktor darstellt. Hier rechtzeitig medikamentös gegenzusteuern hat einen entscheidenden Einfluss auf das Leben der Betroffenen. Es ist daher wichtig festzuhalten, dass sich die Einteilung nach „limitiert“ und „diffus“ ausschließlich nach der Hautbeteiligung richtet und keinen Schluss auf den tatsächlichen Krankheitsverlauf zulässt. Bei 10 % der SSc-Patient:innen ist die Haut überhaupt nicht betroffen. In diesen Fällen spricht man von systemischer Sklerose sine Scleroderma, einem Krankheitsbild, das verständlicherweise schwierig zu diagnostizieren ist.
Ein vielleicht noch interessanterer Aspekt ist der Umstand, dass es Autoantikörper-Profile gibt, die mit bestimmten klinischen Bildern assoziiert sind. So sind beispielsweise RNA-Polymerase-3-Antikörper mit der Entwicklung von Nierenkrisen vergesellschaftet oder SCL-70-Ak mit Fibrosen und Centromer-Ak eher mit offenen Fingern und Lungenhochdruck.
Ganz klar ist: Die Früherkennung ist entscheidend. Das gilt grundsätzlich für alle chronischen Erkrankungen. Was es bei der SSc auch braucht, ist eine gute Zusammenarbeit, und das betrifft auch oder gerade die Wissenschaft. Wissenschaftliche Studien sind essenziell, und der wissenschaftliche Bereich gehört auch ein Stück weit den nicht primär wissenschaftlich tätigen Kolleg:innen. Und so betrachte ich es auch als ärztliche Aufgabe, unseren Patient:innen die Angst davor zu nehmen, bei wissenschaftlichen Studien mitzumachen. In diesem Sinn habe ich an die niedergelassenen Kolleg:innen neben dem Dank für die gute Zusammenarbeit auch den Appell gerichtet, den Patient:innen die Teilnahme an geeigneten Studien näherzubringen. Das hilft der Wissenschaft, aber, noch wichtiger, v. a. unseren Patient:innen.