Die Kinderliga kritisiert die Gesundheitsversorgung von Kindern und Jugendlichen in Österreich als „nicht bedarfsorientiert“ und stellt Forderungen.
Über ein Fünftel aller armuts- und ausgrenzungsgefährdeten Menschen in Österreich sind laut der Kinderliga Kinder – insgesamt rund 353.000 Betroffene im Alter von null bis 17 Jahren. Der 14. Bericht zur Lage der Kinder- und Jugendgesundheit zeichnet kein erfreuliches Bild: Die Gesundheitsversorgung von jungen Österreicher:innen sei nicht am Bedarf orientiert, sondern je nach Vertrags- und Verrechnungsmöglichkeit historisch gewachsen. Im Fokus des Berichts standen diesmal Angebote aus den Bereichen Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie. Im Rahmen einer Pressekonferenz kritisierten Expert:innen, dass gerade diese Angebote Gesundheitsrisiken wie Armutsgefährdung oder geringeres Bildungsniveau sowie die Arbeitslosenrate nicht berücksichtigt und daher „nicht bedarfsorientiert“ ist. Die Österreichische Liga für Kinder- und Jugendgesundheit (Kinderliga), die zusätzlich noch eine österreichweite Umfrage zum Thema durchführen ließ, fordert in Anbetracht der Ergebnisse des Berichts einmal mehr die Einführung eines eigenen Ministeriums und einer „Kindermilliarde“.
„Armut, psychische Probleme, Gewalt und mangelnde Bildungschancen schränken die Entwicklung der Talente und Ressourcen junger Menschen teilweise dramatisch ein. Nach wie vor gibt es keine Chancengerechtigkeit für Kinder und Jugendliche in Bezug auf Bildung, Gesundheit, Teilhabe und vieles mehr“, erklärt Christoph Hackspiel, Präsident der Österreichischen Kinderliga. Das geforderte Kinderministeriums müsste laut Hackspiel in allen politischen Belangen die Kinderverträglichkeit, die Nachhaltigkeit von Entscheidungen und die Chancengerechtigkeit berücksichtigen. Weiters forderte Hackspiel eine Milliarde Euro Budget für den Ausbau der oft mangelnden Versorgung und den Abbau langer Wartelisten für Therapien, sowie für die umfassende Stärkung des Bildungs- und Sozialsystems. Dazu zählen unter anderem gezielte Investitionen in „professionelle Behandler:innen“, „Schulgesundheitsteams“ sowie der Ausbau von Primärversorgungseinheiten.
Im Jahr 2020 haben ca. 14.400 Kinder und Jugendliche Behandlungen in der Ergotherapie, 35.884 in der Logopädie und 97.366 in der Physiotherapie in Anspruch genommen. Laut der Kinderligaumfrage sind der wahrgenommene Bedarf sowie die Wartezeit auf einen Behandlungsplatz in der Ergotherapie am höchsten beziehungsweise längsten – die Physiotherapie sticht als Therapieform mit der im Vergleich besten Versorgung sowie der kürzesten Wartezeit heraus. „Eine Verbesserung der Situation könnte durch die Aufnahme ergotherapeutischer Leistungen ins Mutter-Kind-Pass-Gesetz, durch die Umsetzung von schul- und kindergartenbasierter Ergotherapie, durch direkten Zugang zu Ergotherapie und durch die Aufnahme der Ergotherapie in die ELGA erzielt werden“, erklärt Ergotherapeutin Marion Hackl, Präsidentin des Berufsverbands Ergotherapie Austria. „Chancenungleichheit bedeutet nicht nur individuelles Leid, sondern stellt auch volkswirtschaftliche Milliardenverluste für unsere Gesellschaft dar und ist eine Gefährdung des sozialen Friedens“, meint Hackspiel abschließend. (kagr/APA)