Bitte warten!

Von links: Peter Fasching, Elisabeth Weigand, Bernhard Rupp, Barbara Möller und Leif Moll; © MH-Photography

FOPI, das Forum der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich, und PHARMIG, der Verband der pharmazeutischen Industrie in Österreich, präsentierten bei einer Veranstaltung am 5.11.2024 die Ergebnisse einer von ihnen in Auftrag gegebenen Analyse zum Thema „Zugang zu innovativen Therapien“. Das Fazit der Analyse: Patient:innen müssen im niedergelassenen Bereich, sprich, außerhalb des Krankenhauses, teils Einschränkungen gegenüber der zugelassenen Indikation hinnehmen, auf neue Therapien mitunter monate- oder gar jahrelang warten und haben in einigen Bereichen keine Sicherheit, ihre Arzneimittel auch in Zukunft zu erhalten. Expert:innen aus verschiedenen Bereichen des Gesundheitssystems diskutierten deshalb im Rahmen der Veranstaltung, welche Reformvorschläge umgesetzt werden sollten, um die Lage für die Österreicher:innen mittel- und langfristig zu verbessern.

Ergebnisse des Reports „Time to Patients“

Die Analyse wurde vom Consulting-Unternehmen Krammer, Wrbka & Partner Consulting durchgeführt und nahm – zurückreichend bis ins Jahr 2015 – die grundsätzliche Verfügbarkeit neu zugelassener Wirkstoffe im niedergelassenen Bereich, die Erstattung durch die Krankenkassen, die Dauer von der Antragstellung bis zum Zugang für Patient:innen und die Einschränkungen bei der ärztlichen Verschreibung unter die Lupe. Aus den Ergebnissen wurde der Report „Time to Patients“ erstellt, dessen Ergebnisse bei der Veranstaltung von KWPC-Geschäftsführerin Barbara Möller präsentiert wurden, darunter u.a. folgende Aspekte:

  • Verfügbarkeit: 16% der Innovationen sind in Österreich nicht erhältlich.
  • Rund 40% der neuen Medikamente sind nicht in der Regelerstattung.
  • Verschreibungskriterien: Ein Großteil der Innovationen braucht komplizierte Genehmigungen.
  • Dauer bis zum Zugang: Die „Time to Pa­tients“ beträgt im Schnitt 15,5 Monate.
  • Behandlungskontinuität: Bei fast einem Zehntel ist die Therapiekontinuität nicht gewährleistet.

Conclusio: Überarbeitung der gesetzlichen Rahmenbedingungen nötig

„Österreich ist in puncto Zugang zu innovativen Therapien alles andere als eine Insel der Seligen“, zieht Leif Moll, Vizepräsident des FOPI, Resümee. Dies nehmen FOPI und PHARMIG zum Anlass, Lösungsvorschläge einzubringen und einen Dialog dazu ein­zufordern. „Wir wollen erreichen, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen des Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetzes (KAKuG) sowie des ASVG (Erstattungskodex) unter Einbeziehung aller Systempartner:innen überarbeitet werden. Denn nur so können wir einen raschen und österreichweit einheitlichen Patientenzugang zu innovativen Therapien unter voller Gewährleistung der ärztlichen Therapiehoheit sicherstellen“, betont Moll.

Konkrete Lösungsvorschläge auf dem Tisch

Folgende Lösungsvorschläge stellen die Studienauftraggeber zur Diskussion:

  • Stärkere Einbindung von Fachexpertise und Patientenvertreter:innen in den EKO-Prozess
  • Aktualisierte Definition von Innovation und Etablierung einer zeitgemäßen umfassenden Nutzenbewertung (Nutzen für Patient:innen, aber auch für das gesamte Gesundheits- und Sozialsystem sowie für die Volkswirtschaft; zusätzlicher therapeutischer Nutzen, z.B. Rückgang der Symptome, Vermeiden von Folgeschäden, Ausbleiben von Nebenwirkungen etc.; innovative bzw. neue Darreichungsformen zur Verbesserung der Anwendung und des Patientennutzens)
  • Festlegung von sachgerechten Vergleichs- und Erfolgsparametern für Innovationen
  • Angemessene Preisbildung bei Indikationsausweitungen
  • Sicherstellen des dauerhaften und breiten Zugangs (keine Befristungen; Indikationseinschränkungen nur Guideline-konform oder ggf. nach wissenschaftlichen Kriterien)
  • Finanzierungsmodell des Gesundheitssystems transparenter und effizienter gestalten, um eine ganzheitliche Nutzenbetrachtung zu ermöglichen und finanzielle Ressourcen für Innovationen frei zu machen
  • Trennung von Nutzenbewertung und Preisverhandlung, ähnlich wie in Deutschland – denn es ist jeweils unterschiedliche Expertise nötig
  • Betrachtung von EU-HTA als Chance, den EKO-Prozess weiterzuentwickeln
  • Insgesamt Schaffung klarer Erstattungsrichtlinien für die Indus­trie, um Rechtssicherheit im Interesse der Patient:innen zu haben

Mehr Fokus auf Patientensicht

Auch Vertreter:innen von Patient:innen sowie der Ärzteschaft messen den Studienergebnissen große Bedeutung bei. So betonte Elisabeth Weigand, Geschäftsführerin von Pro Rare Austria, bei der Veranstaltung: „Patientinnen und Patienten erwarten den schnellstmöglichen und unkomplizierten Zugang sowie die Erstattung von allen zugelassenen Therapien österreichweit einheitlich – unabhängig davon, ob im niedergelassenen oder im klinischen Bereich oder auch im sogenannten Nahtstellenbereich, z.B. bei Heimtherapien.“ Dies müsse natürlich auch für innovative Therapien gelten, daher dürfe der Zugang nicht an Diskussionen zur Kostenübernahme von verschiedenen Kostenträgern scheitern oder dadurch verzögert werden, „was heute gerade bei teuren Therapien leider immer wieder der Fall ist“, so Weigand. Daher ist ihrer Ansicht nach die direkte Patientensicht für die Nutzenbewertung unbedingt einzuholen, z.B. hinsichtlich der Bewertung von Anwendung der Therapien, Nebenwirkungen und Lebensqualität. „Die EU-HTA-Verordnung soll daher auch für den EKO-Prozess in Österreich angewendet werden und damit Vertreter:innen von Patient:innen miteinbeziehen“, wiederholt die Patientenvertreterin eine langjährige Forderung der Dachverbände für Selbsthilfe- und Patientenorganisationen.

Peter Fasching, Präsident der Österreichischen Diabetes Gesellschaft, fordert zuallererst, dass Erstattungsregeln auf die aktuellen Therapierichtlinien medizinischer Fachgesellschaften Bezug nehmen sollten: „Es kann nicht sein, dass für die Erstattung von Arzneimitteln Regeln zur Anwendung kommen, die vor vielen Jahren nach Erstzulassung zwischen Anbietern und Zahlern vereinbart und danach nicht mehr gemäß der aktuellen Studienlage und Evidenz angepasst wurden. Denn die Me­dizin hat sich in dieser Zeit meist mit Riesenschritten weiterentwickelt und eröffnet womöglich neue Therapieansätze, die im alten Regularium nicht abgebildet sind. Dies trifft insbesondere Patient:innen mit chronischen Erkrankungen wie z.B. Diabetes mellitus.“ Weiters stellt Fasching die sogenannten Erstverschreibungsregeln infrage: „Derzeit müssen beispielsweise Patient:innen mit Stoffwechselerkrankungen die Erstverschreibung einer Therapie in einer Diabetes- oder Lipidambulanz erhalten. Das konterkariert die Bemühungen, die Spitäler zu entlasten. Wünschenswert wäre deshalb die Etablierung einer zweiten Versorgungsebene im extramuralen Bereich, wo innovative Arzneimittel auch von niedergelassenen Ärzt:innen ‚erstverschrieben‘ werden dürfen.“

Bernhard Rupp, Leiter der Abteilung Gesundheitspolitik, Kammer für Arbeiter und Angestellte für Niederösterreich, ergänzt aus gesundheitspolitischer Perspektive: „Es ist unbestritten, dass ‚die Spreu vom Weizen getrennt‘, also eine Scheininnovation von einer echten Innovation unterschieden werden muss. Dabei kann die neue europäische Nutzenbewertung doppelt hilfreich sein, denn sie kann den Nutzen außer Streit stellen und die ‚Time to Patients‘ verringern.“ Außerdem, so Rupp weiter, gebe es zweifellos Verbesserungspotenzial in mehreren Bereichen. So sei beispielsweise das System des chef-/kontrollärztlichen Dienstes aus seiner Sicht zu überdenken, da „dort ohnehin keine medizinischen Entscheidungen getroffen werden. Weiters wäre ein regelmäßiges Monitoring der Verfügbarkeit von Therapien in Österreich sinnvoll, um Entwicklungen beobachten zu können.“ In jedem Fall müsse die finanzielle Ausstattung der Krankenversicherungsträger nach Meinung des Gesundheitspolitikers „ausreichend und zweckmäßig“ sein. Denn dies sei eine Grundvoraussetzung für ein modernes Gesundheitssystem. „Österreich darf sich nicht von der modernen Medizinentwicklung abkoppeln. Innovative Therapien müssen den Versicherten, die diese brauchen, zur Verfügung stehen.“