Prim.a ao. Univ.-Prof.in Dr.in Judith Löffler-Ragg
Abteilung für Pneumologie, LKH Hochzirl-Natters, Medizinische Universität Innsbruck
Geschlechterspezifische Unterschiede in der Pneumologie begleiten uns von der Neonatologie bis zur Geriatrie. Während bei Frühgeborenen vor allem das männliche Geschlecht ein negativer Prädiktor für ein akutes Lungenversagen ist, sind im Erwachsenenalter Frauen von manchen Lungenerkrankungen häufiger betroffen als Männer. Entwickelt sich zum Beispiel ein Asthma bronchiale im Erwachsenenalter, weisen Frauen im Vergleich zu Männern oft einen höheren Schweregrad der Erkrankung auf, begleitet von gehäuften Exazerbationen und einer höheren Hospitalisierungsrate.1–3
Sex und Gender: Im Jahr 2024 steht uns dank zahlreicher Studien umfangreiches Wissen zu geschlechterspezifischen Unterschieden zur Verfügung, die darauf abzielen, diese Unterschiede zu untersuchen und bewusst zu machen. Dies war lange Zeit nicht selbstverständlich. Obwohl die Begriffe Sex und Gender oft synonym verwendet werden, handelt es sich um unterschiedliche Konzepte. Während sich der Begriff Sex auf biologische Unterschiede zwischen Frauen und Männern (z.B. Chromosomen, Geschlechtsorgane, endogene Hormonprofile) bezieht, verweist der Begriff Gender auf sozial konstruierte Merkmale (z.B. Normen, Verhaltensweisen, Rollen), die nicht nur in verschiedenen Gesellschaften variieren, sondern sich im Laufe des Lebens unterschiedlich auf eine Person auswirken können.4, 5
Prototyp kaukasischer Mann: Über Jahrzehnte hinweg wurden Zulassungsstudien nur an kaukasischen Männern durchgeführt. Erst im Jahre 1998 verabschiedete die Food and Drug Administration eine finale Verordnung, in der festgelegt wurde, dass bei jedem Antrag auf eine Arzneimittelzulassung Daten zu Sicherheit und Wirksamkeit für beide Geschlechter vorgelegt werden müssen.6 Was haben wir also in diesen Jahrzehnten der Forschung und Medikamentenentwicklung in der Pneumologie verpasst und womöglich übersehen?
In den frühen Lebensabschnitten eines Menschen zeigen weibliche Hormone eine begünstigende Wirkung auf die Entwicklung und Reifung der Lunge, wohingegen höhere Androgenspiegel und damit das männliche Geschlecht mit einer verzögerten Lungenreifung assoziiert sind.7 Mit dem Erreichen der Pubertät und später der Menopause kommt es bei Frauen zu starken Veränderungen in der Homöostase der Geschlechtshormone, was am Beispiel Asthma bronchiale ersichtlich wird. So verursachen die fluktuierenden Östrogenspiegel während des Menstruationszyklus gehäufte Exazerbationen, wohingegen steigende Androgenspiegel in der Pubertät zu einer Besserung der Symptomlast führen. Dies hat zur Folge, dass die Prävalenz von kindlichem Asthma bei Jungen höher als bei Mädchenist, sich dies aber mit der Pubertät umkehrt.7 In erster Studienlage beobachtet man bei postmenopausalen Frauen unter hormoneller Substitutionstherapie mit Östrogenen eine gesteigerte Asthma-Inzidenz sowie eine dosisabhängige Verschlechterung der Symptome.8, 9 Ebenso wurde der Begriff perimenstruelles Asthma geprägt, das bei 20–40% der Patientinnen beschrieben wurde.10, 11 Diese Erkenntnisse unterstreichen die Notwendigkeit einer geschlechterspezifischen Betrachtung in der Asthmatherapie und eröffnen neue Perspektiven für gezielte Behandlungsansätze, die den Hormonstatus der Patient:innen berücksichtigen.
Historisch gesehen galten die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) und das Lungenkarzinom als Erkrankungen, die vor allem Männer in fortgeschrittenem Alter betreffen. Das Blatt hat sich jedoch in den letzten Jahrzehnten gewendet, und es kam zu einem deutlichen Anstieg der Prävalenz sowie der Hospitalisierungsrate bei Frauen, sodass dieser Gendergap unverkennbar kleiner wurde.12
Frauen holen auf: Dieses Phänomen wird unter anderem auf den steigenden Nikotinabusus bei Frauen zurückgeführt. Im EU-Schnitt liegt Österreich derzeit auf Platz 5 bei der Anzahl der Raucherinnen und damit über dem europaweiten Durchschnitt.13 Studien zeigen auch, dass Frauen für die lungentoxischen Effekte des Rauchens deutlich anfälliger sind und bei einer geringeren kumulativen Tabakexposition ähnliche bzw. schwerere Krankheitsverläufe der COPD entwickeln können. Interessanterweise haben Frauen, die niemals geraucht haben, ein höheres Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, als männliche Nichtraucher, was auf genetische, hormonelle und umweltbedingte Faktoren hindeutet.
Dies ist besonders in Zeiten der Globalisierung und Migration relevant, da sich dieselben Risikofaktoren auch auf die Entwicklung von COPD auswirken können. Neben Zigaretten zählt die Exposition gegenüber Rauch und Dämpfen von Brennstoffen zu den größten tabakunabhängigen Risikofaktoren für die Entwicklung einer COPD. Besonders betroffen sind Frauen in Entwicklungsländern, die beim Kochen in schlecht belüfteten Wohnräumen einer hohen Belastung ausgesetzt sind.12
Die geschlechterspezifischen Unterschiede bei COPD erstrecken sich nicht nur auf die Epidemiologie, sondern auch auf Diagnose und Therapieansprechen. Frauen mit COPD berichten häufiger von Atemnot und Müdigkeit als Leitsymptom, während Männer häufiger über Husten und produktiven Auswurf klagen.14, 15 Diese Unterschiede in den Symptomen können teilweise auf anatomische Unterschiede, wie kleinere Atemwege im Verhältnis zur Lungenkapazität bei Frauen, zurückgeführt werden. Wie zuvor beschrieben gibt es Hinweise, dass Krankheitsgrad und Symptomkontrolle mit hormonellen Veränderungen während des Menstruationszyklus, der Schwangerschaft oder der Menopause variieren können, womit die Diagnose erschwert werden kann.12
Späte Diagnose: Insgesamt bedingt die Entwicklung einer COPD bei Frauen einen höheren Verlust an Lebensqualität, wodurch sie öfter unter psychischen Folgen wie Depressionen und Angst leiden als Männer.12 Dies kann dazu beitragen, dass sie sich aufgrund von Atembeschwerden seltener in ärztliche Behandlung begeben. Daten belegen, dass Frauen seltener spirometrisch untersucht und seltener zu Lungenfachärzt:innen überwiesen werden (Untersucher-Bias). Aufgrund genannter Faktoren wird die COPD bei Frauen oft erst in einem fortgeschrittenen Stadium erkannt. Dies führt zu einer erheblichen Verschlechterung ihrer Behandlungsoptionen und Prognose.16
In Bezug auf die molekularen Eigenschaften des Lungenkarzinoms zeigen Studien, dass bestimmte genetische „Treiber-Mutationen“ wie EGFR-Mutationen bei Frauen häufiger vorkommen als bei Männern. Bei rauchenden Frauen finden sich die tabakassoziierten p53-Mutationen insgesamt häufiger als bei rauchenden Männern (36% vs. 27%).17 Die Prävalenz von ALK-Translokationen scheint bei Frauen ebenfalls höher zu sein als bei Männern.18, 19 Diese Mutationen sind oft mit einem guten Ansprechen auf Tyrosinkinase-Inhibitoren verbunden, womit geschlechterspezifische genetische Screening-Strategien in der Diagnostik von großer Bedeutung sein können. Ein umfassendes Verständnis und eine geschlechterspezifische Herangehensweise in Forschung, Diagnostik und Behandlung sind daher entscheidend, um die wachsenden Herausforderungen in der Bekämpfung von COPD und Lungenkarzinom effektiv zu adressieren.
Interstitielle Lungenerkrankungen (ILD) umfassen eine Gruppe von über 200 Krankheiten, die das Lungengewebe betreffen und zu einer fortschreitenden Vernarbung und damit Volumenverlust führen. Die Ätiologie der ILD ist oft unklar, aber bekannte Ursachen sind Exposition gegenüber inhalativen Noxen, medikamentöse Toxizität, Autoimmunerkrankungen und genetische Faktoren. Die Diagnose und die Behandlung dieser Erkrankungen stellen eine erhebliche medizinische Herausforderung dar. Geschlechterspezifische Unterschiede in der Epidemiologie, Diagnose und Therapie der ILD sind bedeutend und haben wesentliche Implikationen für die medizinische Praxis. Epidemiologisch zeigen Studien, dass bestimmte Formen der ILD, wie die idiopathische pulmonale Fibrose (IPF) oder ILD, die mit Autoimmunerkrankungen assoziiert sind, häufiger bei Männern als bei Frauen auftreten.20 So tritt die rheumatoide Arthritis (RA) insgesamt häufiger bei Frauen auf, aber Studien zeigen, dass die RA-ILD häufiger bei Männern vorkommt: Das Geschlechterverhältnis für RA-ILD liegt in einigen Studien bei bis zu 2:1.21
Bei systemischer Sklerose (SSc) tritt die ILD häufig auf und ist eine bedeutende Ursache für Morbidität und Mortalität. Frauen sind insgesamt häufiger von systemischer Sklerose betroffen als Männer, wobei die Prävalenz der damit verbundenen interstitiellen Lungenerkrankung (SSc-ILD) nicht ausschließlich geschlechterspezifisch ist.22
Die Lymphangioleiomyomatose (LAM) ist eine seltene Erkrankung, bei der sich glatte Muskelzellen in Bronchien und Lymphgefäßen übermäßig stark vermehren und so gesundes Lungengewebe zerstören. Interessanterweise findet sich die LAM fast ausschließlich bei Frauen, und es wird vermutet, dass Östrogene eine wichtige Rolle in der Pathogenese spielen.23, 24
Diagnose und Therapie: In der Diagnosestellung können geschlechterspezifische Unterschiede ebenfalls von großer Bedeutung sein. Frauen neigen dazu, eine geringere Exposition gegenüber beruflichen Schadstoffen zu haben, wodurch die Identifizierung einer berufsbedingten ILD erschwert wird. Außerdem zeigen Frauen oft atypische Symptome, die nicht sofort auf eine ILD hindeuten, was zu Verzögerungen in der Diagnose führen kann. Männer präsentieren sich häufiger mit den klassischen Symptomen wie chronischem Husten und Atemnot, was eine frühere Erkennung ermöglichen kann.25, 26 Therapeutisch gesehen gibt es derzeit noch sehr wenige bis keine Hinweise darauf, dass Männer und Frauen unterschiedlich auf Behandlungen ansprechen.
Die geschlechterspezifischen Unterschiede müssen in der Epidemiologie und Diagnose der ILD sorgfältig berücksichtigt werden, um eine optimierte und individualisierte Patientenversorgung zu gewährleisten. Dies beinhaltet die Notwendigkeit, geschlechterspezifische Forschungsansätze zu fördern und Diagnosepfade entsprechend anzupassen.
Geschlechterspezifische Unterschiede in der Pneumologie erfordern eine differenzierte Betrachtung und maßgeschneiderte Ansätze in Diagnose und Therapie. Hormonschwankungen beeinflussen oft den Verlauf von Asthma bronchiale und COPD. Zudem sind Frauen anfälliger für die negativen Effekte des Rauchens und entwickeln häufiger Lungenkarzinome, selbst bei geringerer Exposition. Frauen zeigen oft abweichende Symptome, die zu Verzögerungen in der Diagnosestellung führen können. Diese Unterschiede erfordern geschlechterspezifische Diagnostik- und Therapieansätze, um die Behandlung und Prognose zu verbessern. Die Integration hormoneller und genetischer Faktoren in die Behandlung könnte neue therapeutische Möglichkeiten eröffnen. Ein besseres Verständnis und die Berücksichtigung geschlechterspezifischer Unterschiede können zu effektiveren Behandlungsstrategien und einer inklusiveren medizinischen Praxis führen.