In den USA hat Fentanyl bereits zu einem enormen Drogenproblem mit zehntausenden Toten geführt. Jetzt wächst in Deutschland die Sorge vor einer Verbreitung.
Die meisten Drogentoten in Deutschland gehen noch immer darauf zurück. Doch neue, potenziell tödlichere Mittel drängen auf den Markt – Fentanyl zum Beispiel. Die Substanz mache nicht nur extrem süchtig, erklärt der Psychiater Norbert Scherbaum, es wirke auch etwa 50-mal stärker als Heroin. „Deswegen sterben auch überproportional viele Menschen daran.“ Bereits zwei Milligramm gelten als potenziell tödliche Dosis. In den USA hat Fentanyl bereits zu einem enormen Drogenproblem mit zehntausenden Toten geführt. Nach Angaben des nationalen US-Instituts, das Drogenmissbrauch erforscht, starben durch eine Überdosis synthetischer Opioide – vor allem Fentanyl – allein im Jahr 2021 mehr als 70.000 Menschen.
Fentanyl gehört zu einer Gruppe recht neuer Drogen: synthetische Opioide wie auch Tilidin, Tramadol und Oxycodon, die als zugelassene Medikamente eigentlich zur Behandlung von starken Schmerzen eingesetzt werden. Fentanyl wirkt ähnlich wie Morphin, wird aber komplett synthetisch hergestellt. In der Medizin wird es etwa bei Tumorerkrankungen verwendet. Fentanyl kann geschluckt, gespritzt, geschnupft, geraucht oder als Pflaster angewandt werden.
In Deutschland scheine die Droge bisher bei weitem nicht die Rolle wie in den USA zu spielen, sagt Scherbaum, der Vorsitzender der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) ist. Die Opioidkrise in den USA sei vor allem durch eine sehr großzügige und sorglose Verschreibung von starken Schmerzmitteln entstanden. Auch in Deutschland würden solche Medikamente in einem hohen Maße und vor allem häufiger als noch vor zehn oder 20 Jahren verschrieben. Laut Rüdiger Schmolke vom Notdienst für Suchtmittelgefährdete und -abhängige Berlin spielt Fentanyl in der offenen Drogenszene noch keine große Rolle. Viele Konsument:innen wüssten, dass das Risiko einer Überdosierung bei Fentanyl sehr viel höher sei. „Deshalb reagieren viele eher skeptisch oder ablehnend auf Fentanyl.“ Scherbaum glaubt allerdings, dass die Verbreitung der Droge zunehmen und auch hierzulande zu einer Krise führen könnte.
Das hat verschiedene Gründe – einer liegt in Afghanistan. Das Land gilt als wichtigster Standort für den Heroin-Rohstoff Opium, der aus Schlafmohn gewonnen wird. Weil die Taliban den Anbau von Mohn 2022 verboten haben, ist die weltweite Opium-Produktion laut dem UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) um 74 Prozent eingebrochen. Scherbaum zufolge hat das keine unmittelbaren Folgen, da die Lager wahrscheinlich noch gut gefüllt seien. Außerdem sei möglich, dass andere Länder nun mehr produzierten. Früher oder später sei aber mit einer Verknappung zu rechnen. Ein weiterer Grund sei, dass sich der internationale Drogenmarkt in Zukunft stark verändern könnte, erklärt der Psychiater. „Die Drogenkartelle merken, dass synthetische Produkte für sie viel gewinnbringender und viel weniger risikoreich in Hinblick auf die Strafverfolgung sind.“ Die Herstellung von Fentanyl sei viel billiger als die von Heroin, da es im Labor hergestellt werden könne. Schon jetzt bestehe das Risiko, dass Menschen Heroin kauften, dem Fentanyl beigemischt sei, Konsumenten aber nichts davon wüssten. (red/APA)