Der Bedarf an medizinischer Unterstützung steigt, ebenso wie es einen steigenden Bedarf an Klinik- und Pflegepersonal gibt. Dies verdeutlicht, dass eHealth-Anwendungen im Gesundheitswesen von zunehmender Bedeutung sind. In der Software eSMART (CE zertifiziertes Medizinprodukt) liegen nun zwei Jahrzehnte Entwicklung und und Forschung. Nach erfolgreichen klinischen Studien ist diese Software bereits in UK im Routineeinsatz. Die eSMART-Technologie wird an der Medizinischen Universität Wien eingesetzt, um die Symptome von Krebspatient:innen während ihrer Behandlung remote zu überwachen und zu unterstützen.
Die Hämatologie-Ambulanz der Medizinischen Universität Wien nutzt die Gesundheitsplattform eSMART (DOC@HOME-App von Docobo Ltd). Der Einsatz der DOC@HOME-App geht auf das EU-Projekt namens eSMART (Abb. 1) zurück. Die Studie eSMART wurde in den Jahren 2014–2019 an zwölf Kliniken in fünf europäischen Ländern durchgeführt. Die MedUni Wien war einziger deutschsprachiger Standort und mit insgesamt 140 an Krebs erkrankten Patient:innen involviert: Es handelte sich um Brust- und Dickdarmkrebs sowie Hodgkin- und Non-Hodgkin-Erkrankungen. Nach dem Zufallsprinzip wurden die teilnehmenden Patient:innen der Interventions- oder Kontrollgruppe zugeteilt. Beide Studiengruppen erhielten den bewährten Behandlungsstandard. Die Interventionsgruppe konnte zusätzlich ein smartphoneähnliches Gerät (Abb. 2) mit nach Hause nehmen. Zwei Funktionen sind mit dem Smartphone verknüpft: tägliche Symptomerhebung sowie evidenzbasierte Information und Aufklärung zur Erkrankung und zu möglichen Nebenwirkungen.
Tägliche Symptomaufzeichnung: Nach Symptomeingabe in das Smartphone wurden diese datenschutzkonform und in Echtzeit an den Server übertragen. Ein Algorithmus ermittelt die Symptomdaten und ordnet diese entsprechend einer Codierung zu: dem Ampelprinzip.
• Bei grün geht es den Patient:innen momentan gut.
• Bei gelb besteht Handlungsbedarf; das Team, bestehend aus Pflegepersonen und Ärzt:innen, hat 8 Stunden Zeit, um auf den Alarm zu reagieren.
• Ein roter Alarm muss innerhalb der nächsten 30 Minuten beantwortet werden, möglicherweise liegen Fieber oder andere schwerwiegendere Symptome bei den Patient:innen vor.
Die gelben und roten Alarme erreichen auch das Team an der Klinik, das ebenfalls mit einem smartphoneähnlichen Gerät ausgestattet ist. Wird ein Alarm ausgelöst, so erscheinen auf dem Kliniker-Gerät die Farbe des Alarms, die Initialen der Patient:innen und die derzeit bestehenden Symptome. Um auf den Alarm zu reagieren, loggen sich die Kliniker:innen auf der Online-Plattform ein und klicken auf den Alarm. Es öffnet sich ein speziell auf die bestehende Symptomatik angepasster Fragebogen, der gemeinsam mit den Patient:innen am Telefon besprochen wird.
Die tägliche Symptomaufzeichnung ermöglicht die grafische Darstellung eines Symptomverlaufs. Dies erleichtert letztendlich auch den Alltag des Klinikpersonals. Kontrolltermine oder Vorbesprechungen lassen wieder mehr Zeit für die Begegnung zwischen Patient:innen und Ärzt:innen zu, da die Symptome und der Krankheitsverlauf der letzten Wochen bereits im Krankenhaus-System gespeichert sind, somit vorliegt und nicht mehr erhoben werden muss. Die kurze wertvolle Zeit im Arzt-Patienten-Gespräch kann also für die persönlichen Anliegen der Patient:innen genutzt werden. Der individuelle Symptomverlauf kann via ELGA in KIS integriert werden.
Insgesamt konnte anhand von 829 Studienteilnehmer:innen innerhalb der EU gezeigt werden, dass es zu einer signifikanten Verbesserung in der Interventionsgruppe (Telemedizin-Arm) im Vergleich zum bisherigen Behandlungsstandard (Kontrollgruppe) kam. Hinsichtlich gesundheitsbezogener Lebensqualität (FACT-G), Unterstützungsbedarf (SCNSSF34), State-Trait-Angst (STAI-Y), Selbstwirksamkeit (CASE-Cancer) und Arbeitseinschränkungen (WLQ) blieb die Symptombelastung in der Interventionsgruppe auf dem Niveau vor der Chemotherapie, während die Kontrollgruppe (Standardbehandlung) ab Zyklus 1 einen Anstieg berichtete. Der Bedarf an unterstützender Pflege war für die meisten SCNS-SF34-Domänen in der Interventionsgruppe niedriger, einschließlich der Bedürfnisse im Bereich Sexualität, Pflege- und Unterstützungsbedarf und körperliche Bedürfnisse sowie Bedürfnisse des täglichen Lebens.
Wir können schlussfolgern, dass die Entwicklung der eHealth-Anwendung zum Symptom-Tracking während der Krebsbehandlung kontinuierlich fortschreitet. Mittlerweile kann sowohl auf das smartphoneähnliche Patienten- als auch Kliniker-Gerät verzichtet werden, denn die Software ist in Form einer App im App Store (Apple Geräte), als auch bei Google Play (Android Geräte) auf das eigene Smartphone der Patient:innen downloadbar. Nach Registrierung der Patient:innen auf der Online-Plattform des behandelnden Klinikteams wird ein zehnstelliger persönlicher Code erstellt, der benötigt wird, um die App mit dem hinterlegten Profil zu verknüpfen. So findet das CE (Class I and IIA) zertifizierte Medizinprodukt datenschutzkonform seinen Einsatz.
Gleichzeitig wird dadurch im Vergleich zur eSMART-Studie die individualisierte Unterstützung noch persönlicher: Wir haben die Möglichkeit, speziell auf die Erkrankung und Medikation der Patient:innen abgestimmte Informationen bereitzustellen sowie anhand evidenzbasierter Fragebögen (PROMs) den aktuellen Gesundheitszustand der Patient:innen zu erfragen. Darüber hinaus wird es zukünftig möglich sein, via Videotelefonie über die Online-Plattform mit Patient:innen in Kontakt zu treten oder Erinnerungsfunktionen zu programmieren, was die korrekte Medikamenteneinnahme unterstützen soll.
Referenz: (1) Maguire R et al., BMJ 2021; n1647