Nach mehreren Verschiebungen will die EU-Kommission am Mittwoch ihre neue Arzneimittelgesetzgebung vorstellen. Die Alte ist 20 Jahre alt.
Zuerst Antibiotika, dann Schmerzmittel: massive Lieferengpässe bei bestimmten Arzneimitteln zeigen, dass im Pharmabereich etwas kräftig aus dem Ruder geraten ist. Selbst die Industrie räumt wie berichtet ein, dass man Entwicklungen und den Bedarf falsch eingeschätzt hat. Tatsächlich ist die Produktion von Arzneimitteln immer komplexer geworden. Die Industrie produziert für bestimmte Länder in eigenen Zeitfenstern. Muss dann irgendwo nachbestellt werden, geht das nicht so einfach, weil eben die anderen Slots schon für andere Staaten oder Produkte reserviert sind. Nachproduktion dauert deshalb lang.
Die EU-Kommission plant zur Lösung der Probleme seit längerem eine Reform der 20 Jahre alten europäischen Arzneimittelgesetzgebung. Denn sie ortet vor allem darin eine Ursache für die Probleme im Arzneimittelsektor und will diesen nach eigenen Angaben ebenfalls zukunfts- und krisenfest machen. Ziel sei es, Medikamente für alle EU-Bürger:innen zugänglicher zu machen und „das richtige Gleichgewicht zwischen der Förderung der Innovation und der Gewährleistung des Zugangs zu erschwinglichen Medikamenten in der gesamten EU zu finden“. Zuletzt wurde das Projekt allerdings mehrfach – auch aufgrund der Kritik der Industrie – verschoben.
Laut Entwurf stellt die neue Pharmastrategie nämlich „einen Wendepunkt“ für Europa dar. Unter anderem plant die EU-Kommission, das Anreizsystem für die Industrie zu erneuern oder „gezielter zuzuschneiden“. Dazu gehören auch Änderungen beim Patentschutz. Den will die EU-Kommission von zehn auf sechs Jahre verkürzen. Dafür gibt es umgekehrt Belohnungsanreize: Entwickelt ein Hersteller ein Präparat für einen sogenannten ungedeckten medizinischen Bedarf, bekommt er ein zusätzliches Jahr Marktexklusivität. Bringt er das Medikament in allen EU-Mitgliedstaaten auf den Markt, bedeutet das ein weiteres Jahr Schutzfrist. Ein halbes Jahr zusätzlich gibt es, wenn er außerdem klinische Vergleichsprüfungen durchführt. Bei maximal acht Jahren soll dann aber Schluss sein.
Erwogen wird laut der Agentur Reuters auch, im Fall von Lieferengpässen die EMA zur Erteilung von Zwangslizenzen zu ermächtigen, wodurch der Marktschutz für einige Arzneimittel bei einem Notfall im Bereich der öffentlichen Gesundheit aufgehoben würde. Um trotzdem die Innovation und Entwicklung neuer Arzneimittel anzukurbeln, setzt die EU unter anderem auf Gutscheine. Dabei soll laut ORF-Berichten ein Unternehmen, das etwa neue Antibiotika entwickelt, einen Gutschein erhalten, mit dem diese Firma etwa Schutzrechte anderer Medikamente um ein Jahr verlängern oder den Gutschein an den Meistbietenden auf dem Markt verkaufen kann.
„Patente bilden das Fundament für Innovationen und sind ein wichtiger Motor für die Forschung. Gerade im medizinischen Bereich ist dieser Schutz des geistigen Eigentums von unschätzbarem Wert. Denn Arzneimittel zu entwickeln, egal ob Impfungen oder andere Medikamente, ist mit einem enormen zeitlichen und finanziellen Aufwand verbunden. Dass man das so entwickelte Produkt eine gewisse Zeit lang vor Nachahmung schützen kann, ist ein wichtiger Anreiz, damit Unternehmen dieses hohe wirtschaftliche Risiko eingehen. Wollen wir im Kampf gegen Krankheiten weiterhin Fortschritte machen, ist folglich ein starker Patentschutz absolut notwendig“, sagt Alexander Herzog, Generalsekretär des Pharmaverbandes Pharmig im Vorfeld des Welttages zum Schutz des geistigen Eigentums. Der ist ausgerechnet am Mittwoch – der Tag, an dem die EU-Kommission ihre Pläne präsentieren will. (rüm)