Woher der Hass auf die WHO kommt

© Tanzer

Trump steigt aus der WHO aus, Europas Rechte verteufelt die Weltgesundheitsorganisation als „geheime Weltregierung“. Warum sich Gesundheitsakteure wehren sollten. 

 Wie oft hören und lesen wir in politischen Diskussionen die Definition von Gesundheit durch die WHO als „ein Zustand von vollständigem physischem, geistigem und sozialem Wohlbefinden, der sich nicht nur durch die Abwesenheit von Krankheit oder Behinderung auszeichnet“? Die WHO wurde am 7. April 1948 gegründet, proklamierte das Recht auf Gesundheit als Grundrecht des Menschen und zählt heute 194 Mitgliedstaaten. Die Verfassung der Weltgesundheitsorganisation legt als Ziel die Verwirklichung des bestmöglichen Gesundheitsniveaus bei allen Menschen fest. Hauptaufgaben sind die Bekämpfung von Erkrankungen sowie Förderung der allgemeinen Gesundheit der Menschen weltweit. 

US-Präsident Donald Trump hat nun den Ausstieg der USA aus der WHO beschlossen. Er ortet einen großen Einfluss durch die Volksrepublik China und kritisiert das Verhalten der WHO während der Corona-Pandemie. Damit stimmt er in das Credo vieler europäischer Rechtsparteien ein, die in der WHO überhaupt das Übel schlechthin sehen. Da ist von einer „geheimen Weltregierung“ die Rede und davon, dass die WHO in Wirklichkeit über die jeweiligen staatlichen Gesundheitssysteme bestimme. Nicht der Gesundheitsminister, die Krankenkassen oder die Gesundheitslandesrät:innen und schon gar nicht die Vertretungen der verschiedenen Gesundheitsberufe würden über das System bestimmen, sondern einzig allein die WHO – und das zum Nachteil der Menschen, so die – vorwiegend rechte – Erzählung. Vor dem Hintergrund des angekündigten US-Austritts aus der Weltgesundheitsorganisation hat die an der italienischen Regierung beteiligte Partei Lega ebenfalls den Rückzug ihres Landes aus der WHO gefordert. Die rechtsnationalistische Partei von Vize-Regierungschef Matteo Salvini brachte am Donnerstag ein entsprechendes Gesetzesvorhaben in den Senat ein. 

Im Zentrum der Kritik steht ein geplantes Pandemie-Abkommen der WHO, bei dem zur Vorbeugung von Krankheiten unter anderem Impfquoten sichtbar gemacht und im Falle einer Pandemie rasch Daten ausgetauscht werden sollen. Gerald Hauser, freiheitlicher EU-Abgeordneter, bezeichnete den Prozess wiederholt als „intransparent und undemokratisch“. „Die WHO versucht, im Verborgenen mit nicht näher definierten Verhandlungspartnern einen Pandemievertrag durchzusetzen – das ist inakzeptabel“, so Hauser. Er betont, dass sich die WHO zunehmend von einer Gesundheitsorganisation zu einer „Pharma-Lobbying-Institution“ entwickelt habe. Vor 1999 klang die FPÖ noch anders und berief sich auf die WHO bei Kritik an der heimischen Regierung. „Seit geraumer Zeit stellen die Freiheitlichen Anfragen und Anträge bezüglich Infektionskrankheiten wie Aids, Malaria, Tuberkulose, Masern, Durchfall und Atemwegserkrankungen. Selbst die Weltgesundheitsbehörde (WHO) bestätigt die Freiheitlichen Forderungen“, stellte die damalige freiheitliche Gesundheitssprecherin Brigitte Povysil fest. Es passiere zu wenig gegen Infektionskrankheiten, so die FPÖ damals. 

Rund 20 Jahre später, kurz nach Ausbruch der Pandemie machte sich die FPÖ noch für einen Austausch auf WHO-Ebene stark. Der damalige FPÖ-Bundesparteiobmann Norbert Hofer kritisierte den Gesundheitsminister mit Hinweis auf die WHO: „Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt flächendeckende Tests. Nur wenn man weiß, wie viele Menschen tatsächlich das Virus in sich tragen und es damit auch weitergeben können, können die Bemühungen im Kampf gegen die weitere Verbreitung optimiert werden.“ Der NÖ-FPÖ-Landesparteiobmann, Udo Landbauer, bemängelte, dass die österreichischen Behörden nach der Ausrufung der „gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite“ durch die WHO, nicht rechtzeitig tätig geworden sind. Kritisiert wurde etwas später von der FPÖ auch der WHO-Ausschluss von Taiwan. „Taiwan hat gezeigt, wie man eine solche Krise meistern kann“, kritisiert der freiheitliche Europaparlamentarier Roman Haider den Ausschluss Taiwans aus der Weltgesundheitsorganisation WHO scharf. „Während das Coronavirus weltweit noch kaum bekannt war, hatte Taiwan bereits Ende Dezember 2019 seinen Notfallplan aktiviert, erste Maßnahmen gesetzt und die Ausbreitung des Coronavirus auf seinem Territorium wirksam verhindert.“ Durch den Ausschluss aus der WHO seien „Erkenntnisse über das Virus und Möglichkeiten zu seiner Eindämmung nicht wirksam weitergegeben“ worden. Genau das könnte nun im Fall einer neuerlichen Pandemie passieren, wenn die USA und andere Länder nicht mehr Teil der WHO sind und keine Informationen weitergeben. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat nach der Austrittserklärung der USA erste Sparmaßnahmen beschlossen. Befürchtet werden von Expert:innen, dass Daten nicht mehr kommuniziert und weitergegeben werden.  

Die WHO besitzt eine föderale Struktur, die Weltgesundheitsversammlung ist das höchste Entscheidungsorgan. Sie besteht aus den Vertretern der Mitgliedsstaaten. Diese dürfen bis zu drei Vertreter:innen als Delegierte entsenden, die vornehmlich aus der staatlichen Gesundheitsverwaltung stammen und sich durch ihre fachliche Kompetenz auf dem Gebiet des Gesundheitswesens auszeichnen sollen. Die Mitgliedsstaaten zahlen festgesetzte Beiträge (Mitgliedsbeiträge) und freiwillige Beiträge. Die Mitgliedsbeiträge werden nach einem Schlüssel bemessen, wobei sich die Höhe des Beitrags nach der Zahlungsfähigkeit des jeweiligen Landes richtet. 

Im Gegensatz zur herumschwirrenden Desinformation ist die WHO keine drohende Weltregierung mit Durchgriffsrechten in die einzelnen Staaten. Im Gegenteil übernimmt die Weltgesundheitsorganisation gerade in der Koordinierung von Schutzmaßnahmen, in der Forschung, in der Beobachtung und Detektion von möglichen Bedrohungen für die Gesundheit der Menschen weltweit eine zentrale Aufgabe. Eine funktionstüchtige WHO bedeutet auch Hilfe im Krisenfall, bedeutet internationale Präventionsangebote und -kampagnen. 

Doch das gestaltet sich nicht einfach. Warnt die WHO zu früh und kommt eine Pandemie nicht, wird sie dafür kritisiert. Das wird vor allem dann zum Problem, wenn sich solche Warnungen häufen. Wie in der Fabel Der Schäfer und der Wolf des antiken Dichters Äsop: Ein Hirtenjunge ruft aus Langeweile beim Schafehüten wiederholt laut „Wolf!“. Als ihm daraufhin Menschen aus der Nähe zu Hilfe eilen, finden sie heraus, dass falscher Alarm gegeben wurde und sie ihre Zeit verschwendet haben. Als der Junge nach einiger Zeit wirklich einem Rudel Wölfe begegnet, nehmen die Menschen die Hilferufe nicht mehr ernst und bleiben bei ihrem Tagwerk. Die Wölfe fressen die ganze Herde. 

Warnt die WHO zu spät, wird sie dafür auch kritisiert. Und warnt sie genau richtig und es lassen sich Maßnahmen zur Eindämmung ergreifen, wirkt die Pandemie-Warnung auch als überzogen. Der Begriff „Präventionsparadox“ wurde Anfang der 1980er Jahre vom britischen Epidemiologen Geoffrey Rose am Beispiel der koronaren Herzkrankheiten beschrieben. Es stelle ein grundlegendes Dilemma der bevölkerungs- und risikogruppenbezogenen Prävention dar. Die Kernaussage: Eine präventive Maßnahme, die für Bevölkerung und Gemeinschaften einen hohen Nutzen bringt, bringt dem einzelnen Menschen oft nur wenig – und umgekehrt. Das Paradox gilt für viele Maßnahmen: Lebensstil-Empfehlungen, Impfungen, Früherkennungsmaßnahmen, Maßnahmen der Verkehrssicherheit und der Tabakprävention, oder Maßnahmen des Klimaschutzes. In all diesen Bereichen gibt die WHO-Empfehlungen auf der Basis von Wissenschaft an die Mitgliedsstaaten. Deshalb müssen alle Vertreter:innen des Gesundheitswesens gegen die zunehmende Kritik entschieden Stellung beziehen und gleichzeitig dafür sorgen, dass die WHO unabhängig arbeiten kann. (rüm)