Wann besteht Handlungsbedarf?

Eine intermittierende Harninkontinenz nach Ausschluss organischer Ursachen ab einem Alter von ≥ 5 Jahren wird als Enuresis (nocturna) im Schlaf – also auch beim Mittagsschlaf – und/oder als nichtorganische (funktionelle) Harninkontinenz (am Tage) bezeichnet. Als Störung soll die Enuresis erst dann bezeichnet werden, wenn sie mindestens einmal pro Monat über eine Dauer von 3 Monaten aufgetreten ist. Bei der Enuresis werden 4 Formen (Abb.) unterschieden – je nachdem, ob Symptome einer Blasendysfunktion vorliegen oder nicht und je nach Länge des längsten trockenen Intervalls (primär bzw. sekundär, wenn das Kind schon einmal ≥ 6 Monate trocken war).

Epidemiologie

Die Prävalenz der Enuresis im Alter von 7 Jahren liegt zwischen 7 und 13 %, Buben sind doppelt so häufig betroffen. Etwa 25 % der Kinder zeigen sekundäre Enuresis. Monosymptomatische Enuresis macht 2 Drittel der Fälle aus. Im Alter von 10 Jahren nässen noch etwa 5 % der Kinder nachts ein, im Alter von 16–17 Jahren sinkt die Prävalenz auf 0,5–1,1%. Die Spontanremissionsrate liegt bei etwa 15%/Jahr. Von einer gemischten Enuresis und Inkontinenz tagsüber sind Mädchen häufiger betroffen.

Diagnostik

Zur Basisdiagnostik gehören Anamnese und Miktionsprotokoll, Suche nach psychischen Symptomen, Harn- und körperliche Untersuchung (Phimose, Wirbelsäule, Adenoide) sowie Sonografie der Niere, Blase und des Rektums mit Restharnbestimmung. Eine weiterführende Diagnostik sollte nur bei nichtmonosymptomatischer Enuresis überlegt werden.

Monosymptomatische Enuresis:

unbeabsichtigte, meist vollständige Blasenentleerung während des Schlafes, wobei die Blasenfunktion in Füllungs- und Entleerungsphase normal ist. Burschen sind häufiger betroffen (etwa 60 : 40 %). Wenn ein Elternteil Enuretiker:in war, liegt die Wahrscheinlichkeit des Kindes bei 44 %, sind beide Eltern betroffen, steigt sie auf bis zu 77 %.

Nichtmonosymptomatische Enuresis

Hier finden sich neben dem nächtlichen Einnässen auch tagsüber Symptome der Blasenentleerungsstörung (überaktive Blase, Pollakisurie, kleine Blasenkapazität, Drang etc.). Falls das Kind tags und nachts einnässt, erhält es in diesen Fällen 2 Diagnosen: „Inkontinenz am Tage“ und „Enuresis“. Es kann sich auch um einen habituellen Miktionsaufschub handeln. Wenn Kinder tagsüber zu wenig trinken, kann es trotz zu geringer Blasenkapazität und/oder Drangsymptomatik sein, dass die Miktionsfrequenz tagsüber normal erscheint.

Therapie

Zuerst erfolgen allgemeine Empfehlungen, Toilettentraining und Urotherapie. Obstipation muss immer zuerst behandelt werden. Manifeste klinische psychische Störungen (ADHS) sollten zusätzlich therapiert werden. Liegt die nichtmonosymptomatische Form vor, muss auch in diesen Fällen zuerst die Tagessymptomatik behandelt werden. Zuletzt wird die Enuresis nocturna behandelt. Die allgemeine Urotherapie beinhaltet Instruktionen zum optimalen Miktionsverhalten mit rascher Entleerung der Harnblase (möglichst entspannt im Sitzen, warme, einladende, saubere Toilette „ohne Monster“) sowie zum Trink- und Ernährungsverhalten (7 Becher à 150–200 ml trinken, möglichst zuletzt 2Stunden vor dem Schlafengehen). Weitere Inhalte sind die Dokumentation von Symptomatik und Miktionsverhalten (5–7-mal täglich) sowie regelmäßige Betreuung und Unterstützung.

Apparative Verhaltenstherapie (AVT)

Weckapparat mit Klingelton/Vibration, bedarf bei motivierten Familien eine 2–3-monatige tägliche Anwendung. Tritt nach 6–8 Wochen Behandlung keine Besserung ein, sollen zusätzliche verhaltenstherapeutische Module eingesetzt oder bei fehlender Motivation beendet werden. Der Erfolg der Therapie stellt sich bei 50–80 % der Kinder nach 8–10 Wochen ein: 2 Drittel der Kinder sind trocken und schlafen in der Nacht durch, 1 Drittel der Kinder wird rechtzeitig wach, und sie gehen zur Toilette (Nykturie).

Gabe von Desmopressin

Desmopressin ist ein synthetisches Analogon von Arginin-Vasopressin, die Einnahme erfolgt abends 30–60 Minuten vor dem Einschlafen. 30 % der Kinder sind volle, 40% partielle Responder und 30 % Non-Responder. Beginn mit Schmelztablette 120 μg, Steigerung auf 240 μg, falls nach 4Wochen kein Erfolg eintritt, absetzen. Die Maximaldauer der Anwendung beträgt 3 Monate. Desmopressin und AVT sind in ihrer Wirksamkeit gleichwertig. Der wichtigste prognostische Faktor ist die Häufigkeit der Enuresis (je häufiger das Einnässen, desto weniger wirksam die Therapie). Kinder, die 7-mal pro Woche nachts nass sind, sind am schwierigsten zu therapieren.

Anticholinerge Therapie

Bei zu kleiner Blasenkapazität (Soll-Kapazität [Alter × 30 + 30] ml) kann Oxybutynin eingesetzt werden. Als Nebenwirkung sind vor allem Obstipation und Restharnbildung sowie Mundtrockenheit zu nennen.
Enuresis ist erst ab 5 Jahren abklärungs- und therapiebedürftig. Die Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzt:innen ist essenziell. Niemand muss unbehandelt einnässen, es sollte heutzutage kein Tabuthema mehr sein.