PHARMAustria: In welchen Bereichen der Medizin setzt Ihr Unternehmen künstliche Intelligenz bereits jetzt ein?
Julia Guizani, Geschäftsführerin Sanofi Österreich: Der Einsatz innovativer digitaler Technologien im Gesundheitswesen ist in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Gleichzeitig hat sich auch die Akzeptanz für digitale Methoden im Gesundheitswesen signifikant erhöht. Simulationen und künstliche Intelligenz sind wesentliche Faktoren, Medikamente noch besser und schneller für Patient:innen bereitzustellen. Genau hier kommt die KI zum Einsatz – zum Beispiel an sogenannten „virtuellen Patient:innen“.
Lieven Hentschel, Geschäftsführer Bayer Austria: Künstliche Intelligenz ist ein Gamechanger – natürlich für uns bei Bayer, vor allem aber für die Patient:innen. Wir konzentrieren uns auf die Nutzung von Daten und künstlicher Intelligenz über den gesamten Lebenszyklus unserer Produkte. Unser Ziel ist dabei stets, bessere Ergebnisse für Patient:innen zu erzielen. Ich möchte zwei Schwerpunktbereiche exemplarisch herausgreifen: Ein Bereich, in dem das Potenzial von KI besonders groß ist, ist die Radiologie. Bayer ist das einzige Top-Pharmaunternehmen am Markt für Radiologie-KI-Plattformen, das sowohl auf therapeutische als auch auf diagnostische Innovationen zurückblicken kann. Diese ganzheitliche Sicht wird immer wichtiger, da die fließende Grenze zwischen Diagnose und Behandlung Expertise in beiden Bereichen erfordert. Die von Bayer kürzlich eingeführte Plattform Calantic™ Digital Solutions bietet Zugang zu digitalen Anwendungen, einschließlich solcher, die auf KI basieren. Diese umfasst ein Ökosystem aus Produkten von Drittanbietern und Bayer, um Lösungen für Radiolog:innen und ihre Teams bereitzustellen. Die Plattform soll medizinisches Fachpersonal in verschiedenen Phasen ihrer Arbeit unterstützen, von der Diagnose bis zur Behandlung ihrer Patient:innen.
Ein zweiter Bereich, in dem wir bahnbrechende Anwendungen von künstlicher Intelligenz sehen, ist die Arzneimittelforschung. Wir arbeiten mit Technologiepionieren wie Google Cloud zusammen, um unser Potenzial in diesem Bereich zu maximieren. Die TPU-Hardware von Google bietet eine branchenführende Infrastruktur, um molekulare Wechselwirkungen mit größerer Genauigkeit und Geschwindigkeit zu beschreiben. Wenn man dies mit den leistungsstarken Forschungs- und Entwicklungskapazitäten von Bayer kombiniert, erhält man einen unschlagbaren Beschleuniger für die Entdeckung von Medikamenten – was bedeutet, dass neue Medikamente schneller als je zuvor zu den Patient:innen gelangen, die sie dringend benötigen.
Weiters erforschen wir gemeinsam mit Partnern den Einsatz von Technologien zur Unterstützung dezentralisierter (virtueller) klinischer Studien, die durch Telemedizin, Hauszustellung klinischer Materialien, elektronische Einwilligung, Verwendung von Wearables und Live-Datenüberwachung realisiert werden. Dies erlaubt es Patient:innen, ohne Störung ihres täglichen Lebens an Studien teilzunehmen, und dürfte klinische Studien ermöglichen, die schneller, kostengünstiger und patientenorientierter sind.
Julia Guizani: Der „virtuelle Patient“ wird in den nächsten Jahren stark an Bedeutung gewinnen. Darunter versteht man Computersimulationen, die es ermöglichen, die Wirksamkeit und Sicherheit von Wirkstoffkandidaten abzuschätzen, bevor diese in klinischen Studien mit Proband:innen geprüft werden. Im ersten Schritt werden hier in Modellen unterschiedliche Szenarien getestet; ausschließlich die vielversprechenden Varianten werden anschließend in Studien untersucht. Das reduziert die Anzahl an klinischen Studien signifikant und erhöht gleichzeitig die Erfolgswahrscheinlichkeit für die Entwicklung neuer Therapiemöglichkeiten.
Lieven Hentschel: Die Möglichkeiten für den Einsatz von KI entlang der Wertschöpfungskette sind vielfältig. Bayer arbeitet daran, alle Potenziale der Technologien auszuschöpfen und gleichzeitig alle regulatorischen und bioethischen Anforderungen vollständig zu integrieren.
KI hat das Potenzial, die komplexe Entscheidungsfindung von medizinischen Fachkräften zu unterstützen. Wir sind davon überzeugt, dass digitale Technologien die Möglichkeit bieten, wachsende Datenmengen in verwertbare Erkenntnisse umzuwandeln, die medizinischen Fachkräften bei der komplexen Entscheidungsfindung von der Diagnose bis zur Versorgung der Patient:innen helfen können. KI-Anwendungen können Fachkräfte im Gesundheitswesen bei ihren zunehmend anspruchsvollen täglichen Aufgaben unterstützen. Sie sind besonders vielversprechend, wenn es darum geht, die wachsende Arbeitsbelastung zu bewältigen, z.B. durch die Automatisierung von Aufgaben wie der Messung von Läsionen in der Radiologie, aber auch durch die Kennzeichnung von Befunden, die möglicherweise auf eine Krankheit hinweisen.
Julia Guizani: Künstliche Intelligenz ist die Schlüsseltechnologie der Zukunft – gerade im Bereich Gesundheit. Sie kann dazu beitragen, Krankheiten früher zu erkennen und Menschen noch besser zu versorgen. Für die Zukunft besteht großes Potenzial im Bereich der Forschung, vor allem im Bereich der Entwicklung neuer Medikamente. Künstliche Intelligenz wird hier Stellenprofile stark verändern. So können künftig Routineabläufe beispielsweise an lernende Computersysteme delegiert werden. In Zukunft sind aber nach wie vor auch starke Fähigkeiten gefragt, die menschliche und emotionale Intelligenz erfordern: Probleme lösen, Menschen führen, Innovationen schaffen. Dieser wesentliche und enorm wichtige Part liegt bei unseren Mitarbeiter:innen, die tagtäglich für die Patient:innen im Einsatz sind.
Lieven Hentschel: Big Data und moderne Analytik sowie künstliche Intelligenz haben in der pharmazeutischen Industrie einen fundamentalen Wandel ausgelöst. Das Feld der künstlichen Intelligenz bietet bedeutende Möglichkeiten zur Weiterentwicklung des Geschäfts: von der Art und Weise, wie wir Medikamente entwickeln, bis hin zur Art und Weise, wie wir mit unseren Stakeholdern zusammenarbeiten. Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, beispiellose Produktivitätssteigerungen und bessere Ergebnisse zu ermöglichen – zum Wohle der Patient:innen.