Vielleicht weiß KI wirklich, wie Medizin 2023 besser gehen könnte?

Das deutsche Feuilleton von Qualitätszeitungen wie „Die Zeit“ (Ulrich Schnabel 15. 12. 2022) oder die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ, Ruth Fulterer 17. 12. 2022) misst sich aktuell in der Auseinandersetzung mit und um den Hype um „ChatGPT“, einer faszinierenden Frage-Antwort-Plattform, auf der künstliche Intelligenz (KI) selbständig und offensichtlich hochqualitativ eigenständig Textantworten selbst auf komplexe Fragen zu generieren scheint oder ganz konkret „das einfach tut und kann“. Uns scheint vordergründig klar zu sein, dass „die Maschine“ nicht selbständig denken kann und schon gar nicht Neues wird denken können, aber ist das so, bzw. wird das so bleiben?

Zeitenwende eingeläutet

Als Mediziner:innen erhoffen wir uns mittlerweile seit Jahrzehnten rasanten Fortschritt in unserer Disziplin durch eine zunehmende Durchdringung unserer Fachgebiete mittels Digitalisierung, die von immer schnelleren, sich qualitativ stetig verbessernden, ins Dreidimensionale bereits vorgestoßenen bildgebenden Verfahren über augmentierte Labordiagnostik bis zur Auswertung von großvolumigen Patientendaten reicht. Stetig geht es schneller voran, und das Tempo ist tatsächlich atemberaubend, wenn wir nur auf den Stand vor 10 oder gar 20 Jahren zurückdenken und diesen mit dem aktuellen vergleichen. Nun scheint mit der Freischaltung des „gamechangers“ ChatGPT, eines Prototyps für einen auf KI basierenden Chatbot (= eine Anwendung, die KI verwendet, um sich mit Menschen in natürlicher Sprache zu unterhalten), eine weitere Zeitenwende eingeläutet zu sein. Seriöse Bildungswissenschafter:innen setzen sich bereits intensiv mit möglicherweise weitreichenden Implikationen solcher Systeme für die akademische Praxis auseinander. Nachdem die Plagiatsdebatten der näher zurückliegenden Jahre zu Dissertationen im Sinne von Kopieren früher publizierter Arbeiten dominiert wurden, wird es nunmehr interessant, im Bereich von Bachelor- oder Masterarbeiten den Umgang mit der Verwendung von ChatGPT-Abfragen und deren „Plagiatsüberprüfung“ zu beobachten bzw. mitzugestalten. Eine verlässliche Unterscheidung der Urheberschaft hinsichtlich Menschen oder Maschinen in den Geistes- und Sozialwissenschaften erscheint schon jetzt oder bisher (?) kaum möglich, meinen Expert:innen. Ein vergleichbar bewegter und kontroversieller Diskurs bewegt auch die darstellenden Künste mit den Themen computergenerierter Gemälde, Gedichte und Musikstücke. Aktuell trösten wir uns (noch?) mit einer vermeintlich fehlenden Seelenlosigkeit und Genialität solcher Geschöpfe, aber es ist klar, dass der scheinbar sichere Boden unter unseren Füßen wankt! Blamable Expertengutachten vermeintlicher Kunstwerke scheinen nur eine Frage der Zeit zu sein.

Was ist die Philosophie des Arztseins?

In der Medizin kämpfen wir aktuell neben den ökonomischen Problemen vor allem mit Versorgungsengpässen durch Mangel an Pflege- und ärztlichem Personal, Betten- und Operationssaalkapazitäten sowie mittlerweile sogar Basismedikamenten (ein Umstand, der noch vor Kurzem von wenigen als im Bereich des Möglichen eingeschätzt wurde). Wenn wir wiederum einigermaßen gelernt haben, diese „Widrigkeiten“ zu lösen oder zu beherrschen, werden wir uns vielleicht auch wieder dem Verhältnis von Mensch und Technik/Maschine in der Medizin widmen und uns dann auch neuerlich die wichtige Frage stellen „Was ist die Philosophie des Arztseins“? Eine Antwort darauf könnte lauten:

Die Philosophie des Arztseins bezieht sich auf die grundlegenden Werte, Ziele und Prinzipien, die für Ärztinnen und Ärzte wichtig sind und ihre Arbeit leiten. Zu diesen Werten und Prinzipien gehören unter anderem die Verpflichtung, Patientinnen und Patienten zu helfen und ihre Gesundheit zu verbessern, die Integrität und Ehrlichkeit im Umgang mit Betroffenen und Kolleginnen und Kollegen, die Aufrechterhaltung hoher ethischer Standards und die Beachtung der Patientinnen- und Patientenautonomie und -würde.

Ein wichtiger Aspekt der Philosophie des Arztseins ist auch die Aufrechterhaltung und Verbesserung der Fähigkeiten und Kenntnisse der Ärztinnen und Ärzte durch kontinuierliche Fortbildung und Weiterbildung. Ärztinnen und Ärzte sollten auch bereit sein, sich an neue Erkenntnisse und Entwicklungen in der Medizin anzupassen und ihre Praktiken entsprechend anzupassen.

Die Philosophie des Arztseins umfasst auch die Verpflichtung, das Wohl der Gesellschaft zu berücksichtigen und sich für soziale Gerechtigkeit und Gleichheit in der Gesundheitsversorgung einzusetzen. Ärztinnen und Ärzte sollten auch darauf achten, dass ihre eigene Gesundheit und Wohlbefinden nicht durch die Arbeit beeinträchtigt werden und dass sie in der Lage sind, ihre Arbeit effektiv und verantwortungsbewusst auszuführen.

Klingt doch ausgezeichnet und klug. Ist aber nicht von uns, sondern die (von uns – um keinen zu frühen Verdacht zu erregen – vorsichtshalber gegenderte) Antwort von ChatGPT auf die von uns oben gestellte Frage. Offensichtlich kann uns ChatGPT auch bei komplexen oder schwierigen Fragen (zumindest vordergründig) sinnvolle Antworten liefern. Auch hier müssen wir uns einer der zahlreichen Ambivalenzen unseres modernen Lebens stellen. Einerseits haben wir mit ChatGPT eine spannende Plattform zu Informationsgewinn und -verarbeitung zur Verfügung, mit deren Hilfe wir möglicherweise auch rascher lernen und auch neue Gedanken entwickeln werden können – vielleicht vergleichbar einem Schachspielenden, der mit Hilfe eines Schachcomputers sein Spiel verbessern möchte. Andererseits wird die Frage nach Urheberschaft eines Konzepts oder einer ausformulierten Überlegung immer schwieriger zu beantworten sein, was uns auch in der akademischen Medizin beschäftigen wird! Kenner:innen und Fans von Sci-Fi-Literatur von Autor:innen wie Stanislav Lem oder Isaac Asimov werden unsere unbewanderten Überlegungen möglicherweise milde belächeln, weil ihnen die aktuellen Entwicklungen schon länger klar waren …

Neue Technologien nutzen

Wir brauchen mit Sicherheit neue Antworten auf diese für uns spannenden Fragen. Es ist zu hoffen, dass wir lernen, diese neuen Technologien zu unser aller Nutzen einzusetzen.

Vielleicht wäre es an der Zeit, der wiederkehrenden Aufforderung von Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann zu folgen: uns mit dem Werk des Philosophen Günter Anders für diese und ähnliche Fragen und Herausforderungen, die mit neuen Technologien verbunden sind, zu rüsten. Wir könnten aber auch die brennenden Fragen betreffend unseres dringend reformbedürftigen Gesundheitssystems an Open-AI-Plattformen stellen. Vielleicht sind die Antworten ergiebiger als jene der Verantwortungsträger:innen in der ZIB 2?