Frauen sind in der medizinischen Forschung noch immer unterrepräsentiert. Das liegt unter anderem an strukturellen Problemen. Die Ludwig Boltzmann Gesellschaft setzt nun einen Schwerpunkt.
Herz-Kreislauferkrankungen wie Herzinfarkte werden bei Frauen oft nicht rechtzeitig erkannt und behandelt, was zu schwerwiegenden Folgen wie Herzinsuffizienz oder sogar zum Tod führen kann. Bekannt ist mittlerweile auch, dass Medikamente bei Frauen zum Teil anders wirken oder in unterschiedlicher Dosierung verabreicht werden müssen. Das sind nur zwei Beispiele dafür wie stark der Aufholprozess in der Gendermedizin nach wie vor ist.
Eine der Ursachen dafür ist, dass die Forschung früher zumeist männlich geprägt war – und auch heute ist die Medizin in vielen Bereichen noch zu wenig individualisiert. Anlässlich des Weltfrauentags am 8. März unterstreicht die Ludwig Boltzmann Gesellschaft (LBG) die Notwendigkeit für Maßnahmen in diesem Bereich. Konkret arbeitet das Ludwig Boltzmann Institut für Digital Health and Patient Safety (LBI DHPS) daran, diese Forschungslücken zu schließen. Die Gendermedizin ist ein aufstrebendes Feld innerhalb der medizinischen Forschung, die die Unterschiede zwischen den Geschlechtern in Bezug auf Krankheitsprävention, Diagnose und Behandlung untersucht. „Während sich frühere Forschung hauptsächlich auf Männer konzentrierte, ändert sich das heutzutage im Feld der Gendermedizin – jedoch nur langsam“, sagt Maria Kletecka-Pulker, Institutsleiterin des LBI DHPS. Deshalb beschäftigt sich das Institut mit dem gesamten Behandlungsablauf und erforscht dabei genderspezifische Unterschiede.
Ein weiteres Gebiet ist das Thema Telemedizin. In Österreich geben vor allem Dolmetscherinnen Menschen mit anderen Muttersprachen bei Behandlungen eine Stimme. Das vom LBI DHPS entwickelte Projekt „Barrierefreie Kommunikation im Gesundheitswesen“ für Video-Dolmetsching ermöglicht überwiegend Frauen rasche, ortsungebundene Diagnosen ohne Übersetzungsfehler. Aber auch hier gibt es Aufholbedarf. Zwar wird der Großteil der Gesundheitsberufe von Frauen ausgeführt – in der Erforschung ist die Technologie der Telemedizin jedoch mehrheitlich männlich besetzt. „Deshalb ist es wichtig, dass in diesen Bereichen Leute forschen, die den Faktor Mensch und den Genderaspekt in der Anwendung dieser Technik immer mitdenken“, erklärt Kletecka-Pulker.
Ein anderes Feld, das den dringenden Nachholbedarf in der Gendermedizin deutlich macht, sind die Behandlungsfehler – denn, sie sind weiblich: „Erste Untersuchungen haben gezeigt, dass es vorwiegend Frauen sind, die sich wegen vermeintlicher Behandlungsfehler bei der Patient:innenanwaltschaft oder bei Schlichtungsstellen beschweren“, resümiert die Institutsleiterin. „Dabei ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich, woher dieser große Unterschied kommt. Daran arbeiten wir gerade, um der Sache auf den Grund zu gehen.“ Da es kein zentrales Register für Behandlungsfehler gibt, bedarf es hier einer umfassenden Sammlung von Fakten und Zahlen. Auffällig in bisherigen Studien ist, dass sich bei den Anfragen bei Pflege- und Patient:innenanwaltschaften ein geschlechtsspezifscher Unterschied zeigt. Das LBI DHPS hat nun begonnen, möglichst viele und aussagekräftige Daten zu erheben. Allein in Wien waren 2016 rund 60 Prozent Melderinnen. Das kann auf verschiedenen Ursachen beruhen: mögliche Erklärungen liegen in einer höheren Betroffenheit von Behandlungsfehlern oder können Ursachen in der Sozialisation als Frau haben. (ehs