Offiziell wollte im Nationalratswahlkampf keine der Parteien etwas von Einsparungen im Gesundheitswesen wissen, doch in der Zwischenzeit geht genau das im System als große Angst um: Kürzungen von Budgets und Angeboten. Die EU-Kommission will über die kommenden Jahre deutliche Einsparungen von der Regierung sehen. Auch Wirtschaftsforscher:innen fordern generelle Ausgabensenkungen ein: Demnach muss die künftige Regierung zwischen 2025 und 2028 jährlich einen Betrag von etwa 2,6 Milliarden Euro einsparen. Steigende Ausgaben der Gemeinden einerseits und geringere Mittel aus dem Finanzausgleich andererseits führen zu einer Finanzierungslücke, welche die Gemeinden aus eigener Kraft nicht mehr schließen können, kritisierte zuletzt der Fiskalrat.
In der Ärztekammer und bei anderen Standesvertretungen schrillen ob solcher Debatten die Alarmglocken. Nicht zuletzt deshalb, weil man eigentlich einen Mehrbedarf im Gesundheitswesen ortet. Die 300 Millionen Euro für den niedergelassenen beziehungsweise 600 Millionen Euro für den stationären Bereich aus dem Finanzausgleich sind laut Dr.in Naghme Kamaleyan-Schmied, Vizepräsidentin der Kammer für Ärzte und Ärztinnen in Wien sowie Kurienobfrau der niedergelassenen Ärzt:innen, viel zu wenig. Sie schätzt, dass es sechs Milliarden Euro brauche – eine davon für Wien, eine weitere Milliarde für „E-Themen“.
Auch der Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), Andreas Huss, fordert zumindest eine Milliarde Euro mehr pro Jahr für die Gesundheit. „Dann sind die Dinge, die dringend notwendig sind, finanzierbar“, sagte Huss zuletzt in der ORF-Pressestunde. Konkret meint er damit unter anderem den Ausbau des niedergelassenen Bereichs, einen neuen Gesamtvertrag mit einheitlichem Leistungskatalog und den Ausbau der psychosozialen Versorgung. Die laufenden Verhandlungen über den Gesamtvertrag zwischen ÖGK und der Ärztekammer sieht Huss auf einem guten Weg. Er hoffe, dass der neue Leistungskatalog im kommenden Jahr fertig sei. Bei der Art der Zusammenarbeit und dem Leistungskatalog sei man sich weitgehend einig. „Das dickste Brett“, das es noch zu bohren gelte, sei der Honorarkatalog. Die zusätzlichen Kosten für den österreichweiten Leistungskatalog samt einheitlichem Honorarsystem konnte Huss nicht genau beziffern. Er gehe aber von einem dreistelligen Millionenbetrag pro Jahr aus.
Die Sorge nun: Wenn sich die befürchteten Einsparungen abwenden lassen, gibt es zumindest kein zusätzliches Geld – und auch das könnte die Situation im Gesundheitswesen dann massiv anspannen. „Der Gesundheitsbereich ist kein Posten wie jeder andere. Weitere Einsparungen in einem System, das ohnehin seit Jahren durch Kostendämpfungspfade ausgehungert wird, hätten fatale Konsequenzen für Generationen“, sagt OMR Dr. Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer. „Einige Baustellen der Gesundheitsversorgung müssen dringend bearbeitet werden, etwa der Mangel an Kassenverträgen, Personalknappheit in den Spitälern, oft unzumutbare Wartezeiten auf einen Termin in einer Ordination oder in einem Krankenhaus und dergleichen mehr.“ Daher müsse man hier investieren – und zwar nicht mit der Gießkanne, sondern mit Weitblick.
„Zentral wäre etwa eine verbindliche Patientenlenkung – sie würde das System sofort entlasten und die Finanzierung wieder auf gesündere Beine stellen. Denn wenn Patient:innen sofort zur für sie optimalen Versorgung gelangen, ist das nicht nur für sie besser. Wir vermeiden dadurch auch, dass Ressourcen vergeudet werden“, sagt Steinhart. Zudem müsse ein Paradigmenwechsel her: „Wenn wir verstärkt in Präventionsprogramme und die Steigerung von Gesundheitskompetenz investieren, sind das Ausgaben, die sich bezahlt machen.“
Im Wahlkampf hätten vor allem ÖVP und SPÖ mit Plänen aufhorchen lassen, Ärzt:innen zum Dienst im öffentlichen Gesundheitssystem zwingen zu wollen. „Das ist für uns eine dunkelrote Linie, nicht nur, weil solche Zwangsmaßnahmen an Ostblock-Zeiten erinnern“, unterstreicht Steinhart. Diese Überlegungen seien ein Kniefall vor dem Populismus und die völlige Selbstaufgabe politischen Gestaltungswillens. „Selbst wenn wir außer Acht lassen, dass derartige Zwangsverpflichtungen sowohl verfassungs- als auch unionsrechtswidrig wären – ist das wirklich die maximale Denktiefe, mit der man an die Probleme herangeht?“, wundert sich Steinhart.
„Wir sind als Expert:innen bereit, beratend einzusteigen“, richtet Ärztekammer-Vizepräsident Dr. Edgar Wutscher an die Teilnehmenden der laufenden Regierungsgespräche aus. Reformen ohne Zusammenarbeit mit Ärzt:innen seien „zum Scheitern verurteilt“. Wutscher, der auch Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzt:innen ist, forderte etwa, Kassenverträge zu attraktivieren. Man müsse sich fragen, warum es keine Bewerbungen für offene Stellen gebe. Arbeitszeiten sollten flexibler sein, um etwa auch Kinderbetreuung parallel zu ermöglichen. Harald Mayer, Ärztekammer-Vize und Obmann der Kurie der angestellten Ärzt:innen, betonte, dass das Gesundheitssystem an seine Grenzen gelangt sei, die Wartezeiten etwa seien zu lang. „Wir brauchen einen gemeinsamen Einstieg und klare Spielregeln für Patient:innen“, forderte Mayer. Nur so könne man Ressourcen sparen und Doppelgleisigkeiten vermeiden. Eine Möglichkeit sei die Hotline 1450 als Anlaufstelle. Die aufgenommenen Informationen müssten besser verarbeitet werden, derzeit „verschwinden sie im Nirvana“. Wichtig wäre laut Mayer, Daten digital zu speichern. Der Datenschutz verhindere in Österreich viele Dinge, die in anderen Ländern aber möglich seien. Gesundheitsprävention sei sinnvoll, würde das System aber nicht billiger machen. Vorschläge der Ärztekammer gebe es schon länger, sie müssten nur umgesetzt werden. Und: Dazu brauche es Geld.
Auch aus der Apothekerschaft kommt Kritik an möglichen Sparplänen. „Die verkrampfte Suche nach Lösungen und die Diskussion über Kostensenkungen wird wohl wieder Fahrt aufnehmen. Das Grundproblem ist: Gesundheitsausgaben werden oft nur als Kostenfaktor gesehen, nicht als Investition in die Gesundheit der Menschen“, sagt die Präsidentin der Österreichischen Apothekerkammer, Mag.a pharm. Dr.in Ulrike Mursch-Edlmayr. Bei den Apotheken gebe es jedenfalls nichts mehr zu sparen – im Erstattungsbereich wurde alles optimiert. „Wirtschaftlich stehen viele Apotheken schon jetzt mit dem Rücken zur Wand. Wir haben Kostensteigerungen beim Personal, bei den Mieten und der Energie. Im Gegensatz zu anderen Branchen können wir aber nichts an Endverbraucher:innen weitergeben. Alle Entwicklungen und Regelungen im Arzneimittelbereich schlagen schon bei uns auf: Wir haben Margenverluste im Kerngeschäft zu schultern und gleichzeitig eine Explosion bei unbezahlten Dienstleistungen sowie seit Jahren aufgrund der Lieferengpässe einen erheblichen Mehraufwand.“ Das sei unternehmerisch äußerst herausfordernd und könne auf Dauer nicht gut gehen.