Die Einbindung der Sozialen Arbeit in die medizinische Versorgung ist keine neue Entwicklung. Tatsächlich reichen ihre Ursprünge bis Ende des 19. Jahrhunderts zurück, als sie eng mit der Gesundheits- und Armenfürsorge verbunden war. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts begann sich jedoch diese Verbindung wieder zu lösen. Die Medizin wandte sich einem naturwissenschaftlichen Verständnis zu und schloss das „Soziale“ weitgehend aus ihrem Aufgabenbereich aus (Rogers und Pilgrim, 2011). Diese Trennung ist überraschend, da wichtige Ziele beider Disziplinen – nämlich Wohlbefinden und funktionales Alltagsleben – gar nicht so unterschiedlich sind (aus BFH impuls 1/2019). Soziale Probleme, wozu unter anderen finanzielle Schwierigkeiten, Sorgen um den Arbeitsplatz, Streit in der Familie, Mobbing usw. zählen, können medizinisch nicht gelöst werden, spielen jedoch im Krankheitsverlauf eine bedeutende Rolle. Der Zusammenhang zwischen Armut und Krankheit wurde in zahlreichen Studien nachgewiesen (Kohler et al., 2012; Lampert, 2011; Murray, 2006; Pförtner, 2013; Weltgesundheitsorganisation, 2004). So heißt es zum Beispiel in den Zukunftspositionen zur Allgemeinmedizin der DEGAM, dass „Armut, soziale Isolation und insbesondere auch erlebte soziale Ungleichheit auf die Entstehung sowie den Verlauf von Krankheiten erhebliche Auswirkungen haben“.
Angesichts von Krankheit und Armut fühlen sich Ärzt:innen und Sozialarbeiter:innen gleichermaßen in der Verantwortung (DEGAM, 2012; International Federation of Social Workers, 2014).
Soziale Arbeit fördert die gesellschaftliche und soziale Entwicklung von Menschen und deren Selbstbestimmung. Soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte und die Achtung der Vielfalt sind die Grundlagen der Sozialen Arbeit (vgl. www.dbsh.de). Ningel (2011) betonte die Bedeutung eines ganzheitlichen Ansatzes, der individuelle Beratung und interdisziplinäre Koordination einschließt. Durch die Ermutigung zur aktiven Gestaltung des eigenen Lebens wird den Menschen eine bedeutende Handlungsmöglichkeit geboten.
Klinische Soziale Arbeit als Spezialisierung innerhalb der Sozialen Arbeit fußt weniger auf einem klinischen als auf einem biopsychosozialen Verständnis des Menschen (Röh, 2008). Sie konzentriert sich auf die Behandlung sozialer Aspekte somatischer und psychischer Erkrankungen und trägt dazu bei, Krankheiten, Behinderungen oder psychosoziale Krisen zu bewältigen oder ihre Auswirkungen zu mildern (Ningel, 2011). In der Praxis konzentrieren sich Sozialarbeiter:innen auf die Arbeit mit Menschen in sozialen Notlagen sowie auf die Prävention solcher Notlagen. Ziel ihrer Tätigkeit ist, die Lebensbedingungen ihrer Patient:innen zu stabilisieren und zu verbessern. Sozialarbeitende verpflichten sich dazu, ihre Klientel zu unterstützen und diese zu befähigen, unabhängiger zu werden – auch von der Sozialen Arbeit selbst (AvenirSocial, 2010).
Für viele Menschen in prekären Lebenssituationen sind Hausärzt:innen oft die ersten Ansprechpartner:innen und Vertrauenspersonen. Gesundheitliche Probleme sind häufig sowohl die Folge als auch die Ursache sozialer, finanzieller oder persönlicher Schwierigkeiten. Viele Hausärzt:innen finden sich in einer zentralen Rolle bezüglich sozialer Problematiken, fühlen sich aber aufgrund fehlender Ausbildung und der im Praxisalltag knappen Zeitressourcen oft überfordert. In der täglichen Praxisarbeit und Langzeitbetreuung können sie als Vertrauenspersonen biopsychosoziale Problemlagen früh erkennen und bei der Möglichkeit einer Überweisung zum/zur Sozialarbeiter:in schnell, niederschwellig und professionell helfen.
Es fällt vielen Patient:innen leichter, innerhalb einer Primärversorgungseinrichtung Sozialberatung in Anspruch zu nehmen, als eine institutionelle Einrichtung aufzusuchen. Patient:innen mit sozialen Problemen „stranden“ bei Hausärzt:innen, weil niemand anderer vorhanden ist und sich zuständig fühlt. Eine Hauptaufgabe sozialer Beratung ist es, durch Gespräche mit Patient:innen das Ganze zu entschleunigen und in regelmäßiger Beziehungsarbeit Vertrauen aufzubauen, um gemeinsam mit dem/der Patient:in herauszufinden, welche individuelle Lösung am besten ist. Hier ist es von Bedeutung, dass die Soziale Arbeit bestehende Komplexitäten und Bürokratien sichtbar verringert und informelle Netzwerke innerhalb einer Einrichtung und nach außen zur kommunalen Gesundheitsförderung aufbaut.
Zusammenfassend betrachtet gesundheitsbezogene Soziale Arbeit Menschen als biopsychosoziale Wesen, deren Gesundheit in hohem Maße von einer intakten sozialen Lebenswelt abhängt. Im Gegensatz zur medizinischen oder psychischen Behandlung konzentriert sie sich explizit auf die Möglichkeiten und Spielräume des sozialen Umfeldes. Sie unterstützt Patient:innen bei der Orientierung im Gesundheitswesen (Case-Management und Netzwerkarbeit), fördert die soziale Integration und übernimmt umfassende soziale Anamnesen, insbesondere bei komplexen Themen, wie zum Beispiel bei der Überforderung pflegender Angehöriger, bei chronischen Krankheiten oder Pflegebedürftigkeit, bei der Gefahreneinschätzung im Kontext der Kinder- und Jugendhilfe, der Beantragung einer Erwachsenenvertretung oder auch bei verwaltungsrechtlichen Themen der Sozialversicherungen. Ziel ist, mögliche Alltagsbelastungen der Klient:innen zu reduzieren, ihre materielle Situation zu verbessern (Schuldenberatung), soziale Unterstützungen zu aktivieren (Weitervermittlung an andere Dienstleister:innen) und die Selbstverantwortung wieder zu stärken (Ressourcenorientierung).
Gerade in Primärversorgungseinheiten (PVE), in denen Sozialarbeiter:innen auch eine Rolle als Link Worker im Social-Prescribing-Prozess übernehmen, fördern sie den Genesungsprozess, die gesellschaftliche Teilhabe, die Inklusion in die Systeme sozialer Sicherheit und geben Orientierung, indem sie Patient:innen an kommunale Hilfsangebote vermitteln.
In Haslach trägt das interprofessionelle Team der PVE in Kooperation mit dem GES.UND-Büro (Träger: PROGES) beispielhaft mit Maßnahmen wie gemeinsamem Kochen mit Mittagstisch, den GEHsprächs- und Walking-gruppen oder dem Gesprächskreis für pflegende Angehörige in Kooperation mit der Community Nurse gezielt zur Früherkennung, Prävention und Gesundheitsförderung bei.