Extravasation bei zytotoxischer Therapie

Obwohl stationäre Therapien für einige Tumorarten zwingend vorgeschrieben sind, hat sich die Behandlung weitgehend ins ambulante Setting verlagert. Weltweit werden täglich Millionen von parenteralen Infusionen/Injektionen mit tumorwirksamen Medikamenten verabreicht (Tab. 1). Eine mögliche Komplikation hierbei stellt die sog. Extravasation dar. Hierunter versteht man eine unbeabsichtigte Komplikation, bei der Flüssigkeit oder Arzneimittel in das die Verabreichungsstelle umgebende subkutane oder subdermale Gewebe austritt. Eine andere Bezeichnung für dieses Ereignis ist Paravasation. Die Identifizierung der Risikofaktoren (Tab. 2) kann das Auftreten minimieren. Es wird geschätzt, dass die Gesamthäufigkeit der Extravasation von tumorwirksamen Medikamenten zwischen 0,1% und 6,5% liegt. Bei zentral implantierten Venenzugängen sind diese mit z. T. schwerwiegenden Komplikationen assoziiert. Eine Vielzahl an Extravasationen wird nicht rapportiert. Aufgrund einer immer noch fehlenden zentralen Dokumentation ist die wahre Inzidenz weiterhin unklar und liegt vermutlich höher als bisher angenommen. Wenn die Folgen einer Extravasation auftreten, sind Patient:innen für gewöhnlich zu Hause und benötigen deshalb Informationen über die nächsten Schritte. Es sollte darauf geachtet werden, dass Patient:innen in der Lage sind, das Behandlungsteam beim ersten Auftreten von Symptomen zu alarmieren. Das Behandlungsteam trägt die Hauptverantwortung für die Aufklärung der Patient:innen über Verabreichungsfragen. Die/Der beste Verbündete bei der Prävention oder der sofortigen Erkennung einer Extravasation ist die/der aufgeklärte Patient:in.

Tab. 1: Klassifizierung parenteraler Tumortherapien anhand lokaler Toxizität

Eine multidisziplinäre Angelegenheit: In allen klinischen Bereichen ist eine klare Strategie für das Behandlungsteam – bestehend aus Ärzt:innen, Pflegefachkräften und Apotheker:innen – zur Verhinderung und Behandlung einer Extravasation von entscheidender Bedeutung. Eine Extravasation kann immer auch ein Notfall sein, und Notfälle verlangen klare Handlungsanleitungen – verfügen wir über diese?

Tab. 2: Risikofaktoren für das Auftreten einer Extravasation

Prävention

Vor der Applikation von Tumortherapeutika ist es wichtig, den Wirkstoff hinsichtlich seines Gefahrenpotenzials bei Extravasation zu kennen. Durch die systematische Anwendung sorgfältiger, standardisierter, evidenz- bzw. konsensbasierter Verabreichungsverfahren lässt sich einiges verhindern. Protokolle und Richtlinien müssen erstellt und das Behandlungsteam muss entsprechend geschult werden. In Bezug auf die Patient:innen ist vor Therapiebeginn die Begutachtung und Beurteilung der Venensituation bedeutend (Wenige sichtbare/palpierbare Venen? „Rollvenen“? „Fragile“ Venen? Vorangegangene Venenpunktionen?). Mehrfachpunktionen sollten generell vermieden werden. Bei der Applikation von Tumortherapeutika müssen folgende Faktoren berücksichtigt werden:

  • Zweck der Therapie (Injektion, Infusion, Transfusion usw.)
  • Größe und Eigenschaften der Venen (sehr gut, dünn, brüchig usw.)
  • Fließeigenschaften der Infusion (je nach Hersteller können minimale Unterschiede vorkommen)
  • Infusionsgeschwindigkeit (je nach Medikament bzw. Volumen).

Bei Patient:innen mit schlechten Venenverhältnissen bietet sich an, vor Beginn einer Chemotherapie ein zentrales Kathetersystem zu implantieren. Die Annahme, dass es sich hierbei um eine sichere Alternative zu einem peripheren Katheter handelt, ist jedoch falsch – eine Extravasation bei einem Port oder einem zentralen Venenkatheter ist meist folgenschwer und führt fast immer zu dieser Entfernung.

Anzeichen, Symptome, Verlauf

  • Die/Der Patient:in klagt über Brennen, Stechen, Jucken, Schmerzen oder akute Veränderung an der Injektionsstelle. Zu beachten ist, dass in manchen Fällen nicht das Tumortherapeutikum selbst für die lokale Reaktion verantwortlich ist, sondern die Trägersubstanz (z. B. Carmustin, Dacarbacin, Docetaxel, Melphalan, Paclitaxel).
  • Veränderung der Durchflussgeschwindigkeit oder erhöhter Widerstand während der Medikamentenverabreichung
  • keine Aspiration von Blut möglich

Differenzialdiagnose: In Abgrenzung zu einer Extravasation muss eine Differenzialdiagnose in Erwägung gezogen werden. Flare-Reaktionen werden häufig mit Extravasaten verwechselt. Ein Blutrücklauf ist bei einer Flare-Reaktion meist noch möglich. Im Zweifel: als Extravasation behandeln.

Interventionen

Die Festlegung gemeinsamer Verantwortlichkeiten innerhalb des Behandlungsteams ist ein entscheidender Schritt, um die sichere Verabreichung von tumorwirksamen Medikamenten zu gewährleisten, besonders bei jenen, die als gewebeschädigend eingestuft werden. Sollte es zu einer Extravasation kommen, müssen Richtlinien für die Durchführung von korrekten Interventionen basierend auf Grundlage aktueller und anerkannter Empfehlungen gut sichtbar oder leicht zu finden sein. Ein spezielles Extravasat-Set sollte jederzeit zugänglich sein. Die aktuellen Empfehlungen beruhen auf dem internationalen Expertenkonsens der bestmöglichen Maßnahmen. Es gibt Empfehlungen für allgemeine Maßnahmen, aber auch einige spezifische Maßnahmen. Wichtig: Es muss darauf geachtet werden, dass nicht noch mehr Schaden durch „Trial-and-Error“-Maßnahmen angerichtet wird, wenn keine Evidenz vorhanden ist und anekdotische Substanzen eingesetzt werden.

Allgemeine Maßnahmen: Beim ersten Anzeichen oder beim Verdacht auf Extravasation die Injektion/Infusion sofort stoppen, aber die Kanüle noch nicht entfernen. Die Infusion trennen und versuchen, so viel Blut/Flüssigkeit wie möglich aus dem CVAD/der Kanüle abzusaugen, anschließend Kanüle entfernen. Keinen Druck auf die betroffenen Stellen ausüben. Patient:innen und Angehörige beruhigen und den Vorfall erklären. Die betroffene Extremität höher lagern und ruhig stellen.

Allgemeine Maßnahmen je nach Medikament:

  • Trockene Kälte: Vasokonstriktion fördert die Lokalisierung des Paravasats und verringert die zelluläre Aufnahme von z. B. Doxorubicin.
  • Trockene Wärme: Vasodilatation fördert die Dispersion und Absorption der Extravasation (z. B. bei Vincaalkaloiden).

Weitere Erstmaßnahmen:

  • Arzt informieren
  • Extravasation-Set bereitstellen
  • bei gewebeschädigenden Medikamenten: chirurgisches Konsilium spätestens 24 Stunden danach
  • Patient:innen über weitere Schritte informieren
  • Dokumentationsformular ausfüllen

Spezifische Maßnahmen je nach Medikament:

  • DMSO-Produkt: lokal auftragen; nicht als Mischcreme, empfohlen: 90–99% DMSO flüssig; falls nicht erhältlich: Creme mit 50% DMSO
  • Dexrazoxan: zeigt eine gewisse Schutzwirkung nach Extravasation von Anthrazyklinen; i.v. Verabreichung; zu beachten sind systemische und lokal unerwünschte Wirkungen. Dexrazoxan ist relativ teuer und nur begrenzt haltbar, eine koordinierte Beschaffung sollte in Betracht gezogen werden.
  • Hyaluronidase: Anwendung ist mit mehreren Punktionen verbunden und könnte erhebliche lokale Verletzungen verursachen.

Viele weitere Präparate sind in Publikationen zitiert, haben aber keine evidenzbasierte Wirksamkeit erwiesen und sollten nicht eingesetzt werden.

Dokumentation

Die Dokumentation des Paravasats der Chemotherapie ist seitens der Ärzt:innen und Pflegefachkräfte ein weiterer wichtiger Schritt zur Erstellung des Behandlungsplans und sollte Folgendes beinhalten:

  • Patientenname und Nummer
  • Datum und Uhrzeit der Extravasation
  • Namen von extravasierten Drogen sowie Verdünnungslösungen
  • Anzeichen und Symptome (auch solche, von denen Patient:innen berichteten)
  • Beschreibung des i.v. Zugriffs
  • Extravasationsbereich (auch ungefähre Menge der Droge)
  • Foto (optional)
  • Ist ein Patienten-Follow-up-Verfahren beschlossen worden?
  • Konsultation mit sachkundigem Chirurgen/sachkundiger Chirurgin