„Wir kommen eigentlich nicht zur Ruhe“, sagte der Leiter des Forums, Dr. Jan Oliver Huber, mit Blick auf die gegenwärtige Weltlage. Dabei sei COVID-19 – derzeit – nicht mehr das überragende Thema in der Öffentlichkeit. Huber: „Grundsätzlich muss man sagen, dass es (rund um SARS-CoV-2/COVID-19; Anm.) ruhiger geworden ist. Wobei wir nicht wissen, wie sich der Herbst gestaltet.“
Für Prim. Priv.-Doz. Dr. Arschang Valipour, Vorstand der Abteilung für Innere Medizin und Pneumologie der Klinik Floridsdorf in Wien, sind für den Krankenhausbereich jedenfalls einige Lehren aus der nunmehr schon seit Anfang 2020 dauernden Pandemie zu ziehen: Zunächst sei der Ablauf der COVID-19-Pandemie in Wellen bemerkenswert: die erste mit einer Ausbreitungsphase in der Bevölkerung, die zweite Welle, welche besonders vulnerable Personengruppen betroffen hätte. Nun sehe man mit der dritten bzw. vierten Welle zunehmend jene Menschen, die auch langfristig Schaden genommen hätten.
Valipour: „COVID-19 geht eindeutig mit einer Übersterblichkeit einher. Eine hohe intramurale SARS-CoV-2-Prävalenz erhöht aber auch die Non-SARS-CoV-2-Mortalität.“ In der wissenschaftlichen Literatur zeige sich das durchgängig: Eine Steigerung der Non-SARS-CoV-2-Mortalität beispielsweise im Vergleich Juli bis September 2019 (vor COVID-19) und einem Zeitraum mit hoher Prävalenz (2021) um den Faktor 1,37. Auf COVID-19 spezialisierte Krankenhausabteilungen hätten hingegen um rund ein Viertel geringere Mortalitätsraten. „Gleichzeitig ist die Inanspruchnahme aller wichtigen Krebs-Screenining-Tests mit COVID-19 deutlich weniger geworden. Man sieht zum Beispiel bei Lungenkrebs einen Shift zu Diagnosen in späteren Stadien“, sagte Valipour. Nicht zu vergessen: die Langzeitprobleme! „Wir werden damit rechnen müssen, dass etwa 20 % der von Long COVID Betroffenen nicht mehr ins Berufsleben integriert werden kann.“
Einig waren sich Valipour und Assoc.-Prof.in Priv.-Doz.in Dr.in Eva Schaden (Universitätsklinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie; MedUni Wien/AKH) bezüglich der im Spitalswesen zu ziehenden Lehren. „Die Versorgung steht und fällt mit dem ausgebildeten Personal“, sagte Valipour. Flexible Spitalskapazitäten und Planung, neue SOPs für die Krankenhaushygiene, vereinfachte Dokumentation, Supervision für das Gesundheitspersonal und mehr Investitionen in die Telemedizin seien notwendig.
Eva Schaden, auch Präsidentin der FASIM (Verband der intensivmedizinischen Gesellschaften Österreichs): „Wir brauchen eine Attraktivierung des Arbeitsumfeldes mit Entwicklung neuer, insbesondere familienfreundlicher Arbeitszeitmodelle, natürlich eine leistungsgerechte Bezahlung und multiprofessionelle Intensivteams mit ausreichender Personalausstattung. Es geht dem Nachwuchs um die Work-Life-Balance.“
Nur so könne man auch in Zukunft eine optimale Versorgung in der Intensivmedizin auch in einem Pandemiefall sicherstellen. „Wir haben in Österreich eine ausreichende Ausstattung mit Kategorie-III-Intensivbetten und Beatmungsplätzen. Aber wir brauchen abgestufte Versorgungsstrukturen einschließlich der Optimierung der Verweildauer durch Abstimmung aller vor- und nachgelagerten Bettenkapazitäten sowie Maßnahmen zur Vermeidung disproportionaler Intensivtherapie.“ Die moderne Intensivmedizin hänge von einer personell optimalen Ausstattung ab, weil sie menschenzentriert arbeiten müsse, um die besten Ergebnisse zu erzielen.
Genauso notwendig sei auch ein österreichweites digitales ICU-Register. Und: „Der österreichische Föderalismus ist wirklich ein Hemmnis für das Management einer Pandemie.“
Zentrale Fragen – auch mit Hinblick der Schnittstellen zwischen extra- und intramuralem Bereich – sprach Dr. Andreas Krauter, Leiter des Medizinischen Dienstes der Österreichischen Gesundheitskasse, an: „Wir schaffen es noch nicht, die Informationen aus dem Epidemiologischen Meldesystem (EMS; Anm.) mit anderen Daten zu verknüpfen. Wir brauchen eine konsequente und einheitliche Datenerfassung in hoher Qualität quer durch alle Sektoren, um möglichst rasch alle relevanten Erkenntnisse ableiten und Maßnahmen setzen zu können.“
Auch die Politik habe nicht immer eine positive Rolle beim Management der Pandemie übernommen: „Es war ganz einfach so, dass die Politik das zu ihrem Spielplatz gemacht hat. Man hat suggeriert, es wird alles gut. Aber es wurde nicht alles gut.“ Auch die Verteilung der Aufgaben zwischen Spitals- und extramuralem Bereich hätte nicht unbedingt optimal funktioniert: „Kritisch gesehen hat sich die stationäre Versorgung fast ausschließlich auf die Versorgung von COVID-19-Erkrankten konzentriert. Im niedergelassenen Bereich war ein großer Teil der Ärzteschaft aufopfernd und mit hohem Risiko im Einsatz. Ein anderer Teil hat sich zurückgezogen.“
Was laut Krauter zu tun ist (Beispiele):
Eine Kernbotschaft von Dr. Gerda Hoffmann-Völkl, Leiterin des Vorstandsressorts Klinische Betriebssteuerung des Wiener Gesundheitsverbundes: „Wir benötigen eine bedarfsadäquate Weiterentwicklung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Die Realität zu Beginn der Pandemie war: Der Öffentliche Gesundheitsdienst hat seine Aufgaben nur teilweise erfüllt.“
Es bedürfe eines Ausbaus „fachlich und personell entsprechend gut aufgestellter und vernetzter sowie bundesweit abgestimmter Strukturen. Damit kann der Öffentliche Gesundheitsdienst bundesweite koordinierende und politikberatende Rollen übernehmen.“
Gut funktioniert habe in Wien beispielsweise der intramurale „Eskalationsplan“ mit der Anpassung der Intensivbetten und Beatmungskapazitäten an die jeweilige Entwicklung der Pandemie. Gut funktioniert hätten auch die COVID-Triage im extramuralen Bereich in Zusammenarbeit mit dem Ärztefunkdienst, um einen ungeregelten Einstrom von Patient:innen in die Krankenhäuser zu verhindern, und die in Wien niederschwellig angebotenen SARS-CoV-2-Tests. Als Lessons learned werde man in der Zukunft bei Intensiv-Neubauten in Wien jedenfalls mit mehr Flächen vorsorgen, um nötigenfalls schnell „Pop-up-Betten“ installieren zu können.
Jetzt geht es zunehmend mehr um das Personal. Die Expertin: „Das halbe Land war im Lockdown. Das Gesundheitspersonal war in den Kliniken. Nach zweieinhalb Jahren Pandemie und derzeit nachlassendem Stress wollen viele ihr ,normales‘ Leben zurück und denken daran, ihr Berufsleben anders auszurichten. Wir müssen versuchen, den intramuralen Bereich zu entlasten.“ Hier müssten sich auch private Träger, der niedergelassene Bereich und der Reha-Bereich mehr beteiligen. „Wir gehen alle davon aus, dass die nächste (COVID-19-)Welle kommt.