Bewertungsboard – Top oder Flop?

Die gute Nachricht zuerst: Die Ausgangslage hierzulande scheint durchaus günstig, wenn es um den Zugang zu neuen Therapien geht. Dr. Martin Gleitsmann, Senior Researcher beim Wirtschaftsforschungsinstitut Economica, eröffnete beim jüngsten Gesundheitspolitischen Forum der Karl Landsteiner Gesellschaft Ende des vergangenen Jahres die Runde der Expert:innen mit einer kompakten Übersicht zu einer Studie, die sich mit der Verfügbarkeit von Innovationen befasst hat. „Wir von der Economica konnten dazu erstmals die Zulassungsdaten der EMA mit den österreichischen Umsatzdaten verschneiden und dann mit Deutschland vergleichen. Dabei zeigte sich für uns ein guter Zugang, allerdings mit Ausnahme der Nichtkrebsmedikamente im niedergelassenen Bereich. Weiters fördern klinische Studien im Inland eindeutig einen besseren Zugang der Bevölkerung zu Innovationen“, verwies Gleitsmann in diesem Zusammenhang auf einen wichtigen standortpolitischen Faktor. Die Studienergebnisse lieferten eine Standortbestimmung für Österreich – gerade auch im Vergleich zum Nachbarland Deutschland – und vor dem Hintergrund neu entstehender Regeln. Gleitsmann: „Am Beginn einer weiteren Regulatorik zur Bewertung von pharmazeutischen Innovationen in Österreich ist es interessant, wie es heute mit dem Zugang zu innovativen Therapien steht.“ Gemeint ist damit das Bewertungsboard, das in den vergangenen Wochen und Monaten heftig diskutiert wurde und auch bei dieser Veranstaltung im Billrothhaus der Gesellschaft der Ärzte in Wien die Gemüter erhitzte.

Zeit ist entscheidender Faktor

Prim. Doz. Dr. Hannes Kaufmann, Abteilungsvorstand der 3. Med. Abt. der Klinik Favoriten, Wien, und der Klinik Landstraße, Wien, sowie Programmdirektor beim Vienna Cancer Center, warnte etwa davor, eine weitere Ebene einzuziehen, die zu Verzögerungen bei der Versorgung führen könnte. „Im Rahmen der Gesundheitsreform sowie der Finanzausgleichsverhandlungen 2023 wurde ein Bewertungsboard für ausgewählte hochpreisige und spezialisierte Arzneimitteln im intramuralen Bereich oder an der Nahtstelle zwischen extra- und intramural eingerichtet. Dabei ist festzuhalten, dass die dort zu prüfenden Arzneimittel bereits auf EU-Ebene hinsichtlich Validität der sogenannten Zulassungsstudien, aber auch in einem neuen Prozess im Rahmen eines Joint Clinical Assessment schon medizinisch bewertet werden.“ Bei vielen Krebserkrankten sei es in den vergangenen 20 Jahren gelungen, den Schrecken dieses Schicksals deutlich zu reduzieren und dort Heilung möglich zu machen, wo dieses Ziel einst undenkbar war.

Die Voraussetzungen für diesen Therapieerfolg seien einerseits die große Innovation der medizinischen Forschung und andererseits die schnelle und uneingeschränkte Verfügbarkeit dieser Krebsmedikamente gewesen. Zeit sei also ein entscheidender Faktor „und sollte in keinem Fall durch einen zusätzlichen Bewertungsprozess verzögert werden“, gab Kaufmann zu bedenken, denn gerade die Entwicklungen in der Onkologie werden dieses Gremium besonders beschäftigen. Kaufmann: „Die ersten Medikamente, die dieses Bewertungsboard ab 2025 durchlaufen sollen, sind Medikamente, die ihren Einsatz in der Krebstherapie finden.“ In diesem Zusammenhang verwies der Experte auf einen zentralen Punkt für die Arbeit in der Praxis: „Wichtig dabei ist zu erwähnen, dass in der Geschäftsordnung dieses Boards festgeschrieben ist, dass die individuelle patientenbezogene Therapieentscheidung weiterhin den behandelnden Ärzt:innen obliegt.“

Lob und Kritik für Bewertungsboard

Noch deutlicher fiel die Kritik von Rechtsanwältin Dr.in Karin Prutsch-Lang von Prutsch-Lang & Damitner Rechtsanwälte, aus: „Ich finde den Grundgedanken, die Idee hinter dem Bewertungsboard sehr gut. Wie es etabliert wurde, da muss ich aus rechtlicher Sicht und wenn ich daran denke, wie ich die Patientenrechte durchsetze, sagen: In dieser Form ist es aus meiner Sicht zum Scheitern verurteilt.“ Die Juristin vermisst unter anderem klare Regeln, welches Medikament wann in das Board eingebracht wird, und befürchtet zeitliche Verzögerungen für innovative Therapien.

Eine Kritik, die SC Dr.in med. univ. Katharina Reich, Leiterin der Sektion VII – Öffentliche Gesundheit und Gesundheitssystem sowie Chief Medical Officer des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, nicht unwidersprochen stehen lassen wollte: „Das Bewertungsboard soll mit österreichweit einheitlichen Empfehlungen Klarheit schaffen. Es geht darum, bei ausgewählten spezialisierten Medikamenten die Evidenz im nationalen Kontext zu bewerten – und das schnell und klar. Patient:innen können sich weiterhin auf eine rasche und bedarfsgerechte Versorgung mit den für sie notwendigen Medikamenten verlassen.“

Auch Priv.-Doz. Dr. Robert Sauermann, Abteilungsleiter Vertragspartner Medikamente beim Dachverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, steht dem neuen Gremium durchaus positiv gegenüber: „Als Sozialversicherung erhoffen wir uns, dass das Bewertungsboard eine weitere Verbesserung der Versorgung und höchste medizinische Standards bringt. Ich halte auch die Besetzung für vielversprechend. Aber natürlich muss das Board funktionieren. Es muss gute Arbeit liefern.“

System muss sich an Patient:innen orientieren

Liefern sollte das Board vor allem im Sinne der Patient:innen. Mag.a(FH) Sabine Röhrenbacher, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Selbsthilfe Österreich (BVSHOE) versuchte, auch die Betroffenen, um die es eigentlich geht, in den Mittelpunkt der Debatte zu rücken. Die Patient:innen hätten „ein Recht auf State-of-the-Science-Behandlung und rasche Therapieverfügbarkeit.“ Und weiter: „Der Zugang zu innovativen Therapien im Krankenhaus und im niedergelassenen Bereich ist also entscheidend für das Wohl der Patient:innen.“ Darüberhinaus sieht Röhrenbacher gerade auch in Hinblick auf die Umsetzung der Gesundheitsreform dringenden Bedarf, Prävention zu fördern sowie die Voraussetzungen für die zeitnahe und richtige Diagnose und die entsprechende(n) Therapie(n) zu schaffen – all das auf Augenhöhe mit den Betroffenen.

Bleibt am Ende der Blick in die Zukunft: Die Sorge, dass Österreich seine international gute Position beim Zugang zu neuen Therapien halten kann, war deutlich zu hören. Dr. Jan Oliver Huber, Leiter des Gesundheitspolitischen Forums, gab darauf seine Antwort: Es gelte, die „Herausforderung bei den Hörnern zu packen“.