Beyond Digital Pathology

Pathologie ist ein sehr altes Fach, das sich durch technologische Innovationen ständig weiterentwickelt hat. So reichen die Ursprünge der Pathologie bis zu den alten Zivilisationen Ägyptens und Griechenlands zurück. Pioniere wie Hippokrates und Galen legten den Grundstein, indem sie Krankheitssymptome beobachteten und dokumentierten. Während des Mittelalters war die Pathologie aufgrund religiöser und kultureller Tabus gegen Sektionen stark eingeschränkt; im 16. Jahrhundert, während der Renaissance, wurde die Sektion menschlicher Körper mehr akzeptiert. Andreas Vesalius’ anatomische Studien lieferten detaillierte Einblicke in die menschliche Anatomie. Im 17. Jahrhundert begannen Thomas Willis und Marcello Malpighi, klinische Symptome mit postmortalen Befunden zu korrelieren.
Im 18. und 19. Jahrhundert entwickelte sich die Pathologie zu einer eigenständigen Wissenschaft. Giovanni Morgagni verknüpfte klinische Befunde systematisch mit Autopsieergebnissen und Rudolf Virchow, bekannt als Vater der Zellpathologie, postulierte, dass Krankheiten auf zellulärer Ebene entstehen. Dies legte den Grundstein für die Histopathologie, die mikroskopische Untersuchung von Geweben.
Die Entwicklung besserer Mikroskope und Färbetechniken wie die Hämatoxylin-Eosin(H&E)-Färbung ermöglichte eine detaillierte Untersuchung von Geweben. Die Einführung der Elektronenmikroskopie in den 1930er-Jahren und der Immunhistochemie in den 1940er- und 1950er-Jahren revolutionierte die Diagnosemöglichkeiten weiter. Im späten 20. Jahrhundert begann auch die digitale Ära der Pathologie.
In den 1980er-und 1990er-Jahren begannen Computer bei der Analyse pathologischer Bilder zu helfen. Bildanalysesoftware verbesserte die Genauigkeit und Effizienz von Diagnosen, und Scanner ermöglichten die Digitalisierung ganzer histologischer Präparate, sogenannter Whole Slide Images (WSI). Damit wurde der Grundstein für die Telepathologie und die algorithmische Unterstützung in der Bildanalyse gelegt.
Mit dem Einsatz von „Deep Learning“ und der enormen Rechenleistung moderner GPUs (Graphics Processing Units)befinden wir uns heute an der Schwelle einer neuen Ära in der Pathologie: der digitalen Unterstützung und Integration von Algorithmen. Whole-Slide-Scanner werden schon seit einiger Zeit in der Forschung und Telepathologie eingesetzt. Fortschritte in Speicher- und Verarbeitungstechnologien ermöglichen es nun, dass jeder Objektträger im Befundungsprozess gescannt wird. Einige Institutionen haben ihre Abläufe bereits vollständig auf digitale Befundung umgestellt und es ist sicher, dass viele weitere in den kommenden Jahren folgen werden.

Deep Learning: Deep Learning ist eine spezielle Methode des maschinellen Lernens, die neuronale Netzwerke mit vielen Schichten nutzt, um große Mengen an Daten zu verarbeiten und Muster zu erkennen. In der Pathologie ermöglicht Deep Learning die automatische Erkennung und Klassifizierung von Gewebeproben, was zu präziseren und schnelleren Diagnosen führt.

GPUs (Graphics Processing Units): GPUs bieten eine immense Rechenkapazität, die für die Verarbeitung großer Datenmengen und komplexer Algorithmen erforderlich ist. Ihre parallelen Rechenfähigkeiten machen sie ideal für Deep Learning. In der Pathologie können GPUs die riesigen Bilddatenmengen, die von Whole-Slide-Scannern erzeugt werden, effizient verarbeiten und analysieren. Insgesamt hat die Rechenleistung von GPUs von wenigen Megaflops in den 1980er-Jahren auf Hunderte von Teraflops heute zugenommen, was einem millionenfachen Anstieg entspricht. Diese beeindruckende Steigerung hat es ermöglicht, Anwendungen wie Deep Learning zu realisieren, die große Datenmengen und komplexe Berechnungen erfordern.
Ein Megaflop ist eine Maßeinheit für die Rechenleistung eines Computers und steht für eine Million Gleitkommaoperationen pro Sekunde (Floating Point Operations Per Second – FLOPS). Gleitkommaoperationen sind mathematische Berechnungen mit Dezimalzahlen, die besonders wichtig für wissenschaftliche Berechnungen, Simulationen und andere rechenintensive Aufgaben sind.
Der vorliegende Artikel bietet aus der Perspektive eines Informationswissenschafters einen Einblick in zukünftige Technologien und deren Potenzial, den nächsten technologischen Impuls und Wandel in der Pathologie zu ermöglichen. Bitte beachten Sie, dass es sich hierbei nicht um pathologische oder medizinische Expertise handelt, sondern vielmehr darum, wie Technologie als Ermöglicher wirken kann.

Digitale Pathologie im 21. Jahrhundert

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts erleben wir einen bedeutenden Wandel hin zur digitalen Pathologie. Während Scanner bereits seit Langem in der Forschung und der Telepathologie eingesetzt werden, ist es heute möglich, jeden Objektträger mühelos zu scannen. Diese Fähigkeit, kombiniert mit den neuen Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens, revolutioniert die Prozesse in der Pathologie erheblich. In den letzten Jahren hat sich die digitale Pathologie als bahnbrechende Technologie etabliert, welche die Art und Weise, wie pathologische Diagnosen gestellt werden, grundlegend verändert. Hier die wichtigsten Entwicklungen und Anwendungen, die derzeit in der digitalen Pathologie genutzt werden:

Digitale Bildgebung: Der Kern der digitalen Pathologie liegt in der Umwandlung physischer Gewebepräparate in hochauflösende digitale Bilder. Diese digitalen Bilder ermöglichen eine detaillierte Untersuchung der Gewebestrukturen am Computerbildschirm. Die Digitalisierung erleichtert Pathologen:innen die effiziente Archivierung und den schnellen Zugriff auf Proben, was die Arbeitsprozesse erheblich verbessert. Fortschritte in der Scan-Technologie ermöglichen das vollständige Digitalisieren von Objektträgern – Whole Slide Images –, was eine präzisere Analyse und Speicherung großer Mengen an Bilddaten erlaubt.

Künstliche Intelligenz (KI): Moderne KI-Algorithmen analysieren digitale Bilder und erkennen Muster, die für das menschliche Auge schwer zu identifizieren sind. Diese Algorithmen können Anomalien wie Krebszellen aufspüren und bieten eine zusätzliche Meinung zur Unterstützung der Pathologen:innen. Dadurch werden die Genauigkeit und die Effizienz der Diagnosen erheblich gesteigert.

Telepathologie: Die Digitalisierung ermöglicht die weltweite Teilung und Analyse von Gewebeproben. Patholog:innen können aus der Ferne auf Proben zugreifen und so Expertenmeinungen einholen, unabhängig vom Standort der Proben. Dies ist besonders nützlich in Regionen mit einem Mangel an spezialisierten Patholog:innen und trägt zur Verbesserung der Diagnostik bei.

Workflow-Integration: Die Integration der digitalen Pathologie in klinische Workflows hat die Effizienz der Diagnostik weiter verbessert. Digitale Laborinformationssysteme und elektronische Gesundheitsakten ermöglichen einen nahtlosen Übergang von der Probenentnahme zur Diagnosestellung. Automatisierte Systeme werden in Zukunft Patholog:innen bei der Diagnose unterstützen, indem sie auf der Basis von Daten und Algorithmen präzise Vorhersagen treffen und somit die Effizienz und Genauigkeit erhöhen.

Was kommt technologisch nach der digitalen Pathologie?

Während die digitale Pathologie bereits bemerkenswerte Fortschritte gemacht hat, steht die nächste Generation von Technologien schon in den Startlöchern, um das Feld weiter zu revolutionieren. Hier einige der spannendsten Entwicklungen, welche die Zukunft der digitalen Pathologie prägen könnten:

Hochdimensionale Histologie

Mit den neuen Technologien könnten wir das „Flatland“ der histologischen Schnitte verlassen. Dies könnte sowohl in der räumlichen Dimension geschehen – durch den Übergang von 2-D- zu 3-D-mikroskopischen Darstellungen von Gewebe – als auch auf der Ebene der einzelnen Pixel durch eine multispektrale und multiplexe Zelllevel-Biomarkeranalyse. Diese Fortschritte könnten eine detailliertere und umfassendere Untersuchung von Gewebeproben ermöglichen, die weit über die traditionellen Methoden hinausginge.
Beispielsweise ermöglicht die Mikro-CT-Technologie die dreidimensionale Abbildung von Gewebestrukturen. Patholog:innen könnten dadurch das Gewebe in seiner vollständigen räumlichen Ausdehnung betrachten, was eine präzisere Analyse von Tumorgrenzen und deren Ausbreitung erlauben würde. Ein weiteres Beispiel ist die hochmultiplexe Gewebeabbildung, bei der mehrere Biomarker gleichzeitig auf zellulärer Ebene visualisiert werden könnten. Diese Technik könnte eine tiefere Einsicht in die komplexen Interaktionen zwischen Zellen innerhalb des Gewebes bieten.

(Generative) Künstliche Intelligenz

Generative KI und Large Language Models (LLMs) werden nicht nur die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine revolutionieren, sondern auch als Qualitätssicherheitsnetz und „Co-Pilot“ fungieren können. Algorithmen können statistische Abweichungen erkennen und als virtuelles, standortunabhängiges Netzwerk agieren, indem sie die richtigen Expert:innen miteinander verbinden. Der Einsatz dieser Technologie variiert jedoch je nach Komplexität eines Falles. Es lassen sich drei grundlegende Kategorien unterscheiden:

Routinefälle: Diese werden mit algorithmischer Unterstützung optimiert. Algorithmen steigern die Effizienz, indem sie Aufgaben wie die Vorsortierung übernehmen und ein algorithmisches Sicherheitsnetz bieten. Dies entlastet Patholog:innen und ermöglicht eine schnellere Bearbeitung von Routineaufgaben.

Herausfordernde Fälle: Diese werden durch die Kombination menschlicher und algorithmischer Expertise gelöst. Die KI fungiert hierbei als unterstützendes Element, während die endgültige Entscheidung immer bei den Patholog:innen liegt. Jede Lösung eines herausfordernden Falles generiert neues Wissen, das in das Training zukünftiger Unterstützungssysteme einfließt und so die Algorithmen kontinuierlich verbessert.

Komplexe Fälle: Diese erfordern die Zusammenarbeit globaler medizinischer und algorithmischer Expert:innen. In solchen Fällen dient die KI als Vermittler und vernetzt die richtigen Personen weltweit miteinander, um gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Dadurch wird die globale Expertise effizient genutzt und komplexe Fälle können besser und schneller gelöst werden.

Augmented Pathology

Augmented Reality (AR) und Human-AI-Interfaces erweitern die Fähigkeiten der Patholog:innen. AR-Technologien können digitale Informationen direkt in das Sichtfeld der Patholog:innen projizieren, während sie Gewebeproben analysieren. Diese Overlays enthalten zusätzliche Daten, Annotationen und diagnostische Hinweise, die die Entscheidungsfindung unterstützen.
Human-AI-Interfaces ermöglichen eine nahtlose Interaktion zwischen Patholog:innen und KI-Systemen, was die Effizienz und Genauigkeit weiter erhöht. Durch die Integration von Daten aus verschiedenen Quellen, einschließlich genomischer, proteomischer und klinischer Daten, können umfassendere und personalisierte Diagnosen erstellt werden.
Die erste Generation von Benutzerschnittstellen orientiert sich noch am digitalisierten Objektträger. In Zukunft erwarten wir, dass die Darstellung und die Benutzerinteraktion hauptsächlich auf digitalen Schnitten sowie logisch und räumlich verbundenen Schnitten basieren, unabhängig davon, wie diese auf Objektträger verteilt sind. Darüber hinaus erwarten wir die Integration weiterer Datenquellen wie molekulare Marker und algorithmische Vorschläge in eine gemeinsame Benutzerschnittstelle, wobei ein algorithmischer Co-Pilot den Patholog:innen als Assistent zur Verfügung steht.
Insbesondere die Konzepte HITL (Human in the Loop) und AITL (Algorithm in the Loop) verdeutlichen, wie wichtig eine sorgfältig gestaltete Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine ist. Bei HITL fordert der Algorithmus aktiv die Eingabe und Entscheidung menschlicher Expert:innen ein, um die Analyse zu bestätigen oder zu verfeinern. Dies gewährleistet, dass das wertvolle Wissen und die Erfahrung der Patholog:innen optimal genutzt werden, während die Algorithmen als unterstützende Werkzeuge fungieren.
Auf der anderen Seite erlaubt AITL den Algorithmen, Routineaufgaben und Voranalysen zu übernehmen, was die Effizienz erheblich steigert. Die Algorithmen können große Mengen an histologischen Bildern analysieren, potenzielle Anomalien markieren und diese Ergebnisse den Patholog:innen zur weiteren Überprüfung vorlegen. Diese Interaktion zwischen Mensch und Maschine wird durch intuitive Benutzeroberflächen erleichtert, die den Patholog:innen ermöglichen, nahtlos zwischen automatisierten Vorschlägen und ihrer eigenen Analyse zu wechseln. Dabei profitieren beide Seiten: Algorithmen lernen und verbessern sich kontinuierlich durch das Feedback der Patholog:innen, während die Patholog:innen durch die Voranalysen der Algorithmen entlastet werden.
Effiziente Benutzeroberflächen in der digitalen Pathologie müssen daher sowohl die Stärken des menschlichen Urteilsvermögens als auch die Fähigkeiten der Algorithmen berücksichtigen. Sie sollten so gestaltet sein, dass sie eine klare und intuitive Darstellung der Daten bieten, die Integration von Ergebnissen aus verschiedenen Quellen ermöglichen und eine einfache Interaktion zwischen Patholog:innen und Algorithmen fördern. Durch diese sorgfältige Gestaltung kann die digitale Pathologie ihr volles Potenzial entfalten und sowohl die Genauigkeit als auch die Geschwindigkeit der Diagnosen erheblich verbessern.

Praktische Anwendungen und Herausforderungen

Während die technologischen Fortschritte viele Vorteile bieten, gibt es auch praktische Herausforderungen, die bewältigt werden müssen: Der Schutz sensibler Patientendaten ist von größter Bedeutung, weshalb strenge Datenschutzrichtlinien und Sicherheitsmaßnahmen implementiert werden müssen, um die Vertraulichkeit und Integrität der Daten zu gewährleisten, wenn diese von Algorithmen in einer Cloud-Umgebung bearbeitet werden.
Die Standardisierung von Datenformaten und Bildgebungsverfahren ist notwendig, um eine reibungslose Integration und Interoperabilität zwischen verschiedenen Systemen und Einrichtungen zu ermöglichen. Zudem erfordert die Einführung neuer Technologien eine Anpassung bestehender klinischer Workflows. Schulungen und Trainingsprogramme sind essenziell, um sicherzustellen, dass das medizinische Personal die neuen Technologien auch effektiv nutzen kann.

Fazit

In den nächsten 50 Jahren könnten Patholog:innen statt des Mikroskops VR- und AR-Brillen verwenden, und maschinelle Intelligenz wird möglicherweise zu einem unverzichtbaren Partner für Patholog:innen werden. Wie genau diese Technologien die Zukunft gestalten werden, bleibt spannend – eine aufregende Zeit steht uns bevor.