Die HWS-Orthese – Time to say Goodbye

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Man muss zugeben, dass es sich hierbei um ein heikles und viel diskutiertes Thema handelt.

Abhängig von der Literatur geht man bei ungefähr 10% aller Patienten davon aus, dass die Wirbelsäule verletzt ist. Nun woher das Problem kommt, merkt man, sobald man sich die älteren Praktiken der Wirbelsäule-Immobilisierung vor Augen führt. Sie basiert auf den folgenden Annahmen:

>> Verletzte Patienten können eine instabile Verletzung der Halswirbelsäule (HWS) haben.
>> Zusätzliche Bewegungen der HWS könnten zu einer zusätzlichen Schädigung des Rückenmarks führen
>> Das Anlegen einer starren Halskrause kann potenziell schädliche Bewegungen der Halswirbelsäule verhindern.
>> Die Ruhigstellung der Wirbelsäule ist ein relativ harmloses Verfahren und kann daher bei einer großen Anzahl von Patienten mit einem relativ geringen Verletzungsrisiko angewendet werden. Sie wird oft als Vorsichtsmaßnahme eingesetzt.

Verschlimmerung des Schadens?
Es wurde immer angenommen, dass eine zusätzliche Bewegung bei einem Patienten mit einer Wirbelsäulenverletzung den Zustand verschlimmern oder zu einer Sekundärverletzung führen würde. Es gibt jedoch keine Daten, die dies belegen. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen.

Erstens ist der ursprüngliche Verletzungsmechanismus, der die Wirbelsäulenverletzung verursacht hat, in der Regel schwerwiegend, und einfache Bewegungen während der Patientenversorgung sind wahrscheinlich nicht so schwerwiegend. Außerdem stellen die natürliche Reaktion des Patienten auf eine schwere Verletzung de facto eine Art Schienung dar. Bei Verletzungen der Halswirbelsäule ziehen sich die Muskeln des Halses zusammen, was zusammen mit den Schmerzen weitere schwere Bewegungen einschränkt.

Vorbeugen gegen schädliche Bewegungen?
Erstens gibt es, wie oben ausgeführt, keine Beweise dafür, dass zusätzliche einfache Bewegungen der Halswirbelsäule zusätzliche Schäden verursachen, und selbst wenn man davon ausgeht, dass dies der Fall ist, würde eine vollständige Immobilisierung voraussetzen, dass der Nacken in allen Bewegungsachsen vollständig blockiert wird. Dies ist schwierig, da der Bewegungsumfang der HWS recht groß ist.

Mit anderen Worten: Es ist unmöglich, die HWS zu immobilisieren, ohne den gesamten Patienten zu immobilisieren.Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass die HWS in nennenswertem Umfang ruhig gestellt werden kann. Selbst der postoperative Halo-Fixateur lässt bei richtiger Platzierung immer noch 4 Grad an Bewegung zu.

Also wo stehen wir derzeit:
Swartz et al hat 20091 bereits gezeigt gezeigt, dass die Ruhigstellung der Wirbelsäule und insbesondere das Anlegen starrer HWS Orthese eine potenziell gefährliche Praxis ist. Weitere Gründe dafür sind unter anderem:

Stiff Necks stören das Atemwegsmanagement
Es gibt eine beträchtliche Anzahl von Studien, die gezeigt haben, dass die Immobilisierung der Wirbelsäule das Atemwegsmanagement beeinträchtigen kann. Selbst eine korrekt angelegte starre Halskrause schränkt die Mundöffnung um 25% oder mehr ein.

Stiff Necks erhöhen die Wirbelsäulenbewegung bei Verletzungen der hohen Halswirbelsäule
Verletzungen der hohen Halswirbelsäule gehören zu den katastrophalsten Wirbelsäulenverletzungen und betreffen den ersten (C1) bis vierten (C4) Halswirbel sowie das Atlantookzipitalgelenk. Das Anlegen eines starren C-Kragens führt zur Trennung von C1 und C2 und damit zur Dehnung des hohen Rückenmarks.

Stiff Necks verursachen Druckstellen
Sie verursachen einen erhöhten Gewebedruck und in der Folge Druckstellen. Dies kann dem Patienten Schmerzen bereiten und das Risiko einer Sekundärinfektion erhöhen. Vor allem sind sie jedoch extrem unbequem. Aus diesem Grund ist es ein Hauptziel in der Notaufnahme und im Traumazentrum, den Patienten so schnell wie möglich von einem Rückenbrett zu befreien und aus der Halskrause zu holen.

Anhand der dänischen Leitlinien2 zum Thema zeigen wir euch die zentralen Empfehlungen:

  • keine starren Zervikalstütze bei erwachsenen Traumapatienten
  • kein Spineboard bei erwachsenen Traumapatienten, außer es handelt sich um zeitkritische, ABCDE-instabile Patienten
  • Vakuummatratze bei Erwachsenen, ABCDE-stabilen Patienten mit neurologischen Ausfällen oder Schmerzen in der Wirbelsäule.
  • Bei isolierter penetrierender Verletzung keine Immobilisierung
  • Triage-Tool anhand der Empfehlung soll zur Entscheidung über eine notwendige Immobilisation herangezogen werden

Literatur: 
1 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2681208/
2 https://sjtrem.biomedcentral.com/counter/pdf/10.1186/s13049-019-0655-x.pdf