Interview

Eosinophile Ösophagitis auf dem Vormarsch

Die eosinophile Ösophagitis (EoE), eine allergieähnliche Reaktion der Speiseröhre auf bestimmte Lebensmittel, wurde Anfang der 1990er-Jahre von Prof. Dr. Alex Straumann beschrieben. Seit damals hat die Häufigkeit der chronischen Erkrankung gewaltig zugenommen. Woran das liegt, erklärt der EoE-Experte im Interview.

IM FOKUS: Herr Prof. Straumann, Sie sind einer der Erstbeschreiber der eosinophilen Ösophagitis (EoE) und ein ausgewiesener Experte auf dem Gebiet der eosinophilen Entzündungen des Magen-Darm-Traktes. Was weiß man heute über die Ursachen der EoE

Straumann: Im Jahr 1989 kam ich erstmals in Kontakt mit EoE. Innerhalb weniger Monate sah ich gleich drei Patienten mit Schluckbeschwerden bzw. Einklemmung von Speisen – ohne Engstelle (Stenose), dafür aber mit einer ausgeprägten Eosinophilie im Gewebe der Speiseröhre. Eosinophile Leukozyten findet man häufig bei allergieartigen Entzündungen. Meine Literatursuche blieb erfolglos, aber nachdem ich auf einer schweizerischen Gastro-Konferenz die Frage stellte, ob auch andere Kolleg:innen Patient:innen mit diesen Symptome gehabt hätten, kamen bald 10 Patient:innen zusammen, und in den frühen 1990er-Jahren publizierte ich die klinische Beschreibung dieses neuen Krankheitsbildes.
Heute wissen wir, dass die EoE fast immer eine Lebensmittelallergie ist, und zwar auf Lebensmittelproteine. Könnten betroffene Patient:innen von Luft und Liebe leben, würden Entzündung und Beschwerden abklingen. Ebenso, wenn sie keine Proteine aufnähmen, sondern mit Aminosäurelösungen ernährt würden.

Gibt es besonders betroffene Gruppen?

Drei Viertel der Betroffenen sind Männer. Einer der Gründe dafür ist genetischer Natur: Ein Einzelnukleotid-Polymorphismus im Gen TSLP („thymic stromal lymphopoietin“), das auf dem Y-Chromosom lokalisiert ist, geht mit einem erhöhten EoE-Risiko einher. Allerdings bekommen nicht alle Träger dieser TSLP-Variante eine EoE, und auch Frauen können eine EoE entwickeln. Ein erhöhtes Risiko haben auch Atopiker:innen, so leiden etwa 70 % der EoE-Patient:innen an Allergien. Die Krankheit betrifft häufig junge Menschen und tritt meist zwischen dem 15. und 30. Lebensjahr auf. Betroffene sind oft sportlich und – bis auf ihre Allergien – gesund. Ein interessantes Detail am Rande ist der hohe Bildungsgrad der Patient:innen, eine Erklärung dafür gibt es bisher nicht. Zusammengefasst: Der typische EoE-Patient ist ein junger Mann, gut ausgebildet, sportlich und – bis auf seine atopische Vorbelastung – gesund und leistungsfähig.

Seit der Entdeckung der EoE in den 1990er-Jahren ist eine kontinuierliche Zunahme der Häufigkeit der Erkrankung zu beobachten. Woran liegt das?

Die langdauernde Einklemmung eines Speisebolus mit der Notwendigkeit einer notfallmäßigen Intervention hat es früher nicht gegeben. Heute ist das einer der häufigsten gastroenterologischen Notfälle. Deshalb wage ich zu sagen, dass die EoE in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts frisch begonnen hat, also vor ca. 40 Jahren. Zu Beginn war die Erkrankung eine absolute Rarität, mittlerweile kommt auf 800 Einwohner:innen ein:e Patient:in mit diagnostizierter EoE.
Wie erklärt sich nun diese gewaltige Zunahme? Es gibt zwei Hypothesen. Die erste ist die „epithelial barrier theory“ oder Barriere-Hypothese. Sie besagt, dass die Schleimhaut-Barriere gestört ist, wodurch Allergene besser eindringen und eine entzündliche Reaktion auslösen können. Für die gestörte Barriere werden Detergenzien und Emulgatoren verantwortlich gemacht. In den letzten 60 Jahren wurden in unserer westlichen Welt 350.000 neue Substanzen eingesetzt, die in direkten Kontakt mit Mensch und Tieren kommen, und die wenigsten davon wurden toxikologisch untersucht.
Die zweite Hypothese macht die industrielle Lebensmittelproduktion für die Zunahme der EoE verantwortlich. Gerade in der Produktion der Milch, die in gegen 40 % der Fälle das EoE-auslösende Lebensmittel ist, hat sich viel geändert. Die Milchkühe wurden zu Hochleistungen gezüchtet, die Zahl der Tiere in den Betrieben ist stark gestiegen, und die Art der Fütterung hat sich grundlegend verändert. Dadurch ist auch die Proteinzusammensetzung der Milch heute eine komplett andere, und das könnte ihre Allergenizität erhöhen.

Bei welchen Symptomen sollte an eine EoE gedacht werden, und wie wird die Diagnose gestellt?

Hier ist zwischen Jugendlichen und Erwachsenen sowie Kindern zu unterscheiden. Das Leitsymptom bei Jugendlichen und Erwachsenen sind Beschwerden beim Schlucken geformter, trockener Speisen (Dysphagie), z. B. Fleisch oder Trockenreis. Im schlimmsten Fall bleibt der Speisebolus für kürzere oder längere Zeit stecken und verschließt die Speiseröhre vollständig. Gut die Hälfte der Patient:innen hat auch ein Brennen hinter dem Brustbein, das oft mit einer Refluxkrankheit verwechselt wird. Bei Kindern ist die Symptomatik breiter gefächert: Wenn ein Kleinkind Schwierigkeiten beim Schlucken verspürt, verweigert es als Erstes die Nahrung, die Folge ist eine Gedeihstörung. Weitere Symptome sind Schmerzen, welche die Kinder aber oft nicht genau beschreiben können, oder sogar Durchfall.
Zusätzlich zur präzisen Erfassung und Einordnung der Beschwerden braucht es für die Diagnose der EoE die Endoskopie (Magenspiegelung) und die Histologie (feingewebliche Untersuchung) der Schleimhaut. Bei jugendlichen und erwachsenen Patient:innen zeigt sich in der Endoskopie oft ein typisches Muster, bei Kindern kann die Schleimhaut völlig normal aussehen. Gewissheit bringt letztlich erst die histologische Untersuchung: Nach endoskopischer Biopsie werden die eosinophilen Entzündungszellen in der Speiseröhrenschleimhaut ausgezählt; bei einer Anzahl ≥ 15 Eosinophilen pro hochauflösendem Gesichtsfeld liegt eine EoE vor.

Welches sind die am häufigsten beobachteten Fehldiagnosen?

Berichten Patient:innen über Schmerzen hinter dem Brustbein, denken Ärzt:innen instinktiv an Reflux. Wenn dann auch die endoskopischen Zeichen nicht eindrücklich sind und unter Zeitdruck gearbeitet wird, kann es zu der häufigsten Fehldiagnose, Refluxerkrankung, kommen. Mitunter werden die Symptome der EoE auch als nervlich oder psychisch bedingte Beschwerden abgetan.

Was sind die Therapieziele, und welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es bei EoE?

Als wir die Erkrankung neu entdeckt hatten, haben wir den Patient:innen empfohlen, langsam zu essen und dazu regelmäßig zu trinken. Mittlerweile haben wir gelernt, dass diese Ratschläge gefährlich sind, denn man kann sich bei der Nahrungsaufnahme nicht immer aufs Kauen konzentrieren, besonders, wenn man in Gesellschaft oder unter Zeitdruck isst. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es zu einer Bolusimpaktierung kommt. Diese Ereignisse sind nicht nur unangenehm, sondern auch gefährlich. Wir haben zudem auch gelernt, dass eine unbehandelte EoE zu einem Remodeling der Speiseröhre führt: Die normalerweise 1–1,5 mm dicke und elastische Wand der Speiseröhre verdickt sich und wird starr, wodurch die Transportfähigkeit weiter massiv eingeschränkt wird. Manchmal entwickelt sich auch eine Stenose. Unbehandelt läuft die EoE also in eine ungute Richtung – wir müssen die Erkrankung behandeln.
Die Therapieziele sind zum einen Beschwerdefreiheit – Patient:innen sollen unbeschwert normal essen können –, zum anderen wollen wir die Entzündung kontrollieren, um die beschriebenen Spätveränderungen zu vermeiden.
Bei den Behandlungsprinzipien haben wir wie bei allen Allergien zwei Möglichkeiten. Da wäre einmal die Diät: Wenn man weiß, welches Allergen die Krankheit auslöst, kann man versuchen, es zu vermeiden. Bei der EoE ist es allerdings schwierig, das für die Spätphasenallergie verantwortliche Nahrungsmittel zu identifizieren. Da noch keine Tests verfügbar sind, müsste man Nahrungsmittel für Nahrungsmittel für jeweils drei Monate weglassen und dann kontrollieren, ob eine Besserung eintritt – sehr aufwändig. Außerdem sind die Auslöser oft Grundnahrungsmittel wie Milch- oder Weizenprodukte, oder Eier. Etwa 10 % unserer Patient:innen entscheiden sich dennoch für eine sogenannte Eliminationsdiät. Die zweite Option besteht in der medikamentösen Unterdrückung der sinnlosen, überschießenden und organzerstörenden Entzündung. Dafür werden in erster Linie lokal in der Speiseröhre wirkende Kortisonpräparate eingesetzt. Kommt man mit diesen einfachen Medikamenten nicht zum Ziel oder werden diese Medikamente nicht toleriert, stehen Biologika zur Verfügung. Diese sehr zuverlässig wirkenden, aber vergleichsweise teureren Medikamente setzen wir bei etwa 10 % der Patient:innen ein.

Gibt es konkrete Empfehlungen zum Monitoring von EoE-Patient:innen?

Die EoE ist eine chronische Krankheit. Wird eine erfolgreiche Therapie abgesetzt, kommt es in der Regel innerhalb weniger Tage oder Wochen, spätestens aber nach wenigen Monaten, zu einem Rückfall. Das erklärt sich durch die Tatsache, dass das Allergen jeden Tag die Speiseröhre passiert und dadurch die Entzündung auslöst. Wir brauchen also eine Langzeitperspektive.
Wenn eine Therapie neu initiiert wird, oder auch nach einer Therapieumstellung, sollte 3–4 Monate später eine Kontrolle durchgeführt werden, um zu prüfen, wie gut die Behandlung toleriert wird und inwieweit die Therapieziele erreicht sind. Bei gut eingestellten Patient:innen sind 1-mal jährliche Kontrollen empfohlen. Wobei das Nachsorgeschema patientenindividuell angepasst werden kann: Bei Patient:innen, die ihre Medikamente sehr zuverlässig einnehmen, kann das Kontrollintervall auf 2 Jahre ausgedehnt werden, während es bei unzuverlässigeren Patient:innen eher verkürzt werden muss.

Vielen Dank für das Gespräch!