Fallbericht: Geriatrische Traumata

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Fallbericht:

Ein 78-jähriger Mann wird mit Brustschmerzen und Kurzatmigkeit in den Schockraum eingeliefert, nachdem er als angeschnallter Fahrer in einen Autounfall verwickelt war, bei dem die Airbags ausgelöst wurden. Die Brustschmerzen sind linksseitig und atemabhängig.

Im Röntgen zeigen sich Frakturen der posterolateralen linken dritten bis siebten Rippe. Kein Pneumothorax sowie eine Schlüsselbeinfraktur links.

Basics: 

Rippenfrakturen werden am häufigsten durch stumpfe Traumata verursacht. Untere Rippenfrakturen erhöhen aufgrund ihrer Nähe das Risiko für Leber- oder Milzverletzungen. Rippenfrakturen können auch durch heftiges Husten oder Metastasen verursacht werden, die pathologische Frakturen verursachen. Rippenfrakturen bei Kindern sind häufig auf nicht-unfallbedingte Traumata zurückzuführen, da Rippen bei Kindern flexibler sind und mehr Kraft erforderlich ist, um sie zu brechen.
Viele Patienten mit Rippenfrakturen kommen nach einem Sturz, einem Verkehrsunfall oder einem anderen stumpfen Trauma mit Brustwandschmerzen, die typischerweise atemabhängig sind

Bei der körperlichen Untersuchung kann die Atmung bei starken Schmerzen eingeschränkt sein. An der Frakturstelle besteht eine fokale Druckempfindlichkeit und möglicherweise eine knöcherne Krepitation, wenn die Knochenkanten aneinander reiben. Es können Hämatome oder andere sichtbare Anzeichen eines Traumas vorhanden sein oder auch nicht.

Andere Anzeichen bei der körperlichen Untersuchung wie verminderte Atemgeräusche (Pneumothorax) oder eine stumpfe Perkussion (Hämatothorax) deuten auf Verletzungen hin, die über Rippenbrüche hinausgehen. Schmerzen entlang des Rippenbogens können auch auf eine Leber- oder Milzverletzung zurückzuführen sein. Daher sollte man vorsichtig sein, Schmerzen entlang des Rippenbogens ausschließlich auf Rippenbrüche zurückzuführen.

Bei der Untersuchung auf Rippenfrakturen ist die Röntgenaufnahme des Brustkorbs die erste Wahl. Die Empfindlichkeit ist jedoch insgesamt gering, und bei Röntgenaufnahmen können bis zu 50 % der Rippenfrakturen übersehen werden. Die Hauptaufgabe der Röntgenaufnahme des Brustkorbs besteht darin, damit verbundene, schwerwiegendere Verletzungen wie Pneumothorax und Hämatothorax auszuschließen. Die Anordnung dedizierter Röntgenaufnahmen der Rippen erhöht die Empfindlichkeit auf Kosten einer umfassenderen Bildgebung.

Diagnostik:

Rippenfrakturen können durch Ultraschall nachgewiesen werden, und Ultraschall ist nachweislich besser als Röntgenaufnahmen des Brustkorbs. Ultraschall kann auch bei der Erkennung von Komplikationen bei Rippenfrakturen wie Pneumothorax oder Hämothorax nützlich sein. Ultraschall ist jedoch bedienerabhängig und wird nicht allgemein als alleiniger bildgebender Test bei der Beurteilung von traumatischen Brustschmerzen akzeptiert.

Die Computertomographie eignet sich am besten zur Untersuchung auf andere Thoraxverletzungen und nicht nur zur Diagnose von Rippenfrakturen. Bei leichten Traumata ist eine Computertomographie nach einem negativen Röntgenbild des Brustkorbs selten indiziert.

Therapie:

Die meisten Rippenfrakturen werden mit Schmerzmedikamenten und Atemübungen behandelt, um eine Atelektase und eine nachfolgende Lungenentzündung zu verhindern. Patienten mit instabilem Brustkorb, unkontrollierbaren Schmerzen oder Atemstörungen (insbesondere bei einer zugrunde liegenden Herz- oder Lungenerkrankung) sollten stationär aufgenommen werden. Bei der Bestimmung der Entlassung  sind folgende Faktoren zu berücksichtigen: Alter (insbesondere > 65), Schmerzkontrolle, andere damit verbundene Verletzungen, Komorbiditäten, Funktionsstatus, Gebrechlichkeit und häusliche Unterstützung.

Patienten mit einem negativen Röntgenbild, bei denen jedoch immer noch der Verdacht auf eine Rippenfraktur besteht, können wie eine wahrscheinliche (nicht dislozierte) Rippenfraktur behandelt werden, wobei die Behandlung die gleiche ist wie bei Patienten mit einer bestätigten Rippenfraktur.

Rippenfrakturen mit einem gewissen Grad an „Pleuraerguss“ sollten genauer untersucht werden. Ein Pleuraerguss im Zusammenhang mit einer Rippenfraktur ist ein Hämatothorax, der sich wahrscheinlich verschlimmert, bis das Gegenteil bewiesen ist. Bei erheblicher Druckempfindlichkeit der Rippen und Druckempfindlichkeit des Oberbauchs sollte ein CT-Scan des Abdomens angeordnet werden, um eine Verletzung der inneren Organe auszuschließen.

CAVE: Bei Verletzungen mit Rippenfrakturen sollte die Wahrscheinlichkeit eines Hämatothorax (jeglicher Erguss oder Abflachung auf dem Röntgenbild) und Leber-/Milzverletzungen immer bedacht werden . Diese müssen ausgeschlossen werden, wenn eine massive Druckempfindlichkeit der Rippen und des Abdomens vorliegt.

Grundlagen zum Fallbericht:

Geriatrische Traumata in der Ambulanz

Hintergrund und Pathophysiologie:

  • Komorbiditäten, physiologische Veränderungen und medikamentenbedingte Effekte machen ältere Patienten anfälliger für Verletzungen durch sogenannte “Low Energy” Traumata. Verminderte Funktionsreserven verringern die Fähigkeit zur Kompensation von Verletzungen, unabhängig von deren Schweregrad.
  • Trotz Anpassungen an die Schwere der Verletzung tritt bei Personen über 70 Jahren unabhängig vom Mechanismus eine signifikant erhöhte Sterblichkeit auf, verglichen mit jüngeren Personen. ATLS und viele präklinische Leitlinien empfehlen aufgrund des Fehlens einer klaren Altersgrenze in den vorhandenen Daten/Studien ein Kriterium von über 55 Jahren für die Überweisung an ein spezialisiertes Traumazentrum.
  • Bei Patienten über 65 Jahren sind Stürze die häufigste Ursache (>75 % aller Traumata), gefolgt von Autounfällen. Stürze führen bei älteren Patienten in der Regel zu schwerwiegenden medizinischen, wirtschaftlichen und lebensqualitätsbezogenen Folgen, da sie im Vergleich zu jüngeren Patienten mehr Verletzungen aller Art erleiden.
  • 5 % der Erwachsenen im Alter von ≥65 Jahren berichten von mindestens einem Sturz im vergangenen Jahr, und 10,2 % von ihnen berichten von einer sturzbedingten Verletzung. Mehr als ein Drittel der geriatrischen Traumapatienten, die nach einem Sturz in die Notaufnahme kommen, kehren innerhalb eines Jahres nach der Erstuntersuchung in die Notaufnahme zurück oder sterben.
  • Ältere Patienten, die nur 8–12 % der gesamten Notaufnahme-Fälle mit schweren Traumata ausmachen, stellen einen unverhältnismäßig hohen Anteil von 15–30 % der Todesfälle und Kosten bei Traumata dar.
  • Im Vergleich zu Krankenhausaufenthalten aufgrund anderer Erkrankungen führen Krankenhausaufenthalte aufgrund von Stürzen, die zu einer Hüftfraktur oder anderen Verletzungen führen, zu schlechteren Ergebnissen und einer höheren Wahrscheinlichkeit der Einweisung in ein Pflegeheim.

Beurteilung und Erstuntersuchung: Was ist anders?

  • Geriatrische Traumata werden aufgrund traditioneller Triage-Instrumente, die für Anzeichen von Verletzungen bei älteren Patienten unempfindlich sind (Vitalparameter, Verletzungsmechanismen, ACTLS-Kriterien), stark untertriageiert. Mehrere Studien empfehlen die Aktivierung von Traumateams für alle Traumapatienten ≥ 70 Jahre, unabhängig von Verletzungsmechanismus/Vitalparametern, aufgrund der physiologisch abgestumpften Reaktionen auf Hypoxie, Hyperkarbie und Azidose.
  • Anamnese und körperliche Untersuchungen bei geriatrischen Traumapatienten sind im Vergleich zu jüngeren Patienten weniger verletzungssensibel
  • Traumatische Hirnverletzungen sind bei älteren Erwachsenen häufig, können bei minimalem Kopftrauma auftreten und können asymptomatisch sein.
  • Im Brustkorb besteht ein höheres Risiko für Brustbein- und Rippenfrakturen, Lungenkontusionen und Pneumothorax sowie ein erhöhtes Risiko für Lungenentzündung.
  • Im Bauchraum ist eine frühzeitige Diagnose und engmaschige Überwachung das Ziel, da die Untersuchung unzuverlässig sein kann. Die FAST-Sonographie sollte Teil der Erstuntersuchung sein, mit einer niedrigen Schwelle für eine erweiterte Bildgebung.
  • Extremitätenfrakturen sind aufgrund von Osteopenie häufiger.
  • Wirbelkörperfrakturen/Rückenmarksverletzungen (SCI): Frakturen der Halswirbelsäule können durch scheinbar geringfügige Mechanismen (einschließlich Stürze aus dem Stand) verursacht werden. Durch altersbedingte Veränderungen an den Wirbeln, den Bandscheiben und dem Wirbelkanal besteht bei älteren Erwachsenen ein höheres Risiko für Frakturen, was zu einer höheren Wahrscheinlichkeit von Rückenmarksverletzungen führt. Es wird empfohlen, CT-Untersuchungen großzügig einzusetzen.

Erst- und Zweituntersuchung:

Die Untersuchung auf Traumata bei allen geriatrischen Traumata sollte Folgendes umfassen:

Erstuntersuchung

  • Atemwege/Atmung: Sollte eine Intubation erforderlich sein, muss die Dosis der Induktionsmedikamente möglicherweise um ca. 30–50 % reduziert werden, um das Risiko einer kardiovaskulären Depression in dieser Altersgruppe zu minimieren.
  • Kreislauf: Die Erkennung eines Schocks kann schwieriger sein, da ältere Patienten einen „normalen“ Blutdruck aufweisen können, der in Wirklichkeit eine relative Hypotonie darstellt. Die Sterblichkeit bei geriatrischen Traumata steigt, wenn die Herzfrequenz über 90/min ansteigt, während derselbe Anstieg bei jüngeren Patienten erst bei einer Herzfrequenz von 130/min erkennbar ist. Andere Anzeichen auswerten: Geisteszustand, Rekapillarisierungszeit, Tachypnoe und Urinausstoß. Zusätzliche Untersuchungen sollten einen okkulten Schock (z. B. VBG, Laktat, Basendefizit) ausschließen.
  • Der GCS ist bei geriatrischen Patienten ein weniger sensitiver Indikator.

Zweite Untersuchung:

  • Alle geriatrischen Traumapatienten sollten unabhängig vom Mechanismus/den Vitalwerten sorgfältig von Kopf bis Fuß untersucht werden.
  • Dauer-Medikation, die die Erstuntersuchung und die weitere Versorgung beeinträchtigen können (Antikoagulanzien, Thrombozytenaggregationshemmer, Antihypertonika, Antiglykämika usw.) sollten erfasst werden

Überlegungen zur Behandlung und Entlassung:

  • Alle Patienten, die nach einem Sturz eingeliefert werden, benötigen eine vollständige Traumabewertung, zusätzlich zur Bewertung potenzieller Auslöser/Ursachen des Sturzes (z. B. Ohnmacht)
  • Eine erhöhte Inzidenz von intrakraniellen Blutungen und Halswirbelverletzungen, selbst in leichten Fällen, sollte zu einer großzügigen Anwendung von CT-Scans führen.
  • Geriatrische Traumapatienten benötigen im Vergleich zu jüngeren Patienten mit den gleichen Verletzungen mehr Ressourcen auf der Intensivstation, sowohl unmittelbar als auch später.
  • Im Rahmen der Entlassungsplanung sollten frühzeitig ambulante Bedürfnisse, Hilfsmittel, Physiotherapie/Ergotherapie, Schmerzkontrollstrategien und Pflegekoordination berücksichtigt werden.

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Redaktion: Dr. Arastoo Nia