Ao. Univ.-Prof.in Dr.in Gudrun Ratzinger
Abteilung für Dermatologie,
Venerologie und Allergologie,
Universitätsklinik Innsbruck
Bei der T-Zell-mediierten Immunreaktion Alopecia areata spielen neben der Th1-Immunantwort auch die Th2- und Th17-Schiene des Immunsystems eine Rolle. Im FOKUS sprach mit Univ.-Prof.in Dr.in Gudrun Ratzinger darüber, was das für mögliche Therapieansätze bedeutet.
Ratzinger: Die Alopecia areata (AA) ist – nach der hormonell bedingten androgenetischen Alopezie – die zweithäufigste Form des nicht-vernarbenden Haarausfalls; bei Kindern und Jugendlichen sogar die häufigste. Der Großteil der Betroffenen ist jünger als 40 Jahre. Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens mindestes einmal von AA betroffen zu sein, liegt bei ca. 2 %. Die AA ist also kein seltenes Problem.
Die AA geht mit einer großen psychischen Belastung und Stigmatisierung einher, gesundheitsbedrohlich im eigentlichen Sinn ist die Erkrankung aber nicht, da sie ausschließlich das Haarwachstum betrifft. Es bilden sich runde, kahle Flecken am Kopf, aber auch an anderen Stellen, an denen Haare wachsen (z. B. Augenbrauen, Wimpern, Achsel- und Schambehaarung und bei Männern Barthaare). Assoziationen mit anderen Autoimmunerkrankungen wie Vitiligo kommen vor. Ausgeschlossen werden sollte eine Hashimoto Thyreoiditis, die als Ausdruck der Schilddrüsenunterfunktion manchmal – neben der Assoziation mit einer AA – auch durch ein diffuses Effluvium gekennzeichnet sein kann.
Betroffene weisen eine genetische Prädisposition auf. Darüber hinaus bedarf es eines Triggers, um die der AA zugrundeliegende Autoimmunreaktion auszulösen. Als Trigger kommen sowohl physische also auch psychische Stressoren in Frage, z. B. eine schwere Infektion oder Erkrankungen, Arbeitsverlust, ein Todesfall, etc.
Was passiert nun im Rahmen der oben erwähnten Autoimmunreaktion? Der pigmentierte Haarfollikel genießt grundsätzlich ein „immunologisches Privileg“, d. h. er ist vor Immunzell-vermittelten Angriffen geschützt. Dieses immunologische Privileg basiert darauf, dass der MHC-Klasse-I-Komplex nur schwach exprimiert wird, was wiederum die Erkennung durch antigenpräsentierende Zellen (APC) einschränkt. Bei AA kommt es durch die zu Anfang vor allem Interferon-γ-mediierte Entzündungsreaktion, zu einer Hochregulierung der MHC-I-Proteine, einer verstärkten Erkennung durch APC und folglich zum Verlust des immunologischen Privilegs. CD4+– und CD8+-T-Zellen attackieren und schädigen den pigmentierten Haarfollikel, wobei das Haar zuerst minderwertig wird und abbricht und dann ganz ausfällt. Wichtig: Die Stammzelle wird nicht geschädigt und der Haarbildungsapparat bleibt intakt, weshalb das Haar wieder nachwachsen kann, sobald der immunologische Angriff aufhört.
Anders als bei manch anderen Autoimmunerkrankungen, kann die der AA zugrundeliegende immunologische Reaktion nicht nur einem bestimmten Schenkel der Immunantwort zugeordnet werden. Wir haben es vielmehr mit einer Dysregulation verschiedener Immunantworten zu tun. Ursprünglich galt die AA als Typ-1-inflammatorische Erkrankung, weil das bereits erwähnte Interferon-γ eher der Th1-Immunantwort zugeordnet wird. Heute weiß man, dass bei AA auch der Th2-Immunanwort zugerechnete Zytokine, wie z. B. Interleukin-15, dysreguliert sind, und auch die Th17-Immunanwort dürfte mithineinspielen.
Wie bereits erwähnt, kann die AA mit verschiedenen anderen Autoimmunerkrankungen assoziiert vorkommen. Welche das sind könnte mit der Art der Immundysregulation zusammenhängen. Die atopische Dermatitis (AD) als Begleiterkrankung der AA könnte beispielsweise dann vorkommen, wenn eine Typ-2-Entzündung im Vordergrund steht und eine atopische Prädisposition vorliegt. Eine Koexistenz mit Vitiligo wäre dagegen eher zu erwarten, wenn die Typ-1-Immunantwort dominiert
Es kommt im Alltag immer wieder vor, dass Patient:innen, die aufgrund einer anderen Erkrankung mit Dupilumab behandelt werden, auch Haarwachstum in AA-Arealen zeigen. Bei Patient:innen mit schwerer AD und assoziierter AA kann man die Typ-2-modulierende Therapie beispielsweise für die AD rechtfertigen und hoffen, dass die AA mit anspricht. Eine Zulassung speziell für AA gibt es allerding keine.
Da in er Pathogenese der AA nicht nur Typ-2-Zytokine, sondern so viele andere Botenstoffe eine Rolle spielen, ist nicht davon auszugehen, dass die alleinige Blockade von IL-4 und IL-13 die Immunreaktion ausreichend beeinflussen kann. Ein breiterer Ansatz dürfte hier im Vorteil sein.
Zunächst einmal ist die Wahrscheinlich einer Spontanremission bei AA, speziell bei der Patchy-Form, mit > 50 % sehr hoch. Die Haare wachsen also in vielen Fällen von selbst wieder nach und dies ist bei einem Therapieerfolg immer mit einzurechnen.
Die medikamentöse Therapie beginnt mit dem Einsatz topischer Kortikosteroide in Form von Lösungen oder Cremes. Kortikoide können aber, bei Einzelherden, auch intraläsional in die Kopfhaut injiziert werden.
Die nächste Stufe ist die topische Immuntherapie. Ein spezielles Kontaktallergen (Diphenylcyclopropenon, DCP) wird wiederholt am Kopf aufgetragen, wodurch ein allergisches Kontaktekzem erzeugt und erhalten wird. In der so behandelten Kopfhaut wird neues Haarwachstum angeregt. Dieser Therapieansatz löst eine lokale Immunreaktion aus, um das autoreaktive Infiltrat vom Follikel zu vertreiben – eine Immunreaktion soll also eine andere stören.
Dann kommen wir schon zu den Systemtherapeutika, wo initial immer eine systemische Kortison-Stoßtherapie gemacht wird. Hierfür gibt es unterschiedliche Dosisschemata, z. B. nach Tobias Fischer (Linz) oder Ralf Paus (Hamburg). Im nächsten Schritt können Januskinase (JAK)-Inhibitoren zur Anwendung kommen. Mit Baricitinib gibt es seit kurzem einen ersten zur Behandlung der AA zugelassenen Vertreter dieser Substanzklasse. Für die JAK-Inhibitoren spricht deren breiter Wirkansatz: sie blockieren multiple in der Pathogenese der AA involvierte Zytokine gleichzeitig.
Allen AA-Therapien gemeinsam ist die Tatsache, dass es nach Absetzen der Behandlung häufig zu einem Rezidiv kommt. Die Veranlagung bleibt und mit dem nächsten Trigger kann die Erkrankung neuerlich ausgelöst werden. Dessen sollten sich Ärzt:innen und Patient:innen bewusst sein.
Vielen Dank für das Gespräch!
„Die der Alopecia areata zugrundeliegende immunologische Reaktion kann nicht nur einem bestimmten Schenkel der Immunantwort zugeordnet werden.“
Ao. Univ.-Prof.in Dr.in Gudrun Ratzinger
Abteilung für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Universitätsklinik Innsbruck