Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung ist mit einer Prävalenz von etwa 5 % eine häufig anzutreffende Erkrankung. Während sich im ICD-11 zukünftig eine Subtypisierung finden lässt, verlangt das ICD-10 noch das Vorhandensein einer Trias aus Überaktivität, Impulsivität und motorischer Hyperaktivität, die bereits im Grundschulalter (Beginn vor dem 7. Lebensjahr) situationsübergreifend für mindestens 6 Monate vorhanden sein muss.
Gemäß den S3-Leitlinien ist je nach Schweregrad eine Kombination aus Elterntrainings, verhaltenstherapeutischen Maßnahmen und gegebenenfalls auch einer psychopharmakologischen Behandlung angezeigt.
Angststörungen zählen auch im Kindesalter zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. So können sich spezifische Phobien als Ängste vor bestimmten Objekten oder Situationen finden lassen. Auch die generalisierte Angststörung kann, ebenso wie soziale Phobien, im Kindes- und Jugendalter vorhanden sein und teilweise zu massiven Einschränkungen in der Lebensführung beitragen. In der Therapie haben sich psychotherapeutische Interventionen bewährt. Bei therapieresistenten Fällen kann eine SSRI-Gabe angedacht werden (off-label).
Im Bereich des Autismus findet sich im ICD-11 eine Neuordnung im Sinne der Definition einer Autismus-Spektrum-Störung, wobei eine weitere Einteilung nach kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten erfolgt. Die Symptome einer Autismus-Spektrum-Störung sind meist schon im frühen Kindesalter zu finden, die aktuelle Literatur geht davon aus, dass mit 24 Monaten bereits die Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung zielsicher gestellt werden kann (Estes et al., 2019) (siehe Tab.). Die Diagnostik der Autismus-Spektrum-Störung besteht aus Interviews und Beobachtungen, die von Spezialist:innen durchgeführt werden sollten. In der Therapie haben sich hochfrequente verhaltenstherapeutische Maßnahmen bewährt. Bislang gibt es keine Option einer medikamentösen Therapie.
Im Bereich der Essstörungen werden Erkrankungen wie die Anorexia nervosa, die Bulimia nervosa und die Binge-Eating-Disorder unterschieden. Die Therapie besteht in einem Wiederaufbau der Nahrungsaufnahme, die von psychotherapeutischen Maßnahmen, v. a. von familientherapeutischen Maßnahmen, begleitet wird. Komorbiditäten können medikamentös behandelt werden.
Depressive Episoden findet man im Kindes- und Jugendalter häufig. Bis zum Erreichen des 18. Lebensjahr ist davon auszugehen, dass ca. ein Fünftel aller Kinder und Jugendlichen zumindest eine behandlungsbedürftige depressive Episode durchlebt hat (Shorey et al., 2021). Die Therapie der Depression stellt je nach Schweregrad eine psychotherapeutische Intervention (Verhaltenstherapie oder interpersonelle Psychotherapie) dar, die gegebenenfalls durch eine SSRI-Gabe (Zugelassen: Fluoxetin) ergänzt werden kann.
Etwa ein Viertel der Jugendlichen in Österreich hat sich zumindest einmalig selbst verletzt, etwa ein Drittel hat zumindest einmalig über Suizid nachgedacht (Wagner et al., 2017, Plener et al., 2013). Diese Zahlen machen deutlich, dass es sich um keine seltenen Zustandsbilder handelt. Häufig führen auch akute Suizidgedanken oder nichtsuizidale Selbstverletzung (NSSV) zu einer Notfallvorstellung im kinder- und jugendpsychiatrischen Rahmen. Mittlerweile existiert eine Vielzahl an randomisierten, kontrollierten Studien, die eine Wirksamkeit verschiedener psychotherapeutischer Verfahren zeigen konnten (Kothgassner et al., 2020). Bei akuten Suizidgedanken sollte umgehend eine fachärztliche kinder- und jugendpsychiatrische Abklärung eingeleitet werden.
Bereits vor Beginn der Pandemie war die Zahl der zur Verfügung stehenden stationären Behandlungsplätze massiv unter der im Strukturplan Gesundheit Österreich geforderten Bettenmessziffer, insgesamt arbeiten im niedergelassenen Bereich weniger als 100 Kolleginnen und Kollegen kassen- oder wahlärztlich (Fliedl et al., 2019). Betrachtet man diese Zahlen, so wird auch die Relevanz von niedrigschwelligen Angeboten (etwa im schulischen Bereich), aber auch die Relevanz von Früherkennung und zielgenauer Zuweisung von Verdachtsfällen durch Kolleginnen und Kollegen der Allgemeinmedizin oder aus der Pädiatrie deutlich.
Dem wurde in der neuen Ärzteausbildungsordnung mit Fachärztinnen und Fachärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie und psychotherapeutische Medizin Rechnung getragen. Die Arbeit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie bedeutet immer auch eine Arbeit mit den beteiligten Systemen wie etwa den Familien, der Kinder- und Jugendhilfe, den Gerichten und den schulischen Einrichtungen. Eine solche Arbeit kann nur im multiprofessionellen Team gelingen, sodass ein starker Vernetzungsgedanke ein zentrales Element kinder- und jugendpsychiatrischer Arbeit ist. Die Dichte an Fachärztinnen und Fachärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie war bereits vor der COVID-19-Pandemie deutlich zu gering. Die Lage hat sich in den vergangenen zwei Jahren weiterhin verschärft, sodass auch in der Zukunft weitere Maßnahmen zur Erweiterung des Personalstandes in diesem Fachgebiet notwendig sein werden.