Refundierung spezialisierter diabetologischer Leistung in der 2. Versorgungsebene

Projekt: „Integrierte Diabetes-Betreuung in der Primärmedizin (im hausärztlichen Bereich)“

Klar ist, dass in unserem österreichischen Gesundheitssystem die erste Anlaufstelle für Diagnostik und Therapie einer weit verbreiteten Zivilisationserkrankung, wie es der Diabetes mellitus Typ 2 ist, der/die Ärzt:in in der niedergelassenen allgemeinmedizinischen Praxis ist.

In der kürzlich abgeschlossenen AUSTRO-PROFIT-Studie1, die Univ.-Prof. Dr. Harald Sourij von der Medizinischen Universität Graz in Kooperation mit der Österreichischen Diabetes Gesellschaft federführend durchgeführt hat, konnte einerseits gezeigt werden, dass es doch eine relevante Anzahl undiagnostizierter Menschen mit Glukosetoleranzstörung im Primärversorgungsbereich gibt, und andererseits, dass eine optimale Stoffwechselkontrolle des Diabetes mellitus und das Management multipler Risikofaktoren im hausärztlichen Alltag eine Herausforderung bleiben.

Die Implementierung des Disease-Management-Programms (DMP) „Therapie Aktiv“ vor ca. 20 Jahren hat zwar wichtige Aufklärungs- und Unterstützungsarbeit bei der therapeutischen Führung von Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 geleistet, scheint jedoch im derzeitigen Format nicht mehr „zukunftsfit“. Ein Hauptgrund dafür liegt meiner Meinung nach darin, dass – obwohl prinzipiell als Programmziel formuliert – keine flächendeckende diätologische Unterweisung und Diabetesschulung auch für die in das Programm eingeschriebenen Patient:innen garantiert waren.
Selbst engagierte Ärzt:innen in Einzelordinationen können diese doch zeitaufwändigen Schulungsangebote oft nicht allein leisten, da dafür in optimaler Weise ein interdisziplinärer Therapieansatz (gemeinsam mit einer Diabetesschulungsperson und einem/einer Diätolog:in) erforderlich ist. Zudem ist klar festzuhalten, dass eine extramurale Diabetesschulung bzw. extramural erbrachte diätologische Leistung derzeit nicht von den zuständigen Gesundheits- bzw. Krankenkassen abgegolten werden (was meiner Ansicht nach ein unhaltbarer Zustand ist).

Bezüglich des noch laufenden DMP-Programms Therapie Aktiv (1.0) setzten einzelne Bundesländer bzw. Regionen eigenständige Schulungsinitiativen, in denen ambulante Schulungsteams regional nach Terminvereinbarung Gruppen- und auch Einzelschulungen durchführen, wobei die Kosten dafür von den Bundesländern übernommen wurden (auch z. B. in Salzburg).

Neue Möglichkeiten bezüglich Patientenschulung ergaben sich in neu etablierten Primärversorgungszentren (PVZs) im allgemeinmedizinischen Bereich, in dem über die Sozialversicherung zusätzliche diätologische Stellen sowie Positionen für Gesundheits- und Krankenpflegepersonen finanziert wurden, die spezifische Schulungsleistungen für Patient:innen des eigenen PVZ übernehmen können. Meines Wissens nach sind diese Leistungen aber nicht einzeln abrechenbar und können somit außerhalb von PVZs nicht erbracht werden.

Ein weiteres Thema bei Therapie Aktiv (1.0) stellt die prinzipielle Freiwilligkeit bezüglich der Beteiligung sowohl von Seiten der anbietenden Ärzt:innen als auch der teilnehmenden Patient:innen dar. Dies bedarf einer proaktiven Haltung der Ärzteschaft und eines freiwilligen Opt-in der Patient:innen. Dies mag auch der Grund dafür sein, dass nach jahrelanger Laufdauer maximal 20 % bis 25% der in Frage kommenden Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 in das DMP-Programm Diabetes eingeschrieben sind.

Derzeit gibt es eine neue Initiative von Seiten des Gesundheitsministeriums, die sich die Verwirklichung des Projektes „Integrierte Versorgung Diabetes mellitus Typ 2“ in der Allgemeinmedizin in den nächsten Jahren zum Ziel gesetzt hat.

Weiters soll auch die Digitalisierung von Gesundheitsdaten und medizinischen Dienstleistungen ein Rückgrat dieser Initiative sein. So ist angedacht, dass bei digitaler Ersterfassung der Diagnose Diabetes mellitus Typ 2, die in Zukunft lt. Gesetzesentwurf auch im niedergelassenen Bereich kodiert werden muss, ein präformierter „Behandlungspfad“ vorgeschlagen wird, der für die Patient:innen mit Diabetes mellitus entsprechende „Checks“ bezüglich organspezifischer Komplikationen, konkrete Schulungsprogramme und regelmäßige Kontrolluntersuchungen hinsichtlich Stoffwechselkontrolle und multipler Risikofaktoren vorsieht. Natürlich ist ein Opt-out durch den/die Patient:in möglich, da in Österreich keine vorgeschriebene („Zwangs“-)Behandlung gesetzlich möglich und auch nicht gewünscht ist.

Meiner Meinung nach ist es absolut erforderlich, diese Initiative des Gesundheitsministeriums mit der sich in Planung befindlichen Neuaufstellung der integrierten Diabetesversorgung (DMP „Therapie Aktiv – Diabetes im Griff“) der Österreichischen Gesundheitskasse zu verknüpfen, da sowohl die Organisation der vorgesehenen interdisziplinären Prozessabläufe als auch die digitale Dokumentation und kassenärztliche Refundierung der entsprechenden Leistungen nicht voneinander getrennt funktionieren werden. Ein unkoordiniertes „Nebeneinander“ dieser breit angelegten Programme in der allgemeinmedizinischen Versorgung kann meiner Wahrnehmung nach nicht der Projektzweck sein, da der gemeinsame und koordinierte Fokus bei dem/der betreuten Patient:in liegen muss.

Als Optimist:in könnte man aber auch meinen, dass diese geschilderte Situation derzeit eine „Jahrhundertchance“ darstellt, um tatsächlich eine integrierte „zukunftsfitte“ Diabetesbetreuung in der niedergelassenen Praxis flächendeckend zu realisieren – aber nur, wenn alle beteiligten Verantwortungsträger:innen und Projektpartner:innen im Sinne des Patientenwohls an einem Strang ziehen (wollen!).

Eine „zweite kassenärztliche Versorgungsebene“ spezialisierter diabetologischer Leistungen ist unbedingt erforderlich!

Selbst wenn der oben skizzierte Traum Wirklichkeit würde, blieben noch essenzielle Probleme unbearbeitet. Wie der Name „primärmedizinische Versorgung“ auch ausdrückt, stehen hier spezialisierte und aufwändige diabetologische Interventionen und Therapien nicht im Fokus. Als Beispiele für solche spezialisierten Leistungen sind einige davon im Kasten gelistet. Für diese gibt es in der derzeit geltenden Tarifordnung der Österreichischen Gesundheitskassen keine Refundierung im niedergelassenen fachärztlich-internistischen Bereich. Darum werden diese Leistungen extramural auch in erster Linie im privatmedizinischen bzw. wahlärztlichen Segment angeboten oder (wenn überhaupt) im kassenärztlich-internistischen Bereich durch diagnostische Leistungen, wie EKG, Ergometrie und Ultraschalluntersuchungen „querfinanziert“ oder gestützt, da sonst der zeitliche Aufwand für diabetologische Beratung und Betreuung nicht honorarmäßig abgedeckt wird.

Will man nun in Zukunft tatsächlich ernsthaft eine flächendeckende integrierte Versorgung für Menschen mit Diabetes mellitus anbieten, so ist auch in der zweiten Versorgungsebene ein entsprechend qualifiziertes Therapieangebot kassenärztlich zu gewährleisten. Unstrittig besteht dieses derzeit für Leistungen des kardiovaskulär medizinischen Bereiches sowie des Bereiches Gastroenterologie mit entsprechenden endoskopischen Eingriffen, in erster Linie apparativ-diagnostische Leistungen betreffend.

In der letzten Honorarregelung vom 1. Jänner 2023 bis 31. Dezember 2024, veröffentlicht im Juli 2024, findet sich unter Position Ziffer 636 der Leistungspunkt „Schilddrüsensonographie und Nebenschilddrüse“. Die Verrechenbarkeit dieser Leistung ist mit 10 % der Fälle pro Quartal, bei Vertragsfachärzt:innen mit Additivfach Endokrinologie mit 12 % der Fälle pro Quartal limitiert. Die Schilddrüsensonografie wird nur bei jenen Vertragsfachärzt:innen für Innere Medizin honoriert, die über einen entsprechenden Ausbildungsnachweis verfügen und von der Kassa einvernehmlich mit der Kammer zur Verrechnung dieser Leistung ermächtigt wurden. Die Geräteausstattung ist der Kassa zu melden (Tarif: 35,254 Punkte).

Meines Wissens nach sind nur sehr wenige Additivfachärzt:innen für Endokrinologie in der niedergelassenen kassenärztlichen Praxis tätig, wobei jene ihr Honorar prinzipiell mit klassischen internistischen Diagnoseleistungen erwirtschaften. Die oben angegebene Ultraschalluntersuchung der Schilddrüse und Nebenschilddrüse wird dabei keinen existenziellen Beitrag leisten können.

Bezogen auf spezialisierte diabetologische Leistungen, wie im Kasten angeführt, gäbe es zur österreichweit flächendeckenden Versorgung auch zu wenige Fachärzt:innen bzw. Additivfachärzt:innen für Endokrinologie. Es müsste daher im kassenärztlichen Bereich in Ergänzung zu diesen eine erweiterte Qualifikation hinsichtlich spezifischer diabetologischer Leistungen zur Abrechnung für andere internistische Fachbereiche, in erster Linie für Allgemeininternist:innen, geschaffen werden, um auch für diese eine Abrechnung spezialisierter diabetologischer Leistungen zu gewährleisten. Für die Entwicklung entsprechender Schulungscurricula und Evaluierung für Diplomerstellung bietet sich die Österreichische Diabetes Gesellschaft als verlässlicher Partner der jeweiligen Ärztekammern und Sozialversicherungen in Österreich gerne an.

Sollte die Etablierung und Finanzierung einer zweiten Versorgungsebene spezialisierter diabetologischer Leistungen nicht parallel zum Aufbau einer integrierten Diabetesversorgung im primärmedizinischen Bereich erfolgen, so werden weiterhin Diabetesspezialambulanzen der 3. Versorgungsebene (in der Regel angeschlossen an spezialisierte Krankenhausabteilungen) diese Leistungen zur Gänze übernehmen müssen, was oft zu langen Wartezeiten auf Termine bzw. zu mangelhafter Diabetesbetreuung außerhalb der Ballungszentren führen wird.

Eine flächendeckende kassenärztliche diätologisch ausgerichtete zweite Versorgungsebene ist Zukunft – angesichts der zahlreichen neuen innovativen Diabetesmedikamente und -technologien somit unabdingbar, da auch die wenigen neu entstehenden „Diabeteszentren“ im urbanen Bereich maximal 10 % bis 20 % der betroffenen Menschen mit Diabetes mellitus in Österreich erreichen können.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Peter Fasching