In Niederösterreich, Kärnten und der Steiermark sorgen gesundheitspolitische Versorgungspläne der Bundesländer gerade für kräftigen Wirbel und Debatten unter Ärzt:innen. Seit Einführung von Primärversorgungseinheiten (PVE) und nicht zuletzt seit dem jüngsten Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern wird darüber diskutiert, was PVE eigentlich tun sollen: die niedergelassene Primärversorgung verbessern und eine neue Zusammenarbeitsform für niedergelassene Ärzt:innen sein oder schlicht eine Entlastung von teuren Spitalsambulanzen bieten? Jetzt wird zunehmend sichtbar, was sich die Bundesländer darunter vorstellen: In Kärnten soll eine PVE ein Spital entlasten und Kosten vom Land als Spitalsträger und Eigentümer der landeseigenen Spitalsgesellschaft KABEG in den niedergelassenen Bereich zur Krankenversicherung verschieben. „Die KABEG hat, nachdem das erstgereihte Team der Ärztekammer ablehnte, den Zuschlag als Betreiberin des Zentrums in Villach erhalten. Entstehen soll es in unmittelbarer Nähe zum LKH Villach. Am Montag wird dann die Österreichische Gesundheitskasse auch die Primärversorgungseinheiten in Völkermarkt, Wolfsberg und Spittal ausschreiben“, gab Gesundheitsreferentin Dr.in Beate Prettner (SPÖ) bekannt.
Das ist einzigartig: die Spitalsgesellschaft als PVZ-Betreiber. Bezeichnend dabei: Das Land kennt offenbar die Ausschreibungsmodalitäten der ÖGK. Der Grund: Während die Ausschreibung von der ÖGK ausgeführt wird, werden die Primärversorgungszentren von den Sozialversicherungsträgern, dem Land Kärnten und dem Kärntner Gesundheitsfonds gemeinsam finanziert. Personalkosten für Leistungen der Ärzt:innen sowie des Kernteams sind vom Sozialversicherungsträger gedeckt. Je nach eingereichtem Versorgungskonzept leisten der Kärntner Gesundheitsfonds sowie das Land Kärnten Zuzahlungen zu Personalkosten zum Aufbau eines multiprofessionellen Teams (wie diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonen, Physiotherapeut:innen, Sozialarbeiter:innen etc.) von bis zu 1,7 Millionen Euro aufgeteilt auf vier Jahre. Diese Summe ist ein Maximalbetrag und hängt vom eingereichten Versorgungskonzept ab.
Ziel der Primärversorgung ist es, die Gesundheit der Menschen zu fördern, Prävention zu stärken und gleichzeitig inter- und multiprofessionelle Betreuung zu gewährleisten. „Zudem sollen die Zentren eine deutliche Erleichterung speziell für die Spitalsambulanzen bringen“, meint die Gesundheitslandesrätin, und weiter: „In den geplanten PVE werden Ressourcen gebündelt, der Verwaltungsaufwand für das Fachpersonal reduziert und dadurch ermöglicht, dass der Fokus ausschließlich auf gesundheitliche Bedürfnisse der Patient:innen gerichtet wird.“ Die Zentren sollen darüber hinaus zumindest 45 Stunden in der Woche (laut regionalem Gesamtvertag) geöffnet haben. „Wir schaffen also eine Win-win-win-Situation für Ärzt:innen, Krankenanstalten und vor allem für die Patient:innen“, ist sich Prettner sicher.
Ganz anders sieht das die Kärntner Ärztekammer: „Bisher war es so, dass der/die Patient:in sich eine:n niedergelassene:n Ärzt:in beziehungsweise ein Ärzteteam seines/ihres Vertrauens aussuchen konnte, die seine/ihre Krankengeschichte kennen und die ihn häufig über viele Lebensabschnitte begleiteten. In Zukunft geht der/die Patient:in in ein von einer Gesellschaft geführtes Zentrum, wo er/sie nicht weiß, welche beziehungsweise ob ein:e Ärzt:in gerade Dienst hat“, erklärt der Präsident der Kärntner Ärztekammer Dr. Markus Opriessnig. Er bedauert, dass das PVZ in Villach nicht von jenen drei Ärzt:innen umgesetzt werden konnte, die sich als eigenständiges Team in Form einer möglichen Gruppenpraxis beworben hatten, sondern von einer Landesgesellschaft: „Eine ausreichende Unterstützung in der Planung und Ausgestaltung der notwendigen finanziellen Mittel für die sehr hohen Anfangsinvestitionen war leider nicht gegeben. Da hat eine Landesgesellschaft mit Zugriff auf Steuermittel ganz andere Möglichkeiten.“
Es sei sehr schade, dass es für dieses motivierte Ärzteteam aufgrund fehlender konkreter Unterstützung sowohl in finanzieller Hinsicht als auch bezüglich einer leistbaren geeigneten Immobilie nicht geklappt hat. Es wäre dringend nötig, ein System zu schaffen, in dem frei beruflich tätige Ärzt:innen dieselben Chancen wie kapitalstarke Institutionen haben: „Medizinisches Know-how darf nicht von Kapital und womöglich profitorientierter Konzernisierung, bei der letztlich die Patient:innen auf der Strecke bleiben, geschlagen werden“, betont Opriessnig. Der erkennbare Umbau des Systems in Kärnten in Richtung staatlich kontrollierte Medizin werde die Zahl der freiberuflich tätigen Kassenärzt:innen langfristig reduzieren, befürchtet er.
Auch Niederösterreich wird derzeit kräftig umgerührt. In einem Expertenpapier wird die Schließung von 4 der 27 Spitalsstandorte in Niederösterreich vorgeschlagen, um u.a. Ressourcen zu sparen. Das Konzept sieht die Auflassung der Kliniken Hollabrunn, Korneuburg und Stockerau (Bezirk Korneuburg) vor. Diese Standorte sollen in einem neuen Krankenhaus Weinviertel Süd-West zusammengelegt werden. Der Standort Gänserndorf soll zu einem Primärversorgungszentrum werden. Auch hier sieht das Land PVZ also als reinen Spitalsersatz. In den Kliniken Melk, Klosterneuburg (Bezirk Tulln), Gmünd und Waidhofen an der Thaya soll die Akutversorgung wegfallen, sie sollen zu Sonderkrankenanstalten umgebaut werden. Und das Land hat offenbar vor, alle Kräfte zu bündeln – in Form von Versorgungsnetzwerken.
Gestartet werden soll mit dem Pilotprojekt „Gesundheitsregion Waldviertel“. Damit wolle man aktuellen Herausforderungen, wie Fachkräftemangel, einer alternden Bevölkerung, steigenden Kosten und hohen Erwartungen der Bevölkerung „an eine medizinische Gesundheitsversorgung auf Spitzenniveau überall für jede:n“, begegnen und „innovative Lösungsansätze finden, die für die kommenden Jahrzehnte Bestand haben“, so Landesrat Ludwig Schleritzko. Erklärtes Ziel sei „eine effiziente, wohnortnahe Versorgung, eine Entlastung des Gesundheitssystems und ein besseres Behandlungsergebnis für jede:n“. Ein engmaschiges Gesundheitsnetzwerk von Prävention über die Ärzt:innen im niedergelassenen Bereich und in den Kliniken bis hin zu Community Nurses, Telemedizin und den Gemeinden werde Vorteile für alle bringen, zeigt sich der Landesrat überzeugt. Der Fokus: „die Bündelung bestehender Angebote und die Stärkung der Zusammenarbeit in einem Gesundheitsnetzwerk“. Zweites Ziel sei, „das Gesundheitssystem entlasten und die bestmögliche Versorgung am geeignetsten Ort gewährleisten und damit am Ende der Kette auch die Kliniken entlasten“, und drittens wolle man direkt auf Gemeindeebene ansetzen, um die Eigeninitiative und Gesundheitskompetenz der Bevölkerung zu stärken – und damit die Prävention.
In der Steiermark wiederum hat nach Ansicht aller Beobachter:innen eine seit Jahren umstrittene Umstrukturierung der Spitalslandschaft im Bezirk Liezen die Landtagswahl massiv beeinflusst: ÖVP und SPÖ verloren dort massiv, die FPÖ gewann in Rekordhöhe. In Rottenmann erreichte die ÖVP gerade einmal 5,07%, die SPÖ 9,01 %, und die FPÖ kletterte von 35,42% auf 63,23 %. Der Grund ist ein seit Jahren schwelender Konflikt um ein neues Leitspital im Bezirk, das die kleinen Spitäler von Rottenmann, Schladming und Bad Aussee ersetzen soll. Statt Spitälern will das Land dort niedergelassene Facharztzentren schaffen. Das verunsichert nicht nur die Bevölkerung, sondern auch niedergelassene Ärzt:innen. Gleichzeitig beobachten derzeit viele Bundesländer die Entwicklungen in Kärnten, der Steiermark und Niederösterreich. Gehen sie im Sinne der Länder als Spitalsträger durch, dürften weitere Bundesländer nachziehen.