Assoz. Prof.in Priv.-Doz.in Dr.in Petra Schwingenschuh stellte kurz die Epidemiologie der Parkinson-Erkrankung vor: Die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung betrifft derzeit rund 25.000 Menschen in Österreich. Bereits 2018 wies eine Expertengruppe auf die Entwicklung einer „Parkinson-Pandemie“ hin: Während 1990 2,5 Millionen Menschen weltweit betroffen waren, stieg die Zahl 2015 bereits auf 6,1 Millionen. Damit ist Parkinson die am stärksten zunehmende neurologische Erkrankung. Für 2040 prognostizieren Expert:innen 17,5 Millionen Betroffene weltweit!
Die Gründe für die massive Zunahme der Erkrankungszahlen liegen laut Schwingenschuh vor allem in den besser werdenden Lebensbedingungen und der höheren Lebenserwartung, „denn die Wahrscheinlichkeit, an Parkinson zu erkranken, nimmt mit dem Alter zu und steigt vor allem zwischen 60 und 70 Jahren steil an“. Weitere Risikofaktoren sind Umweltbedingungen wie der Einsatz von Pestiziden und Schwermetallen in der Landwirtschaft und Industrie. „Diese wären beeinflussbar, machen aber nur einen kleinen Teil des Risikopotenzials aus.“
Da eine Heilung der Erkrankung derzeit nicht verfügbar ist, hält Schwingenschuh es für dringend erforderlich, dass sich die Gesundheitssysteme, auch das österreichische, auf die Herausforderungen, die durch die stark zunehmende Zahl von Parkinson-Patient:innen entstehen, vorbereiten. Dies erfordert zum Beispiel eine ausreichende personelle Ausstattung und adäquate Finanzierung im ambulanten Bereich, wobei niedergelassene Fachärzt:innen und Allgemeinmediziner:in-nen als erste Anlaufstelle, aber natürlich auch Krankenhaus- und öffentliche Ambulanzen in adäquater Ausstattung entscheidend sind. Gewisse Therapieeinstellungen oder auch klinische Verschlechterungen erfordern unbedingt eine stationäre Betreuung der Parkinson-Patient:innen. Diese Möglichkeit muss auch in Zeiten ständiger Bettensperren gewährleistet sein. Wichtig ist die Entwicklung von Parkinson-Netzwerken, wobei hier sämtliche relevanten Berufsgruppen eingebunden werden müssen. Ein weiteres Augenmerk sollte laut Schwingenschuh der Prävention und Früherkennung gewidmet sein: „Schon jetzt wissen wir, dass regelmäßiger Sport und Bewegung ein präventiver Faktor sind. Prävention und Früherkennung werden umso wichtiger, wenn in Zukunft krankheitsmodifizierende Therapien zur Verfügung stehen werden, was kein unrealistisches Zukunftsszenario mehr ist.“
Dr.in Michaela Steffelbauer, niedergelassene Neurologin und Leiterin der Parkinson Selbsthilfe Oberösterreich, betonte in ihrem Impulsreferat die große Bedeutung von Selbsthilfegruppen für Parkinson-Betroffene. Sie hatte im Vorfeld der Veranstaltung Mitglieder der Selbsthilfe Oberösterreich nach ihren Wünschen gefragt. Am häufigsten wurden dabei Aspekte wie „mehr Zeit“ und „mehr Einfühlungsvermögen“ von den Ärzt:innen gefordert. „Hier können Selbsthilfeangebote wertvolle Unterstützung leisten, denn über diese können Informationen weitergegeben werden, für welche die Neurolog:innen keine Zeit haben“, so Steffelbauer. Einer ihrer großen Kritikpunkte an der derzeitigen Situation ist der „Kraftakt“ bei der Rehabilitationsbewilligung: „Betroffene kommen oftmals wirklich nur schwer zu einer Bewilligung, was u. a. an den unklaren Bewilligungskriterien liegt. Und selbst wenn die Bewilligung erteilt wird, kann es passieren, dass der Aufenthalt in einer Reha-Einrichtung ohne Parkinson-Schwerpunkt erfolgt, dabei würden Betroffene davon viel mehr profitieren!“ Was derzeit gut funktioniert, ist laut Steffelbauer die Finanzierung von Bewegungsgruppen und der benötigten Medikamente – „Betroffene wünschen sich aber mehr Informationen darüber, was sie selbst tun können, um den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen, also zusätzlich zur medikamentösen Therapie. Diese Zusatzaktivitäten wie Klettergruppen etc. sollten auf Krankenschein möglich sein!“
Prim. Univ.-Lekt. Dr. Hermann Moser, MSc, Neurologe und Ärztlicher Leiter des Neurologischen Therapiezentrums Gmundnerberg sowie Vizepräsident der Österreichischen Gesellschaft für Neurorehabilitation (OeGNR), betonte ebenfalls, dass es völlig unklar sei, nach welchen Regeln Neurorehabilitation bewilligt oder abgelehnt werde. Generell haben die Anträge für Neurorehabilitation deutlich zugenommen, „dennoch sind wir im Bereich der Rehabilitation kein großer Faktor, lediglich 6,9 % aller Rehabilitationen entfallen auf Erkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems – und in diesem Bereich ist dann der Schlaganfall die Hauptdiagnose“. Er ist besorgt, dass das österreichische Gesundheitssystem auch im Reha-Bereich nicht auf die starke Zunahme der Parkinson-Betroffenen gerüstet ist, obwohl das Gesundheitsportal Österreich Reha-Maßnahmen bei Parkinson ausdrücklich empfiehlt. „Zudem unterliegt das Therapieangebot für Parkinson-Patient:innen in der Neurorehabilitation keinen Qualitätskriterien!“ Wünschen würde sich Moser Parkinson-Zentren mit entsprechend qualifiziertem Personal (Fachärzt:innen für Neurologie mit Schwerpunkt Bewegungsstörungen, Parkinson-Nurses, Physio- und Ergotherapeut:innen, Logopäd:innen). „Doch davon sind wir weit entfernt, derzeit gibt es nicht einmal eine Honorierung über den Tagsatz hinaus bei entsprechend qualifiziertem Personal.“ Das medizinische Leistungsprofil 2.0 (MLP 2.0), das die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) einführen will, würde die Situation noch weiter verschlechtern, ist Moser überzeugt: „MLP 2.0 führt zu einer deutlichen Reduktion von Einzeltherapien in der Neurorehabilitation und verursacht einen erhöhten administrativen Aufwand.“
DGKS Sigrid Zimmermann, pflegerisch-organisatorische Leiterin des ambulanten Parkinson-Zentrums der Universitätsklinik für Neurologie, Innsbruck, unterstrich den eklatanten Pflegenotstand in Österreich, was dazu führe, dass „manche Patient:innen ambulant betreut werden müssen, die eigentlich eine stationäre Betreuung benötigen würden“. „Dies führt zu langen Wartezeiten auf ambulante Termine. Auch auf einen Platz im Pflegeheim gibt es derzeit monatelange Wartezeiten.“ Weitere Kritikpunkte von ihr: Reha- und Pflegegeldanträge oder -erhöhungen werden nicht selten abgelehnt. Spezialisierte Therapeut:innen, vor allem Ergo-therapeut:innen und Logopäd:innen (mit Reha-Vertrag), sind mitunter schwer zu finden. „Zudem ist die Nutzung von Parkinson-Sportangeboten, wie es sie z. B. bei uns an der Klinik gibt, wie Boxtraining, Yoga, Tischtennis etc., nicht für alle Betroffene möglich, sondern von der geografischen Wohnlage abhängig“, so Zimmermann. Sie fordert zudem eine vermehrte Ausbildung von Parkinson-Nurses. Hierfür gibt es seit 2019 eine 8-monatige Zusatzausbildung, die berufsbegleitend absolviert werden kann. „Diese Parkinson-Pflegeexpert:innen können als Multiplikator:innen in verschiedenen Bereichen (Stationen, Ambulanzen, zu Hause, Pflegeheime, Rehabilitationszentren usw.) eingesetzt werden!“
Mag. Ingo Raimon, General Manager von AbbVie in Österreich, betonte aus Sicht der forschenden Industrie, dass gerade in der Neurologie die Hürden bei Forschung und Entwicklung sehr herausfordernd sind. „Um für Parkinson-Betroffene eine laufende Therapieoptimierung zu ermöglichen und dadurch Lebensqualität so lange wie möglich zu erhalten, braucht es eine Vernetzung aller handelnden Akteur:innen und aller verfügbaren Therapien.“