Übelkeit und Erbrechen sind ein häufiges Problem in der Schwangerschaft, etwa 7 von 10 Frauen sind davon betroffen. Ist der Allgemeinzustand davon stark beeinträchtigt und eine normale Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme nicht mehr möglich, liegt eine Hyperemesis gravidarum vor. Da diese Symptomatik meistens mit Gewichtsverlust sowie Störungen des Elektrolythaushaltes einhergeht und damit die Gesundheit von Mutter und Kind bedroht ist, muss die Schwangere oftmals im Krankenhaus behandelt werden.
Die Ursachen, auslösenden Faktoren und die molekulare Pathogenese von Schwangerschaftsübelkeit und Hyperemesis gravidarum waren bisher weitgehend unbekannt. Jüngere Forschung beschäftigte sich zunehmend mit GDF15, einem Protein der TGF-b-Superfamilie. Diese Zytokine spielen eine wichtige Rolle bei der Embryonalentwicklung von Wirbeltieren. GDF15 ist im Körper in geringer Konzentration auch im nichtschwangeren Zustand vorhanden und wird von allen Zellen als Reaktion auf zellulären Stress ausgeschüttet. Schwangere haben üblicherweise hohe GDF15-Spiegel. Mittels Massenspektrometrie konnte in einer in Nature publizierten Studie nachgewiesen werden, dass der Großteil davon vom Fötus ausgeschüttet wird. Dabei zeigte sich ein umso höheres Risiko für Übelkeit und Erbrechen in der Schwangerschaft, je geringer die Konzentration des Hormons im nichtschwangeren Zustand ausfiel.
Verschiedene Erkrankungen bedingen eine chronische Erhöhung des GDF15-Spiegels. Beispielsweise führt die autosomal-rezessiv vererbte Synthesestörung des Hämoglobins, die b-Thalassämie, zu einer lebenslang hohen Konzentration von GDF15. Dadurch verringert sich zwar die Fruchtbarkeit, es hat aber den positiven Nebeneffekt eines stark reduzierten Risikos für Schwangerschaftsübelkeit bei Frauen, die dennoch schwanger werden. Bei einer Umfrage unter Patientinnen mit b-Thalassämie berichteten nur 5 % der Frauen von Schwangerschaftsübelkeit oder Erbrechen, während unter gesunden Frauen rund 60 % davon betroffen waren. Offensichtlich haben hohe GDF15-Spiegel im nichtschwangeren Zustand eine schützende Wirkung.
Bisher war es nur möglich, die Symptome der Hyperemesis gravidarum zu behandeln. Die vorliegenden Erkenntnisse zu GDF15 könnten neue Therapieoptionen ermöglichen. Beispielsweise könnte durch die Hemmung der Hormonrezeptoren das Auftreten der Übelkeit verhindert werden. Ein anderer möglicher Ansatz wäre eine Desensibilisierung durch Erhöhung der GDF15-Konzentration bereits vor Eintritt einer Schwangerschaft. Bei Mausversuchen zeigten jene Mäuse, die GDF15 bereits exponiert waren, eine deutlich abgeschwächte Reaktion auf die Verabreichung des Hormons. Hingegen nahmen die Mäuse, die mit GDF15 zum ersten Mal in Berührung kamen, deutlich weniger Nahrung zu sich und verloren an Gewicht. Die neuen Erkenntnisse stimmen zuversichtlich, in Zukunft mehrere wirksame Behandlungsoptionen für die Hyperemesis gravidarum zur Verfügung zu haben. Bis zur Entwicklung entsprechender Medikamente dürfte aber noch einige Zeit vergehen.