Kinder und Jugendliche benötigen individuelle Lösungen

Automatische Insulinabgabe

AID-(„Automated insulin delivery“-)Systeme im engeren Sinn, oft auch als „Closed loop“-Systeme oder „Artificial pancreas“ bezeichnet, sind etwas komplexer als CGM-(„Continuous glucose monitoring“-)Systeme. Hier kommen Algorithmen zur Anwendung, die automatisch und kontinuierlich alle paar Minuten die Insulinabgabe unter- und oberhalb der voreingestellten Raten modulieren – unter Berücksichtigung der aktuellen und vergangenen sensorgenerierten Glukoseverläufe. Im Vergleich zur Standardtherapie (Pumpe/Pen mit CGM) ist der Einsatz von AID-Systemen mit einer erhöhten „Zeit im Zielbereich“ sowie reduzierter Hyperglykämie- und Hypoglykämiehäufigkeit assoziiert, bei gleichzeitig moderater Reduktion der HbA1c-Werte bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes (T1D).1, 2

Verfügbare Systeme in Österreich

Mit demMiniMed-670G-Systemvon Medtronic ist in Österreichbereits seit Juni 2019 ein erstes dieser AID-Systeme verfügbar und ab einem Alter von 7 Jahren zugelassen – und seit Dezember 2021 auch das MiniMed 780G, für dessen Verwendung eine Mindesttagesinsulindosis von 8IU/Tag erforderlich ist. Für die sehr junge Altersgruppe ab 1 Jahr ist das CamAPS-System zugelassen und seit Juli 2022 in Kombination mit der YpsoPump® auch in Österreich verfügbar (mit Dexcom-G6- bzw. Freestyle-Libre-3-CGM-System). In der multizentrischen, randomisierten Crossover-Studie KidsAP (Horizon-2020-EU-Projekt, unter starker österreichischen Beteiligung) wurde mit CamAPS im Vergleich zu einer sensorunterstützen Pumpentherapie bei sehr jungen Kindern (1–7 Jahre) eine signifikante Verbesserung der TIR und eine Reduktion der Hyperglykämien ohne Erhöhung der Hypoglykämien beobachtet.3 In weiteren Publikationen dieser KidsAP-Studie wurde auch über eine Verbesserung der Lebensqualität der Familien, weniger Stress und besseren Schlaf berichtet.4, 5

Der möglichst frühzeitige Einsatz von AID-Systemen bei Kindern und Jugendlichen bereits binnen weniger Tage bzw. Wochen nach Manifestation eines T1D hat sich in rezenten Studien als vorteilhaft bezüglich der glykämischen Kontrolle im Vergleich zur Standardtherapie gezeigt.6,7

Die Tabelle liefert eine Übersicht über aktuell CE-zertifizierte AID-Systeme2–5 in der EU. In Österreich sind derzeit (Stand Mai 2024) 3 Systeme verfügbar bzw. durch Kostenübernahme der Krankenkassen gedeckt. Es bestehen Unterschiede, was die Komponenten, das Setup, die genaue Funktionsweise, veränderbare Einstellungen und Altersgrenzen betrifft. Es gibt auch Systeme, bei denen sich der Algorithmus auf einem externen Gerät bzw. als App auf einem Mobiltelefon befindet und nicht in der Pumpe eingebaut ist.

Tab.: CE-zertifizierte AID-Systeme

Bei allen angeführten Systemen handelt es sich um Hybridlösungen, d. h., die basale Insulinabgabe wird durch den Algorithmus automatisch moduliert, den Mahlzeitenbolus triggert man manuell per Knopfdruck. „Fully closed loop“-Systeme ohne notwendige Bolusabgabe bzw. Ankündigung durch die User:innen sowie bihormonale Systeme, die zusätzlich zu Insulin auch u. a. Glukagon zur Vermeidung von Hypoglykämien abgeben, befinden sich in klinischer Testung.8 In den vergangenen Jahren wurden zu AID-Systemen internationale Konsensusempfehlungen publiziert.9, 10 Auch in den ISPAD-Guidelines aus 2022 wird der Einsatz solcher Systeme bei Kindern und Jugendlichen mit Diabetes dringend empfohlen.11

DIY-Open-Source-AID-Systeme

Aufgrund der weltweit generell immer noch begrenzten Verfügbarkeit von AID-Systemen, deren Entwicklung und Zulassung als Medizinprodukt gewisse Zeit in Anspruch nimmt und streng behördlich geregelt ist, entstand in den letzten Jahren eine immer größer werdende Community an Menschen, die gemäß ihrem Mantra (#wearenotwaiting) die Entwicklung und Verbreitung von sogenannten DIY-Open-Source-AID-Systemen (DIY: „do it yourself“, z. B. OpenAPS, AndroidAPS, LOOP oder Tidepool Loop) vorantreibt.12 Über online frei verfügbare Anleitungen und Algorithmen, die von der Community auch ständig modifiziert werden, stellen User:innen im eigenverantwortlichen Selbstexperiment ihre eigenen AID-Systeme zusammen. Im Jahr 2022 wurde zu diesen Open-Source-AID-Systemen erstmalig auch eine Konsensusempfehlung veröffentlicht, die als Hilfe für medizinisches Fachpersonal dienen soll.13 Mit Tidepool Loop erhielt das erste Open-Source-AID-System am 24 Jänner 2023 die behördliche Zulassung der FDA.

Remote-Monitoring und Telemedizin

Alle CGM-Sensoren, Pumpen und AID-Systeme können über cloudbasierte Software ausgelesen bzw. die Daten hochgeladen werden, größtenteils schon automatisch bei entsprechender Konfiguration. Viele dieser Geräte bieten auch die zusätzliche Option eines Remote-Monitorings. Hierbei werden die Daten auf ein Mobiltelefon übertragen, über Cloud-to-Cloud-Lösungen auch an sog. „Follower“. Im pädiatrischen Bereich sind das meist die Eltern, aber auch öfters Großeltern oder Betreuungseinrichtungen. Die Glukosewerte der Kinder können so aus der Distanz überwacht und bei Bedarf Therapieentscheidungen unterstützt werden, auch wenn die Kinder in Fremdbetreuung versorgt sind. Der Upload von Daten in entsprechende Clouds ist auch eine gute Voraussetzung für eine telemedizinische Betreuung, die vor allem während der SARS-CoV-2-Pandemie in vielen Diabeteszentren zu einer neuen Realität geworden ist.14, 15 Auch über die Pandemie hinaus birgt die Telemedizin großes Potenzial in der Langzeitbetreuung von Menschen mit Diabetes mellitus, wobei es hier noch einige offene Fragen gibt (u. a. zur Finanzierung, und zu rechtlichen Aspekten bzw. auch bezüglich Erreichbarkeit von medizinischem Personal außerhalb von Kernzeiten).

Schulung und Fortbildung

Die Therapie des T1D im Kindes- und Jugendalter und darüber hinaus ist hoch technisiert und ein Verständnis der verwendeten Technologien essenziell für Betroffene, aber auch für das betreuende Team (im pädiatrischen Bereich idealerweise ein multidisziplinäres Team bestehend aus Ärzt:innen, Diabetesberater:innen, Diätolog:innen, Psycholog:innen sowie Sozialarbeiter:innen). Die Implementierung und Verwendung von Diabetestechnologien muss fundiert altersentsprechend vermittelt und strukturiert geschult werden.16–18 Im Kindes- und Jugendalter ist es essenziell, bei den Schulungen alle Betreuungspersonen des Kindes miteinzubeziehen. In Anbetracht der raschen Innovationszyklen und der zunehmenden Vielfalt der Produkte sind hier alle Beteiligten gefordert, sich up to date zu halten, am besten durch kontinuierliche Fortbildungen als unverzichtbarer Teil eines erfolgreichen Qualitätsmanagements in der Diabetesbetreuung.