DD 01|2023
Mit Einrichtung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) und der zentralen Zulassung wurden vor knapp 30 Jahren neue Regelungen zur Arzneimittelsicherheit eingeführt. „Pharmakovigilanz“ definiert seither alle Aktivitäten, die sich mit der Sammlung, Bewertung, dem Verstehen und der Prävention von Nebenwirkungen oder anderen arzneimittelbezogenen Risiken befassen. Dabei ausschlaggebend ist die Kommunikation zwischen Industrie, Gesundheitsdienstanbietern und Behörden. Fachleute sprechen von Direct Healthcare Professional Communication (DHPC). Unerlässlich dafür ist die permanente Mitwirkung der pharmazeutischen Unternehmen an der Erfassung und Bewertung von Nebenwirkungen und anderen Arzneimittelrisiken sowie der Maßnahmenfindung, denn die Zulassungsinhaber können –wegen der bei ihnen vorhandenen Detailkenntnisse –wesentliche Beiträge zur Arzneimittelsicherheit erbringen.
In der Kommunikation zwischen Ärzt:innen, Behörden, Sozialversicherung, pharmazeutischen Unternehmen oder anderen Stakeholder:innen läuft der Informationsaustausch längst über digitale Tools –sollte man meinen. Doch gerade die Direct Healthcare Professional Communication Letters (DHPCLetters) werden zumeist noch per Post versendet. Die Dokumente – bekannt als „Rote-Hand-Briefe“ – sind gesetzlich vorgeschriebene Informationsschreiben von Zulassungsinhabern an Angehörige der Gesundheitsberufe. Diese werden mit den Schreiben auf bis dahin nicht bekannte Sicherheitsinformationen, wie neu erkannte bedeutende Arzneimittelrisiken und Maßnahmen zur Risikominimierung, aufmerksam gemacht.
Geht es nach der Industrie, sollen diese Meldungen künftig digitalisiert und somit allen Ärzt:innen und Apotheker:innen rascher und einfacher verfügbar gemacht werden. Der Ansatz dazu ist, wichtiges Sicherheitsinformationsmaterial direkt in die Arzt-, Apotheken- und Krankenhaussoftware einzuspielen. Das Ziel: neue Information unmittelbar bei der Verschreibung und Abgabe zur Verfügung zu stellen. „Unsere Pharmakovigilanz-Informationen könnten die verschreibenden und abgebenden Personen rascher erreichen, wenn die Umsetzung von sicherheitsrelevanten Informationen digital passiert. Da ein ‚Rote-Hand-Brief‘ auch zum Einsatz kommt, wenn ein Medikament von einem Lieferengpass bedroht ist, könnte sich zusätzlich ein positiver Effekt auf die Versorgung ergeben“, erklärt Dr.in Martina Friedl, Vorsitzende des Standing Committee Pharmakovigilanz des Pharmaverbandes PHARMIG.
Ähnlich argumentiert Sabine Ebner, MSc, Vorsitzende des PHARMIGStanding Committee Arzneimittelzulassung, die zudem erklärt, dass es um mehr geht als nur die elektronische Übermittlung der Information. Bisher komme die Information per Brief oder gerade einmal im Einzelfall per E-Mail. Das Problem dabei: „Es ist alles eine Einmalinformation, die Ärzt:innen raussuchen müssen, wenn ihnen Patient:innen gegenübersitzen. Dazu muss man sich aber erinnern, dass es da ein Schreiben gab und wo man es im Mail-Ordner oder am Schreibtisch abgelegt hat. In hektischen Zeiten und angesichts der Informationsflut, mit der wir alle zu kämpfen haben, ist das schwer.“ Bei Medikamenten, die generell seltener eingesetzt werden, sei es noch schwieriger, alles im Blick und im Bewusstsein zu haben. Deshalb arbeite man daran, die Informationen am Point of Care zur Verfügung zu stellen – direkt in der Verschreibungssoftware. Ebner: „Wenn jemand ein Arzneimittel verschreibt oder abgibt, soll es automatisch einen Hinweis geben, dass es hierzu eine Sicherheitsinformation gibt, die zu beachten ist. Das soll also eine Hilfestellung und Arbeitserleichterung sein.“
„Wir haben in Österreich eine sehr niedrige Meldequote bei Nebenwirkungen.“
Dr.in Martina Friedl
PHARMIG
Konkret habe die Digitalisierung der Pharmakovigilanz drei Ziele: die Digitalisierung von sicherheitsrelevanten Informationen plus Schulungsmaterial mit Hinweisen, worauf man besonders achten soll, um die Sicherheit für alle Beteiligten zu erhöhen. Dazu kommt die „Electronic Product Information“ mit dem Ziel, Fach- und Gebrauchsinformationen digital aufzubereiten und rasch zur Verfügung zu stellen. Und drittens soll auch das Nebenwirkungsmanagement digital werden. Damit solle die Melderate zu Nebenwirkungen erhöht werden und das Bewusstsein der Stakeholder:innen für die Pharmakovigilanz steigen, hofft Friedl: „Wir haben in Österreich eine sehr niedrige Meldequote bei Nebenwirkungen. Je früher ich als Hersteller aber Signale bekomme, desto früher kann ich zum Beispiel mit zusätzlichen Informationen oder mit Schulungsmaterial reagieren.“
Und genau deshalb soll das Melden von Nebenwirkungen ebenfalls vereinfacht werden. Friedl: „Wir wollen auch diese Systeme adaptieren, um sie zu vereinfachen. Es soll künftig für die verschreibenden und abgebenden Personen auf Knopfdruck möglich sein, am Point of Care Meldungen direkt an die Behörde abzugeben. Dazu ist es wichtig, eine Schnittstelle zu schaffen, bei der man Patientendaten oder andere Medikamente, die jemand zusätzlich noch einnimmt, nicht mehr extra eingeben muss.“ Ziel dieser Automatisierung ist eine Zeitersparnis und das Verhindern von Flüchtigkeitsfehlern. Wenn die Behörde diese Meldungen rasch und standardisiert bekommt, könnte sie diese auch rasch an die Industrie weitermelden. „Damit ist es möglich, unkompliziert zu qualitativ hochwertigen Meldungen zu kommen, bei denen dann auch Nachfragen bei den Ärzt:innen oder Apotheker:innen wegfallen.“
Damit das möglich werde, verhandle man derzeit mit zuständigen Stellen und allen Stakeholder:innen. Denn neben der Implementierung gehe es auch um die Verpflichtung und die Finanzierung. Ebner: „Als Zulassungsinhaber sind wir verpflichtet, dass wir diese sicherheitsrelevanten Informationen bereitstellen. Das wollen wir eben auch digital tun.“ Allerdings gebe es in Österreich 80 bis 100 Softwarefirmen für Ärzt:innen, Apotheken und Spitäler. Jedes dieser Unternehmen müsste seine Software entsprechend aufbereiten: „Und zwar so, dass die Informationen auch sofort verfügbar sind. Das können wir den Firmen nicht vorschreiben. Hier sehen wir deshalb die Behörde am Zug, den hoheitlichen Auftrag zu erteilen, wie die Umsetzung stattfinden soll“, sagt Ebner. „Uns ist dabei wichtig, die unterschiedlichen Perspektiven zu hören und am Ende eine Win-win-Situation für alle Beteiligten zu schaffen.“ Denn Real-World-Daten sind ein Schatz für die Arzneimittelsicherheit, der noch zu wenig genutzt wird, obwohl mit ihnen ein genaueres Sicherheitsprofil von Arzneimitteln rascher erstellt werden könnte. Auch dafür müsste dann ein Bewusstsein bei allen Beteiligten geschaffen werden, ergänzt Friedl.