Eigentlich sind sich die Player im Gesundheitswesen einig: Der niedergelassene Bereich in Österreich gehört gestärkt und ausgebaut.
Allerdings ohne Mitsprache der Ärzteschaft. Eine Regierungsvorlage mit massiven Einschränkungen soll noch in der November-Plenarwoche des Nationalrats eingebracht und dann nach der Ausschussbehandlung im Dezember beschlossen werden. Inhalt: die Möglichkeit der Ausschreibung einer Kassenstelle und die Möglichkeit von Sondervereinbarungen zum Einzelvertrag ohne Zustimmung der Ärztekammer. Das würde vor allem die Länderkammern schwächen. Zudem würde die Kündigung des Einzelvertrags mit einer Kasse die Beendigung aller bestehenden Kassenverträge nach sich ziehen, und das Einvernehmen mit der Ärztekammer bei beabsichtigter Errichtung, Erwerbung oder Erweiterung von Kassenambulatorien würde wegfallen. Die geplante Wirkstoffverschreibung war nun der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Prof. Dr. Dietmar Bayer, Vizepräsident der Ärztekammer Steiermark, findet dazu drastische Worte und ortet eine „Aufkündigung der Sozialpartnerschaft“.
Auch der Facharzt für Allgemeinmedizin könnte scheitern. Eigentlich wurde er beschlossen, um die Allgemeinmedizin zu attraktivieren und so den niedergelassenen Bereich zu stärken. Massive Kritik kommt nun aber aus den Bundesländern. Konkret meldeten sich die Bundesländer Vorarlberg, Tirol, Wien, die Steiermark und das Burgenland mit Kritik und Sorgen zu Wort. Vor allem im Westen Österreichs befürchtet man eine Verschärfung des Ärztemangels aufgrund der verlängerten Ausbildungszeit, weil – wie vermutet wird – sich deshalb Jungmediziner:innen gegen die Facharztausbildung entscheiden könnten. Die härteste Kritik kommt aus dem Burgenland und Vorarlberg. Dort bezweifelt man grundsätzlich die Sinnhaftigkeit eines Facharztes für Allgemeinmedizin und die dadurch erhoffte gesteigerte Attraktivität der Allgemeinmedizin. Auch die Finanzierung sei nicht klar. Darüber hinaus würde die längere Ausbildungszeit dafür sorgen, dass Lehrpraxen länger von einzelnen Auszubildenden besetzt werden, was wiederum eine Knappheit an Ausbildungsstellen zur Folge haben könnte. Das Land Steiermark appelliert dafür, dass die Sonderfach-Schwerpunktausbildung wie die -Grundausbildung auch in einer Zentralen ambulanten Erstversorgung stattfinden können soll.
Die Haltung der Länder stößt vor allem den jungen Allgemeinmediziner:innen sauer auf. Die Junge Allgemeinmedizin Österreich (JAMÖ) veröffentlichte als Antwort auf die Kritik aus den Ländern eine Stellungnahme, in der betont wird, dass die im Rahmen des neuen Facharztes für Allgemeinmedizin geplante verlängerte Ausbildung in hausärztlichen Ordinationen und Primärversorgungseinrichtungen „der wichtigste und sinnvollste Schritt“ sei. Die JAMÖ weist hier auf Erfahrungsberichte aus dem Ausland hin, wo „eine längere Lehrpraxisdauer für eine hochqualitative Ausbildung notwendig ist und eine Attraktivierung darstellt“. In der Aussendung heißt es weiter: „Die im aktuellen Entwurf zur Novelle des Ärztegesetzes geplante Verlängerung in Form der Lehrpraxis kann angehenden Kolleg:innen die Sorge vor einer Niederlassung nehmen und ist somit ein Beitrag gegen den ‚Ärztemangel‘ im Kassenbereich.“ Um die österreichische Gesundheitsversorgung auf hohem Niveau zu erhalten, sind gut ausgebildete Allgemeinmediziner:innen essenziell, sagt Dr. Richard Brodnig, Obmann der JAMÖ. Die Einführung des Facharztes für Allgemeinmedizin sei „dringend notwendig“.
Kritik an der (nicht ganz neuen) Einstellung der Länder gab es vom Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) Andreas Huss bereits im Sommer. „Die Spitäler stehen in der Ausbildung auf der Sparbremse und bilden nur die Ärzt:innen aus, die sie für den eigenen Bedarf brauchen. Sie bilden aber leider nicht für die niedergelassene Versorgung aus“, meinte Huss damals und forderte deshalb, dass die Krankenversicherungen als Mitfinanziers der Spitäler ein Mitspracherecht haben und „besprochen wird, wie viele Ausbildungsstellen pro Spital und Bundesland notwendig sind, um die niedergelassene Versorgung mitzudenken“. Dabei gehe es auch um die Frage, welche Fächer ausgebildet werden. Huss: „Es nützt mir nichts, wenn die Länder haufenweise Chirurg:innen ausbilden. Das bringt mir in der hausärztlichen Versorgung wenig.“
Fest steht, dass sich dringend etwas tun muss, weil die Allgemeinmedizin sonst noch mehr in (Personal-)Not gerät. Daten der Statistik Austria zeigen, dass die Zahl der Allgemeinmediziner:innen pro 100.000 Einwohner:innen in den vergangenen fünf Jahren abgenommen hat, bei Fachärzt:innen hingegen deutlich gestiegen ist. 2018 standen in der Allgemeinmedizin noch 169,4 Ärzt:innen pro 100.000 Einwohner:innen zur Verfügung, 2022 waren es nur noch 145,1. In demselben Zeitraum stieg die Zahl der Fachärzt:innen von 262,4 auf 304,7 pro 100.000 Einwohner:innen.