GTH 2023 – die Highlights im Überblick

Unter dem Motto „The patient as the benchmark“ fand von 21. bis 24. Februar 2023 die 67. Jahrestagung der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung e. V. (GTH) statt. Über 1.500 Teilnehmer:innen aus 18 Ländern diskutierten in Frankfurt am Main die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der Hämostaseologie – mit besonderem Fokus auf die aktuelle und zukünftige Versorgung von Patient:innen mit Blutgerinnungsstörungen und Thromboembolien. Die folgende Zusammenfassung der Kongresshighlights ist eine subjektive Auswahl basierend auf der Präferenz des Autors, mit besonderem Fokus auf thromboembolische Erkrankungsbilder und deren Behandlung.

Venöse Thromboembolie (VTE)

Leitlinien und funktionelle Limitationen

Prof.in Dr.in Birgit Linnemann präsentierte die neue S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und Lungenembolie, die unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Angiologie – Gesellschaft für Gefäßmedizin e. V. unter Beteiligung 16 weiterer Fachgesellschaften und Organisationen im Februar 2023 veröffentlicht wurde.1 Inhaltliche Neuerungen im Vergleich zur Vorversion beinhalten unter anderem modifizierte Diagnosealgorithmen (Abb. 1), die dem Ultraschall eine deutlich wichtigere Rolle einräumen, und eine starke Empfehlung zur Behandlung mit direkten Faktor-Xa- oder Faktor-IIa-Inhibitoren.

Abb. 1: Diagnosealgorithmus bei Verdacht auf eine tiefe Beinvenenthrombose (TVT; Erstereignis) unter Anwendung des duplexunterstützten vollständigen Kompressionsultraschalls (dv-KUS)

Die Notwendigkeit einer Sekundärprophylaxe nach der Behandlungsphase zur Verhinderung von Rezidivereignissen wird mittels eines modifizierten Ampelsystems und eines Algorithmus präsentiert. Bei Patient:innen mit spontanem VTE-Ereignis oder einem nur fraglichen Trigger fließen hierbei Faktoren wie Geschlecht, Familienanamnese, Restthrombuslast und D-Dimer-Erhöhung in die Entscheidung mit ein. Dieser Algorithmus steht in Kontrast zu internationalen Guidelines wie zum Beispiel jener der American Society of Hematology (ASH), die für alle Patient:innen mit spontaner VTE ohne deutlich erhöhtes Blutungsrisiko eine zeitlich unbegrenzte Sekundärprophylaxe vorschlägt und die Berechnung von prognostischen Scores, die Messung von D-Dimer oder die Erfassung der Restthrombuslast nicht generell empfiehlt. Ausführlich diskutiert werden die strukturierte Nachsorge und potenzielle Folgen der VTE, inklusive Erläuterung des postthrombotischen Syndroms und des Post-Lungenembolie-Syndroms (engl.: „post-pulmonary embolism syndrome“, PPES). Die funktionellen Limitationen nach VTE waren auch bei einer „Oral communication“-Sitzung im Mittelpunkt, bei der Daten zur Validität der „post-VTE functional status (PVFS) scalepräsentiert wurden.2 Dieses ordinalskalierte Messinstrument ist nach der modifizierten Rankin-Skala modelliert, soll das ganze Spektrum funktioneller Einschränkungen nach einer VTE erfassen und kann als zusätzlicher Parameter sowohl in der Forschung als auch der klinischen Praxis angewandt werden.3, 4

Vulnerable Populationen

Tumorassoziierte Thrombose

In mehreren Sessions stand die Behandlung der tumorassoziierten Thrombose im Mittelpunkt. Sowohl das Blutungsrisiko als auch das Thromboserisiko von Patient:innen mit aktiver Tumorerkrankung variieren im Laufe der Zeit stark und werden von Faktoren wie der Tumortherapie, der lokalen Tumorsituation und individuellen Faktoren wie Dysphagie, Erbrechen oder Mukositis beeinflusst. Des Weiteren müssen relevante Wechselwirkungen mit der Co-Medikation beachtet und die Präferenz der Patient:innen in die Therapieentscheidung miteinbezogen werden. Aufgrund der zeitlichen Fluktuation dieser Faktoren sollte die Entscheidung hinsichtlich der Art der Antikoagulation – niedermolekulare Heparine oder direkte Faktor-Inhibitoren – regelmäßig reevaluiert und angepasst werden (Abb. 2). Ein weiterer Schwerpunkt wurde auf kardiovaskuläre Events gelegt. In der Vienna Cancer and Thrombosis Study (CATS) stellten diese mit einer kumulativen 1-Jahres-Inzidenz von fast 2 % ein relevantes Problem für Tumorpatient:innen dar. Prädiktive Faktoren für das Auftreten dieser Ereignisse waren unter anderem klinische Variablen und Biomarker wie NT-pro-BNP.

Abb. 2: Entscheidungshilfe zur Wahl der Therapie bei krebsassoziierter VTE

Hämodialysepflichtigkeit

Auch Patient:innen mit Hämodialysepflichtigkeit repräsentieren eine vulnerable Gruppe, die ein hohes Risiko für thrombotische Ereignisse und Blutungsevents aufweist. Daten aus der Vienna InVestigation of AtriaL fibrillation and thromboembolism in hemoDIalysis patients (VIVALDI) Studie haben gezeigt, dass Patient:innen mit einer Indikation für eine kardiovaskuläre Sekundärprophylaxe nicht von einer plättchenhemmenden Therapie profitierten und jene mit Antikoagulation im Rahmen einer Vorhofflimmerarrhythmie sogar ein höheres Risiko für periphere arterielle Events und Interventionen hatten. Diese Erkenntnisse stellen den noch immer ungeklärten klinischen Nutzen von antithrombotischer Therapie bei Patient:innen mit Hämodialysepflichtigkeit weiter in Frage.

Antikoagulation

Aktuelles …

Eine Auswertung des Dresden-NOAC-Registers befasste sich mit der klinischen Handhabung des Faktor-Xa-Inhibitors Edoxaban im Rahmen von großen chirurgischen Eingriffen. Während der 30-tägigen Beobachtungsperiode traten bei 287 Eingriffen 7 kardiovaskuläre Events, 63 Blutungsereignisse und 6 Todesfälle auf. Eine Überbrückung mit niedermolekularem Heparin wurde bei 183 Patient:innen in prophylaktischer (n = 46), intermediärer (n = 111) oder therapeutischer (n = 26) Dosierung durchgeführt. Verglichen mit 36 Patient:innen ohne Überbrückung war der Einsatz von niedermolekularem Heparin mit einer vergleichbaren Rate an kardiovaskulären Ereignissen, aber einem numerisch erhöhten Auftreten von großen Blutungsereignissen assoziiert. Diese Daten komplementieren vorhandene Studiendaten zu anderen direkten Faktor-Inhibitoren (Auswertungen aus den Studien RE-LY, ROCKET-AF und ARISTOTLE; frühere Auswertungen des Dresden-NOAC-Registers), die mit der Überbrückung ebenfalls numerisch erhöhte Blutungsevents ohne Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse zeigten.5–8

… und Zukünftiges

In einer spannenden Plenarvorlesung wurde von Prof. Dr. Spyropoulos über die Zukunft der Antikoagulation und potenzielle neue Angriffspunkte in der Gerinnungskaskade referiert. Die vielversprechendsten Daten gibt es diesbezüglich für die Inhibition von Faktor XI/XIa, wodurch zwar die pathologische Thrombusentstehung, nicht aber die natürliche Hämostase gehemmt werden soll. Epidemiologische Daten unterstützen diese Hypothese, zudem haben Phase-II-Studien ein ausgezeichnetes Sicherheitsprofil und in manchen Anwendungsbereichen eine bessere Wirksamkeit gezeigt.9 Profitieren könnten vor allem Patient:innen mit einem stark erhöhten Blutungsrisiko, wie zum Beispiel Patient:innen mit aktiver Tumorerkrankung oder Hämodialysepflichtigkeit sowie jene mit künstlichen Oberflächen wie einem Herzklappenersatz. Die derzeit in Entwicklung befindlichen Präparate würden aufgrund sehr variabler Pharmakokinetik, einschließlich Applikationsart, Halbwertszeit und Metabolisierung, den Einsatz in unterschiedlichsten klinischen Szenarien ermöglichen. Zukünftige Phase-III-Studien werden das genaue Nutzen-Risiko-Profil der Faktor-XI/XIa-Inhibitoren identifizieren und deren Relevanz und Rolle festlegen.

Resümee

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei der diesjährigen Jahrestagung der GTH im Rahmen von spannenden Plenarvorlesungen, hitzig diskutierten Pro- und Kontra-Debatten, lehrreichen Industriesymposien und zahlreichen mündlichen Abstract-Präsentationen sowie Postern den neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der Hämostaseologie ein würdiger Rahmen geboten wurde. Neben den Blutungskrankheiten wie Hämophilie und Von-Willebrand-Syndrom lag ein klarer Fokus auf venösen und arteriellen thromboembolischen Erkrankungen, zu denen Leitlinien, neue Erkenntnisse und Ausblicke in die Zukunft präsentiert wurden. Eine gebührende Neuauflage mit einem gemeinsamen Wiedersehen ist für das Jahr 2024 in Wien (27. 2.–1.3. 2024) geplant.